"Ja, wir haben hier eine Brotform aus einer Konsumbäckerei in der DDR oder hier ein großes Kernseifenstück der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumgenossenschaften. Die hat als erste eigene Produktion eine Seifenproduktion eingerichtet."
Burchard Bösche, Vorstand vom Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften, zeigt Sammlerstücke aus der 160-jährigen Geschichte der Genossenschaftsbewegung.
"Oder was wir hier unten haben, das sind Flaschen. Eine Bierflasche, weil: viele Konsumgenossenschaften hatten eine eigene Bierabfüllerei oder auch eine eigene Mineralwasserfabrik."
Burchard Bösche ist im Beirat der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte, die gerade am historischen Seminar der Universität Hamburg gegründet wurde. Die erste und einzige Forschungsstelle dieser Art in Deutschland. Und das, obwohl die Genossenschaftsbewegung blüht und gedeiht.
"Die bekannteste ist die "taz" in Berlin. Oder wir haben sieben Schulgenossenschaften bei uns als Mitglieder oder zwei Behindertengenossenschaften. Ansonsten gibt es Ökoläden und Autovermietung und eine der neueren Genossenschaften ist ein Kinogenossenschaft in Ahlen, wo sich über 300 Leute zusammengetan haben, um ein Programmkino zu gründen."
Leiter der Arbeitsstelle ist Franklin Kopitzsch. Er ist Professor für Wirtschaftsgeschichte und weiß, dass Genossenschaften bis heute eine wichtige Rolle spielen.
"Die Genossenschaften sind ja mit ihren Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung nicht nur ein historisches Phänomen, sondern Entwicklungshilfe eine aktuell höchst bedeutsame Erscheinung. Und wir versuchen auf diese Weise den Bogen zu schlagen von der historischen Reflexion auch zur gegenwärtigen Genossenschaftsbewegung und Genossenschaftsidee."
"Miteinander geht es besser", so sangen die Genossenschaftler in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Durch den Großeinkauf der Konsumgenossenschaften konnten sie Qualitätswaren zu einem fairen Preis einkaufen und so die Lebenshaltungskosten senken.
Die erste Genossenschaft wurde 1844 in England gegründet, im Mutterland der industriellen Revolution - denn dort war das Elend der Massen besonders augenfällig. Die bis heute gültigen genossenschaftlichen Prinzipien lauteten:
Offene Mitgliedschaft für jedermann, der demokratische Grundsatz: eine Person - eine Stimme, unabhängig von den Geschäftsanteilen, politische und religiöse Neutralität.
In Deutschland griff der Richter Hermann Schultze aus Delitzsch zwei Jahre später diesen Gedanken auf. Er gründete ein Komitee zur Versorgung notleidender Menschen, erzählt der Historiker Holger Martens von der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte.
"Indem man sich zusammengetan hat - und hat für eine Mühle oder in einer Bäckerei, wo das Brot dann gebacken worden ist, indem man sich zusammengetan hat und zusammen eine große Menge Korn eingekauft hat, war es eben günstiger und billiger, als wenn man sein Pfund Korn bei dem örtlichen Händler gekauft hat."
Es war nicht nur die Fürsorge für die Armen, die den Juristen Schultze-Delitzsch, wie er sich später nannte, zum Handeln trieb. Es war auch die Erkenntnis, dass Menschen, die im Elend leben, keine friedlichen Untertanen sind.
"Die Hungerunruhen stellten natürlich die staatliche Autorität in Frage. Ich erinnere nur an den Weberaufstand, wo ja eine Reihe von Menschen ums Leben gekommen sind. Das hat hohe Wellen geschlagen. Und die bürgerlichen Kräfte, die regierenden, haben natürlich nach Wegen gesucht, wie diesen Verhältnissen entgegenzuwirken ist."
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
wir weben hinein den dreifachen Fluch -
wir weben, wir weben!
Massenverelendung allein reichte allerdings nicht aus, um die Genossenschaftsidee in Leben zu rufen, weiß der Wirtschaftshistoriker Franklin Kopitzsch.
"Es gehörte sicherlich dazu die Aufklärung, also das Bewusstsein, dass die Verhältnisse, in denen man lebt, veränderbar sind, dass sie gestaltet werden können. Das ist ja ein Gedanke, der im 18. Jahrhundert in ganz Europa aufkommt, der dann forciert wird durch die französische Revolution, durch den Frühsozialismus, durch den frühen Liberalismus. Und das ist die Vorraussetzung dafür, dass so eine Idee überhaupt entstehen konnte."
Es waren zunächst liberale bürgerliche Reformer, die sich jetzt in einer veränderten historischen Situation des neuen Armutsproblems annahmen, sagt der Historiker Holger Martens.
"Vorher gab es ja die Leibeigenschaft, also die Menschen konnten gar nicht über sich selbst bestimmen. Und in dem Moment, wo die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, waren viele Menschen auf sich selbst gestellt - und es kümmerte sich niemand mehr um sie. Und von daher war die Not für viele Menschen viel größer."
Die Idee, was der Einzelne nicht vermag, das vermögen Viele, überzeugte schnell die Bauern, die Handwerker und die Arbeiter. Genossenschaften haben im 19. und frühen 20. Jahrhundert weite Teile des Lebens organisiert, erzählt Franklin Kopitzsch. Raiffeisenbanken, Molkereien, Buslinien.
"Bis hin zu einem Genossenschaftskrankenhaus in Salzhausen, das immer noch besteht. Und in der Stadt selber gibt es natürlich sehr viele Wurzeln. Wenn man daran denkt, wie stark etwa die Wohnungsbaugenossenschaften das Bild Hamburgs geprägt haben. Das sind also zwei Facetten: Konsumgenossenschaften auf der einen Seite, Wohnungsbaugenossenschaften auf der anderen Seite, wo es noch sehr viel zu erforschen und zu entdecken gibt."
Im Nationalsozialismus wurden die genossenschaftlichen Ideen von Demokratie und Solidarität verfemt. Die Genossenschaften wurden zerschlagen. Hier gibt es noch viele weiße Flecken und jede Menge Forschungsbedarf, sagt Franklin Kopitzsch.
"Ein spannendes Kapitel ist die Geschichte der Konsumgenossenschaften in der DDR und dann die Entwicklung von Konsumgenossenschaften nach der Wiedervereinigung, nach der Wende, eigentlich so im Kernland, wo viele Genossenschaften entstanden sind im Leipziger Umland."
So besangen die DDR-Kinderchöre in den 1950er Jahren das Konsum. Während in Westdeutschland die Genossenschaftsbewegung erst langsam wieder ins Rollen kam, waren die Konsumgenossenschaften in der DDR auf Geheiß der sowjetischen Militäradministration schon ab 1945 wieder gegründet worden, erzählt Burchard Bösche, Beirat der Arbeitsstelle.
"Sie waren fest eingebunden in das sozialistische Planungssystem. Aber sie hatten mengenmäßig eine ganz große Bedeutung. Sie hatten einen Marktanteil von über einem Drittel bei Lebensmitteln in der DDR. Und im Laufe der Jahrzehnte ist das auch eher gewachsen, als weniger geworden."
Genossenschaften zeigen bis heute, wie aus kleinen Anfängen und guten Ideen wichtige Säulen des wirtschaftlichen Lebens werden könne, sagt Franklin Kopitzsch und verweist auf die Raiffeisenbanken. Die Geschichte hat allerdings auch gelehrt, dass es für diese Organisationsform gesünder ist, nicht allzu groß zu werden. Denn dann besteht die Gefahr, dass der wirtschaftliche Effizienzgedanke die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstbeteiligung überlagert.
"Ich denke kleinere Genossenschaften, die sich etwa um alternative Wohnprojekte bemühen oder die auch diesen Gedanken der Konsumgenossenschaften aufnehmen, heute durchaus auch unter ökologischen Gesichtspunkten, die gibt es in der Tat. Also, die Genossenschaftsbewegung hat heute wieder viele kleine, vielfältige, neue Wurzeln geschlagen, die aber durchaus noch vergleichbar sind mit diesen Ausgangsprinzipien, wie sie im 19. Jahrhundert formuliert wurden."
Und fügt der Historiker hinzu, gerade in einer Zeit, wo Aktienmärkte und Rendite zu bestimmenden Faktoren geworden sind, zeigen die Genossenschaften, dass man auch anders wirtschaften kann.
"Sie spielen auch in den Entwicklungsländern, in den Schwellenländern eine herausragende Bedeutung. Sind Alternativen gegenüber einer rein kapitalistischen, rein auf Gewinn orientierten Wirtschaft. Und ich glaube darin liegt weltweit auch eine Zukunftsperspektive."
Burchard Bösche, Vorstand vom Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften, zeigt Sammlerstücke aus der 160-jährigen Geschichte der Genossenschaftsbewegung.
"Oder was wir hier unten haben, das sind Flaschen. Eine Bierflasche, weil: viele Konsumgenossenschaften hatten eine eigene Bierabfüllerei oder auch eine eigene Mineralwasserfabrik."
Burchard Bösche ist im Beirat der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte, die gerade am historischen Seminar der Universität Hamburg gegründet wurde. Die erste und einzige Forschungsstelle dieser Art in Deutschland. Und das, obwohl die Genossenschaftsbewegung blüht und gedeiht.
"Die bekannteste ist die "taz" in Berlin. Oder wir haben sieben Schulgenossenschaften bei uns als Mitglieder oder zwei Behindertengenossenschaften. Ansonsten gibt es Ökoläden und Autovermietung und eine der neueren Genossenschaften ist ein Kinogenossenschaft in Ahlen, wo sich über 300 Leute zusammengetan haben, um ein Programmkino zu gründen."
Leiter der Arbeitsstelle ist Franklin Kopitzsch. Er ist Professor für Wirtschaftsgeschichte und weiß, dass Genossenschaften bis heute eine wichtige Rolle spielen.
"Die Genossenschaften sind ja mit ihren Prinzipien Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung nicht nur ein historisches Phänomen, sondern Entwicklungshilfe eine aktuell höchst bedeutsame Erscheinung. Und wir versuchen auf diese Weise den Bogen zu schlagen von der historischen Reflexion auch zur gegenwärtigen Genossenschaftsbewegung und Genossenschaftsidee."
"Miteinander geht es besser", so sangen die Genossenschaftler in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Durch den Großeinkauf der Konsumgenossenschaften konnten sie Qualitätswaren zu einem fairen Preis einkaufen und so die Lebenshaltungskosten senken.
Die erste Genossenschaft wurde 1844 in England gegründet, im Mutterland der industriellen Revolution - denn dort war das Elend der Massen besonders augenfällig. Die bis heute gültigen genossenschaftlichen Prinzipien lauteten:
Offene Mitgliedschaft für jedermann, der demokratische Grundsatz: eine Person - eine Stimme, unabhängig von den Geschäftsanteilen, politische und religiöse Neutralität.
In Deutschland griff der Richter Hermann Schultze aus Delitzsch zwei Jahre später diesen Gedanken auf. Er gründete ein Komitee zur Versorgung notleidender Menschen, erzählt der Historiker Holger Martens von der Arbeitsstelle für Genossenschaftsgeschichte.
"Indem man sich zusammengetan hat - und hat für eine Mühle oder in einer Bäckerei, wo das Brot dann gebacken worden ist, indem man sich zusammengetan hat und zusammen eine große Menge Korn eingekauft hat, war es eben günstiger und billiger, als wenn man sein Pfund Korn bei dem örtlichen Händler gekauft hat."
Es war nicht nur die Fürsorge für die Armen, die den Juristen Schultze-Delitzsch, wie er sich später nannte, zum Handeln trieb. Es war auch die Erkenntnis, dass Menschen, die im Elend leben, keine friedlichen Untertanen sind.
"Die Hungerunruhen stellten natürlich die staatliche Autorität in Frage. Ich erinnere nur an den Weberaufstand, wo ja eine Reihe von Menschen ums Leben gekommen sind. Das hat hohe Wellen geschlagen. Und die bürgerlichen Kräfte, die regierenden, haben natürlich nach Wegen gesucht, wie diesen Verhältnissen entgegenzuwirken ist."
Deutschland, wir weben dein Leichentuch,
wir weben hinein den dreifachen Fluch -
wir weben, wir weben!
Massenverelendung allein reichte allerdings nicht aus, um die Genossenschaftsidee in Leben zu rufen, weiß der Wirtschaftshistoriker Franklin Kopitzsch.
"Es gehörte sicherlich dazu die Aufklärung, also das Bewusstsein, dass die Verhältnisse, in denen man lebt, veränderbar sind, dass sie gestaltet werden können. Das ist ja ein Gedanke, der im 18. Jahrhundert in ganz Europa aufkommt, der dann forciert wird durch die französische Revolution, durch den Frühsozialismus, durch den frühen Liberalismus. Und das ist die Vorraussetzung dafür, dass so eine Idee überhaupt entstehen konnte."
Es waren zunächst liberale bürgerliche Reformer, die sich jetzt in einer veränderten historischen Situation des neuen Armutsproblems annahmen, sagt der Historiker Holger Martens.
"Vorher gab es ja die Leibeigenschaft, also die Menschen konnten gar nicht über sich selbst bestimmen. Und in dem Moment, wo die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, waren viele Menschen auf sich selbst gestellt - und es kümmerte sich niemand mehr um sie. Und von daher war die Not für viele Menschen viel größer."
Die Idee, was der Einzelne nicht vermag, das vermögen Viele, überzeugte schnell die Bauern, die Handwerker und die Arbeiter. Genossenschaften haben im 19. und frühen 20. Jahrhundert weite Teile des Lebens organisiert, erzählt Franklin Kopitzsch. Raiffeisenbanken, Molkereien, Buslinien.
"Bis hin zu einem Genossenschaftskrankenhaus in Salzhausen, das immer noch besteht. Und in der Stadt selber gibt es natürlich sehr viele Wurzeln. Wenn man daran denkt, wie stark etwa die Wohnungsbaugenossenschaften das Bild Hamburgs geprägt haben. Das sind also zwei Facetten: Konsumgenossenschaften auf der einen Seite, Wohnungsbaugenossenschaften auf der anderen Seite, wo es noch sehr viel zu erforschen und zu entdecken gibt."
Im Nationalsozialismus wurden die genossenschaftlichen Ideen von Demokratie und Solidarität verfemt. Die Genossenschaften wurden zerschlagen. Hier gibt es noch viele weiße Flecken und jede Menge Forschungsbedarf, sagt Franklin Kopitzsch.
"Ein spannendes Kapitel ist die Geschichte der Konsumgenossenschaften in der DDR und dann die Entwicklung von Konsumgenossenschaften nach der Wiedervereinigung, nach der Wende, eigentlich so im Kernland, wo viele Genossenschaften entstanden sind im Leipziger Umland."
So besangen die DDR-Kinderchöre in den 1950er Jahren das Konsum. Während in Westdeutschland die Genossenschaftsbewegung erst langsam wieder ins Rollen kam, waren die Konsumgenossenschaften in der DDR auf Geheiß der sowjetischen Militäradministration schon ab 1945 wieder gegründet worden, erzählt Burchard Bösche, Beirat der Arbeitsstelle.
"Sie waren fest eingebunden in das sozialistische Planungssystem. Aber sie hatten mengenmäßig eine ganz große Bedeutung. Sie hatten einen Marktanteil von über einem Drittel bei Lebensmitteln in der DDR. Und im Laufe der Jahrzehnte ist das auch eher gewachsen, als weniger geworden."
Genossenschaften zeigen bis heute, wie aus kleinen Anfängen und guten Ideen wichtige Säulen des wirtschaftlichen Lebens werden könne, sagt Franklin Kopitzsch und verweist auf die Raiffeisenbanken. Die Geschichte hat allerdings auch gelehrt, dass es für diese Organisationsform gesünder ist, nicht allzu groß zu werden. Denn dann besteht die Gefahr, dass der wirtschaftliche Effizienzgedanke die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstbeteiligung überlagert.
"Ich denke kleinere Genossenschaften, die sich etwa um alternative Wohnprojekte bemühen oder die auch diesen Gedanken der Konsumgenossenschaften aufnehmen, heute durchaus auch unter ökologischen Gesichtspunkten, die gibt es in der Tat. Also, die Genossenschaftsbewegung hat heute wieder viele kleine, vielfältige, neue Wurzeln geschlagen, die aber durchaus noch vergleichbar sind mit diesen Ausgangsprinzipien, wie sie im 19. Jahrhundert formuliert wurden."
Und fügt der Historiker hinzu, gerade in einer Zeit, wo Aktienmärkte und Rendite zu bestimmenden Faktoren geworden sind, zeigen die Genossenschaften, dass man auch anders wirtschaften kann.
"Sie spielen auch in den Entwicklungsländern, in den Schwellenländern eine herausragende Bedeutung. Sind Alternativen gegenüber einer rein kapitalistischen, rein auf Gewinn orientierten Wirtschaft. Und ich glaube darin liegt weltweit auch eine Zukunftsperspektive."