Montag, 13. Mai 2024

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Selbstversuch
Ein Tag im Leben einer Demenzkranken

Verstehen, wie es Dementen geht, das ist die Idee hinter dem sogenannten Demenzparcours in Oldenburg. Wie sich der Kontrollverlust für die Erkrankten anfühlt, hat Dlf-Korrespondentin Felicitas Boeselager im Selbstversuch drei Stunden lang ausprobiert. Mit überraschenden Erkenntnissen.

Von Felicitas Boeselager | 13.08.2019
Eine Seniorin spielt Memory: Zu sehen sind die Hände und Spielkarten.
Besonders ältere Menschen sind häufig von Demenz betroffen (picture alliance/ dpa/ Silvia Marks)
"Wie geht es einem, wenn ich an meine Grenzen komme? Wie geht es einem Menschen, der an Demenz erkrankt ist? Und wie kann ich mich da ein Stück mehr hinein fühlen?"
Katja Bunge-Köpping vom Senioren- und Altenpflegestützpunkt in Oldenburg erklärt mir und etwa 30 anderen Menschen, was in den nächsten Stunden auf uns zukommt:
"Das sind 13 Stationen, die rekonstruieren den Tagesablauf einer imaginären Erna Müller, von Aufstehen, Anziehen bis zum Schlafengehen"
Erna Müller ist dement und für die nächsten drei Stunden schlüpfe ich in ihr Leben. Die Aufgaben, die hier aufgebaut sind, sehen eigentlich nicht so schwer aus. Haushaltskittel anziehen, essen machen, Bilder malen – ganz alltägliche Dinge, müsste kinderleicht sein.
Einfache Handgriffe und Tätigkeiten fallen plötzlich schwer
Bei der ersten Station muss ich mit dicken Handwerkerhandschuhen einen Haushaltskittel anziehen und ihn zuknöpfen. Dabei soll ich, nur um mich zusätzlich verwirren, bis 36 zählen. Demente vergessen häufig, wie alltägliche Dinge funktionieren: Sie wissen dann zum Beispiel nicht mehr, dass ein Knopf in ein Knopfloch muss, oder wieso sie gerade einen Kittel anhaben.
"24, ääh, nein, 28, ich kann nicht mehr zählen. "Ich schwitze, und die Zeit ist längst um. Aber der Ehrgeiz packt mich, ich gebe erst auf, als alle Knöpfe zu sind. Ich bin nicht die Einzige, die nicht akzeptieren kann, dass ihr die Aufgaben hier nicht gelingen wollen, beobachtet Katja Bunge Köpping.
"Es ist interessant, wie sehr das Leistungsdenken hier auch herausgefordert wird, also wir sind alle solche Leistungsmenschen, sofort wird man an dem Stolz gepackt und an dem Ehrgeiz."
Als nächstes muss ich mir einen ewig langen Einkaufszettel inklusive Preise merken, ihn dann aufschreiben und den Gesamtpreis errechnen. "Mein Kopf blockiert jetzt schon, ich kann mir gar nicht vorstellen, dass ich mir das merken kann." Das ist aber nicht alles: Zettel und Stifte liegen in einer Holzbox, an deren Ende ein Spiegel angebracht ist. Ich kann meine eigenen Hände nur durch den Spiegel sehen und muss so versuchen, zu schreiben. "Wir malt man nochmal ein S? Also, wenn ich jetzt die Augen zu machen würde, dann würde es sofort gehen."
"Schummeln" gehört für Menschen mit Demenz oft zum Alltag
Ich habe meine eigene Hand nicht mehr unter Kontrolle und schließe die Augen, um zu schreiben. "Ich schummle, ich hab geschummelt." Schummeln ist übrigens typisch für Demente, erklärt mir Katja Bunge Köpping:
"Grade wenn sie anfänglich erkrankt sind, ihnen es sehr bewusst ist, wo sie jetzt ihre Defizite haben und dann die Angst, es könnte jemand merken, da wird ganz viel geschummelt."
Bei einer anderen Station muss ich mir Begriffe merken, die einem falschen Bild zugeordnet sind. Unter einem Bild von einem Handy steht dann zum Beispiel Kochlöffel. Nachdem ich mir diese Bilder gemerkt habe, muss ich mir zuerst eine Brille anziehen, die eine Netzhauterkrankung simuliert und damit Ball spielen. Und erst danach die Anfangsbuchstaben der Begriffe aufzählen – es ist unmöglich. Obwohl ich weiß, dass diese Aufgaben einfach nicht machbar sind, bin ich ziemlich frustriert, mir rauscht der Kopf und ich vergesse auf einmal einfache Worte
Verstehen lernen, wie es Demenzkranken geht
Nach jeder Station soll ich darüber sprechen, wie es mir geht:
"Ja, das ist scheiße, man lacht zwar so, weil es so skurril ist, dass man das nicht kann, aber in Wirklichkeit ist es natürlich irgendwie unglaublich, dass man sich nicht vertrauen kann und man kommt aus der Situation nicht raus."
Die eigenen Gefühle zu artikulieren, hilft dabei, zu verstehen, wie es Dementen geht. Warum sie sich manchmal schämen, oder aggressiv werden. Besonders wichtig sei es dabei, nicht nur auf die Defizite zu achten, sagt Katja Bunge Köpping. Auch Demente könnten sich weiter an schönen Momenten freuen und fröhlich sein. Deshalb beruhigt Bunge Köpping mich auch, als ich mich dafür schäme, weil ich beim Demenz-Parcours auch immer wieder gelacht habe.
"Also das ist ein ganz wichtiger Schlüssel in der Arbeit mit Menschen, die Einschränkungen haben, dass man auch mit Humor da ran gehen kann, dass man nicht sein eigenes Bild von der Welt auf wen anderes überstülpt, sondern vielleicht lernt, auf die Welt des anderen einzugehen."