Freitag, 29. März 2024

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Selbstorganisierte Stadtentwicklung
Wie möchten wir wohnen?

Auch in der einstigen Hausbesetzer-Hochburg Berlin wird es für selbstorganisierte Wohnprojekte immer schwieriger. Also holte man sich bei den den diesjährigen "Experimentdays" - einer Tagung rund ums thema neue Wohnformen - Rat von Vertretern solcher Metropolen, die schon länger unter entfesselten Immobilienpreisen leiden. Ihr Rat: Kooperation statt Konfrontation.

Von Jürgen Stratmann | 14.09.2015
    Plattenbau in Berlin
    Eine Plattenbausiedlung in Berlin (dpa/picture-alliance/Britta Pedersen)
    Dass ausgerechnet eine Münchnerin den ersten Vortrag bei der Eröffnungsveranstaltung der Berliner Experimentdays im Haus der Friedrich-Ebert -Stiftung halten durfte, sorgte durchaus für eine gewisse Verwunderung,denn:
    "Normalerweise ist der Blick nach München immer dazu angehalten, wenn man mal zeigen will, wie´s so richtig teuer ist! Aber in München ..."
    "... tut sich was", so Ricarda Pätzold, Moderatorin des Abends.
    Dabei unterstützt die Bayern-Metropole seit Jahren gezielt solche Wohnprojekte, deren Mitglieder sich ja nicht nur zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums zusammen tun, sondern: weil ihnen die Gemeinschaft, das nachbarschaftliche Miteinander wichtig ist, erklärte Johanna Donner von der Münchener "Mitbauzentrale"
    "Das heißt, in jedem Neubaugebiet sollen nach Möglichkeit 30 Prozent untere Einkommensgruppen dort leben, 20 Prozent mittlere Einkommensgruppen und 50 Prozent frei finanziert - entspricht nicht ganz der Realität, aber da soll´s hingehen!"
    Wie genau?
    "Es ist nicht per se die Aufgabe von Verwaltung, innovativ zu werden! "
    Denn das könnten andere eben besser - und zwar:
    "Nicht nur, weil Baugemeinschaften per se die besseren Menschen sind", so Angela Hansen von der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen.
    "Sie sind sozial, sie haben viel früher als andere Menschen mit Behinderungen integriert, sie haben früher ganz hohe ökologische Standards gehabt - da waren die immer ganz weit vorne. Sondern dadurch, dass sie sich vorher kennen und sich ganz viel mit ihrem Haus und dem, was sie da machen wollen, auseinandersetzen, sind sie auch eine ganz stabile Mieterschaft - für die Stadt!"
    Direkt am Spree-Ufer - und trotzdem bezahlbar
    Wer wissen wollte, wie das konkret aussehen kann, wenn sich Baugenossen ganz viel mit dem auseinandersetzen, was sie da machen wollen, konnte sich das am Wochenende beispielsweise bei Workshops auf dem "Spreefeld" ansehen: eine schicke neue Hochhaussiedlung in allerbester Lage, Nähe Alexanderplatz, auf grüner Wiese unter alten Bäumen, direkt am Spree -Ufer - und trotzdem: bezahlbar! - wo sich die Genossen vor Baubeginn darauf einigten: dass die Häuser niemals richtig fertig werden sollten, denn :
    "Diese ganzen Bauprojekte, die durchleben so bestimmte Phasen: von der Begeisterung über Katastrophenszenarien, Angst oder Bedenken - und dann, wenn das Haus halbwegs gelungen und fertig ist, dann beruhigt sich das alles, und dann sitzen die ganz beruhigt in ihren Eigentumswohnungen - und dann passiert erst mal zwei Jahrzehnte nix! das wollten wir anders machen!"
    Also erhielt man sogenannte "Optionsräume": hallenartig große Gemeinschaftsräume, quasi im Rohbau-Zustand, ohne konkreten Zweck, mit maximalem Entwicklungspotenzial - wodurch die Genossenschaft aktuell in der Lage ist - spontan, effektiv, ohne großen Aufwand und zusätzliche Kosten - Flüchtlingen zu helfen, erklärt Michael LaFond von id22, dem "Institut für kreative Nachhaltigkeit":
    Michae LaFond: Es gibt eine Initiative, die nennen sich Cucula, die bauen Möbel mit Flüchtlingen - um diesen Flüchtlingen eine Arbeit zu geben.
    Diese Möbel-Bau-Firma sucht eine neue Werkstatt - wo dann die Optionsräume ins Spiel kommen:
    "Das heißt, die werden dann eine Holzwerkstatt wahrscheinlich demnächst mit der Arbeit beginnen - die Genossenschaft findet das gut, und wenn alles geklärt ist, werden die 2 bis 3 Tage in der Woche hier Möbel bauen und das vermarkten."
    In direkter Nachbarschaft zur Spreefeld-Genossenschafts-Siedlung residiert auf einer Industrie-Brache das Stadt-Indianerlager "Teepeeh-Land" - hier leben fast ausschließlich Einwanderer:
    "Unsere Gemeinschaft ist schon mal sehr multikulturell - wir haben zwar jetzt ne Ausnahme, dass wir vier von einer Nation haben, aber normalerweise sind nur zwei erlaubt, damit das auch so multikulturell bleibt."
    Wasser und Strom bekommen die Zeltbewohner von den benachbarten Spree-Feld-Genossen, man hilft sich gegenseitig, und feiert gemeinsam bei Kulturveranstaltungen, zum Beispiel beim
    "Comedy-Abend. Momentan haben wir die besten Komödianten aus Berlin, die schon Schlange stehen, um bei uns hier mitzumachen."
    Übrigens:
    "Die Events sind grundsätzlich gratis von uns! "
    Das sind doch mal wirklich:
    "Gemeinschaftsorientierte Wohnakteure"!