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China zieht die Daumenschrauben an, erste Medien knicken ein

Das Jahresende naht und für offizielle Korrespondenten in China steht die Verlängerung der Visa an. Chinakritische Journalisten müssen sich bei den Behörden auf unangenehme Fragen einstellen. Die Volksrepublik nutzt den Druck ganz bewusst, in der Hoffnung, ausländische Medien von allzu kritischer Berichterstattung abhalten zu können.

Von Silke Ballweg | 23.11.2013
    Es ist ein Graubereich, ein stetes Vor und Zurück. Chinesischen Reportern ist oft nicht ganz klar, was und wie sie über Themen in der Volksrepublik berichten können. Denn die staatliche Propagandamaschinerie kontrolliert die Medien in China, sie kontrolliert sie so stark, dass kritische Journalisten sarkastisch sagen:
    "Wenn Du wissen willst, was in China los ist, musst Du die täglichen Anweisungen und Verbote aus den Propaganda-Abteilungen lesen. Denn sie geben vor, welche Geschichten und Themen verschwiegen werden müssen, und das sind die wirklich wichtigen und spannenden Debatten."
    Dazu zählen Menschenrechtsverletzungen. Demonstrationen und Aufstände in den Provinzen. Oder auch der ungeheure Reichtum, den viele politische Kader während der vergangenen Jahre angehäuft haben. Und so sind Artikel des US-Finanznachrichtendienstes Bloomberg im Juni vergangenen Jahres in China wie eine Bombe eingeschlagen. Wenige Monate vor der Wahl Xi Jinpings zum neuen Partei- und Staatschef hatte Bloomberg kein Blatt vor den Mund genommen und von dem gewaltigen Vermögen von Xi Jinping und seiner Familie berichtet. Monatelang hatten die Reporter im Geheimen recherchiert: Doch während solche Themen im Westen zum selbstverständlichen Repertoire politischer Berichterstattung zählen, waren die Artikel für Chinas Führung wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag, für den sie sich rächen wollte, sagt der Journalist einer liberalen Zeitung in China, der anonym bleiben möchte:
    "Die Partei und die Behörden können die ausländischen Medien in China nicht kontrollieren, aber sie wollten ihnen ganz sicher eine Lektion erteilen, dass so etwas nicht geduldet wird. Für Xi Jinping waren die Artikel sehr brisant, denn er stand kurz vor der Machtübernahme und das Aufsehen störte die gesamte Nachfolgeregelung. Für diese Störung bestrafte man Bloomberg."
    Der Denkzettel ließ nicht lang auf sich warten. Kurz nach Erscheinen der Artikel wurde die Webseite von Bloomberg in China gesperrt – bis heute ist sie blockiert. Wie auch die der New York Tims, die ebenfalls über den Reichtum der politischen Elite berichtet hatte. Das aber war nicht alles:
    "Ich war kurz nach Erscheinen der Geschichte damals auf einer Wirtschaftskonferenz. Ein paar Experten und Ökonomen erzählten, öffentliche Stellen hätten sie angesprochen und ihnen gesagt, sie sollten Bloomberg keine Interviews mehr geben. Man wollte der Agentur offenbar den Zugang zu guten Informationen erschweren und ihr damit das Chinageschäft versauen."
    Die Volksrepublik ist zunehmend selbstbewusst und hat in jüngster Zeit den Druck auf ausländische Medien. Erhöht. Mehreren Reportern wurden Journalisten-Visa verweigert. Wie wirksam sind die Repressionen? Ausländische Medien, etwa die New York Times oder der Guardian, berichten aktuell, Bloomberg halte derzeit chinakritische Artikel zurück. Der Chefredakteur soll China mit Nazi-Deutschland verglichen haben, man müsse sich ruhig verhalten, um überhaupt berichten zu können. Insidern zufolge fürchte die Agentur einen weiteren Rückgang des Chinageschäfts:
    "Ich bin mir sicher, dass Bloomberg Hinweise bekommen hat, welche Konsequenzen eine neuerliche Geschichte haben könnte. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie sich um ihr Geschäft in China sorgen."
    Was und wie über China schreiben? Wirtschaftliche Fragen haben bei der Berichterstattung bisher kaum eine Rolle gespielt. Doch die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zieht die Daumenschrauben an. Und die ersten Medien, so scheint es zumindest, knicken ein.

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