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Selten gehörte Opernmusik

Antonín Dvorák und die Oper - das war eine lange und nur selten glückliche Beziehung: Vom Frühwerk "Alfred", das in der Schublade landete, bis zu "Armida", einem seiner letzten Werke, uraufgeführt im Todesjahr 1904. Zehn Opern insgesamt, von denen sich im internationalen Repertoire nur eine behaupten konnte: Die Märchenoper "Rusalka". Vier der weniger bekannten Opern, sowie das hierzulande ebenfalls selten zu hörende Oratorium "Die Heilige Ludmila" hat das Label Orfeo unter dem Dirigat von Gerd Albrecht bereits vorgelegt: Die jüngste Veröffentlichung dieser verdienstvollen Serie widmet sich Dvoráks zweiter Oper "König und Köhler".

Von Ingo Dorfmüller |
    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - Ouvertüre (Beginn) aus: "König und Köhler"

    Die Entstehungsgeschichte von Dvoráks "König und Köhler" ist lang und windungsreich. Die Urfassung von 1871 war das Werk eines knapp dreißigjährigen Prager Orchestermusikers, der als Komponist noch kaum hervorgetreten war. Dvorák war da noch lange nicht, was er unter dem Einfluss Johannes Brahms' in seinen späteren Jahren werden sollte - einer der Vollender der klassischen Tradition nämlich - , sondern ein Anhänger der neudeutschen Schule und ein geradezu devoter Wagner-Verehrer. Die erste Fassung von "König und Köhler" wurde dann auch prompt als "unspielbar" zurückgewiesen; erst nach gründlicher Umarbeitung kam das Stück 1874 auf die Bühne, ohne jedoch einen allzu tiefen Eindruck zu hinterlassen. Das änderte sich auch mit der wesentlich gestrafften dritten Fassung 1887 und den Retuschen einer vierten, posthumen Fassung nicht. Diese letzten, dramatisch wohl schlagkräftigeren Versionen liegen auch der Aufnahme zugrunde.

    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - 2. Akt: Ensemble mit Chor (Ausschnitt) aus: "König und Köhler"

    Allen Fassungen gemeinsam ist die Dominanz ausladender Ensemblesätze: An ihnen entzündete sich seinerzeit die Kritik - sie seien viel zu gewichtig, zu anspruchsvoll, im Ausdruck zu melancholisch, zudem hemmten sie den Fortgang der doch eigentlich sehr leichtgewichtigen Komödienhandlung. In der Tat: Das Libretto des Prager Juristen und Gelegenheitsliteraten Bernard Guldener leistet kaum mehr, als ein Standardthema romantischer Komödiantik routiniert abzuspulen: Der König, unerkannt unter seinem Volk weilend, stiftet zunächst allerlei Verwirrung und zum guten Ende - nachdem es beinahe zu einer Eifersuchtstragödie gekommen wäre - eine Ehe. Angesiedelt ist das Ganze im frühen 17. Jahrhundert, zur Zeit des Königs Matthias, bei den Köhlern im Wald vor Prag - in einer idealisierten Vergangenheit, die es so nie gegeben hat: Die Köhler nämlich lebten zu allen Zeiten am unteren Rand der Gesellschaft, oft genug in Elend und Schmutz, und keineswegs in dem in der Oper imaginierten bescheidenen Wohlstand. Und doch werden sie hier zum Vehikel der Sehnsüchte: Nach einem naturnahen Leben, dass von den Entfremdungsprozessen der industriellen Zivilisation noch nicht affiziert wäre; nach einem Herrscher, der aus der Mitte des Volks heraus agierte und gleichsam demokratisch legitimiert wäre - eine Spitze, zweifellos, gegen die zunehmend als Fremdherrschaft empfundene habsburgische Regierung. So gesehen ist die Beschwörung der "guten,alten Zeit" nicht nur rückwärtsgewandt - sie birgt durchaus utopisches Potential: Ein Potential, das sich nach Meinung der Zeitgenossen im Nationalstaat realisierte. So bildet ein patriotischer Chorsatz auch in "König und Köhler" den Schluss.

    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - 3. Akt: Schlusschor aus: "König und Köhler"

    Die Gesellschaft formiert sich neu, Standesprivilegien schwinden, anstelle der hierarchischen Ordnung sollen nun rigide soziale Kontrolle und bürgerliches Sittsamkeitsdiktat für gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen. Auch davon weiß die Oper zu erzählen: Ein harmloser, aus Dankbarkeit gegebener Kuss wird Anlass zu einer Messerstecherei, später auch noch Gegenstand einer hochnotpeinlichen Befragung, ehe das junge Paar, Liduska und Jeník, endlich zusammenfindet. Dass der eifersüchtige Bräutigam Verständnis, sein Verhalten allgemeine Billigung erfährt, und auch die Braut selbst nicht etwa dagegen protestiert, wie mit ihr umgesprungen wird, sondern es ergeben und schuldbewusst annimmt: Das zeigt, dass es mit der persönlichen Freiheit, zumal der der Frauen, auch im herbeiphantasierten idealen Nationalstaat nicht weit her wäre.

    Der Komponist Antonín Dvorák allerdings, als Sohn eines Schlachters und Gastwirts ausgesprochen plebejischer Herkunft, ein Mann, der zu nationalistischen Bestrebungen wie zum bürgerlichen Establishment gleichermaßen Distanz zu wahren wusste, konnte diesen Handlungsentwurf nicht einfach eins zu eins in Musik übersetzen. In den melancholischen Verschattungen, die den Zeitgenossen so unpassend schienen, artikuliert sich seine Skepsis. Allein die Musik erschließt in der an sich läppischen ländlichen Charade ungeahnte Tiefendimensionen.

    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - 1. Akt: Quartett (Ausschnitt) aus: "König und Köhler"

    Das utopische Moment der Handlung - für den Komponisten liegt es anderswo, als es Text und Handlung suggerieren: In der ursprünglichen, vom gesellschaftlichen Vorurteil noch ganz freien und alle Konventionen ignorierenden Liebe zwischen Liduska und Jeník. Doch schon durch ihr Duett im ersten Akt zieht sich ein weher, schmerzlicher Ton, der die Vergeblichkeit ihrer Hoffnung andeutet.

    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - 1. Akt Duett Liduska - Jeník: aus: "König und Köhler"

    Es sind die feinen, genau ausgearbeiteten Details, die flüchtigen chromatischen Trübungen, die dynamischen und klangfarblichen Schattierungen, die dieser Musik ihren besonderen Reiz verleihen. Gerd Albrecht dirigiert mit feinem Gespür für diese Zwischentöne, lässt das präzise und klangschön spielende WDR-Sinfonieorchester aber in den Tanzszenen auch ordentlich auftrumpfen und weiß die großen Ensembles zwingend zu steigern. Dazu steht ihm ein idiomatisch absolut sattelfestes Ensemble zur Verfügung, das weniger durch exquisiten Schönklang, als durch rollendeckende Charakterisierungskunst besticht. Auch die Chöre - der Prager Kammerchor und der Kölner Rundfunkchor - artikulieren genau. Es handelt sich hier um Live-Mitschnitte aus der Kölner Philharmonie, was der dramatischen Spannung der Aufführung gut tut, ohne der Präzision nennenswert zu schaden - alles in allem: Eine rundum interessante und gelungene Wiederentdeckung.

    Musikbeispiel: Antonín Dvorák - 1. Akt: Finale (Ausschnitt) aus: "König und Köhler"

    Die Neuaufnahme von Antonín Dvoráks Oper "Král a Uhlir" - "König und Köhler" unter der Leitung von Gerd Albrecht mit Dalibor Jenis, Livia Ághova und Michal Lehotsky in den Hauptrollen ist auf dem Label Orfeo erschienen.

    Antonín Dvorak: "König und Köhler"
    Dalibor Jenis, Livia Ághova und Michal Lehotsky
    Breedt Prager Kammerchor
    WDR Rundfunkchor Köln
    WDR Sinfonieorchester Köln
    Leitung: Gerd Albrecht
    Label: Orfeo
    Labelcode: LC 8175