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Selten genutztes Recht

Seit den 70er Jahren gibt es das Recht auf Bildungsurlaub in Deutschland. Nur in wenigen Bundesländern müssen Arbeitnehmer darauf verzichten. Dennoch wurden die Angebote stets nur sehr zaghaft genutzt. Inzwischen sind es weniger als zwei Prozent der berechtigten Arbeitnehmer, die einen jährlich möglichen Bildungsurlaub antreten.

Von Andrea Lueg | 31.07.2006
    Bildungsurlaub - eigentlich eine prima Sache für Arbeitnehmer. In den meisten Ländern hat man Anspruch auf fünf bis sechs Tage bezahlte Freistellung pro Jahr, um an einem Seminar teilzunehmen, entweder zur beruflichen oder politischen Weiterbildung. Oft kann man auch den Anspruch aus zwei Jahren zusammenziehen und sich dann zehn Tage weiterbilden. Nur wer in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder Thüringen wohnt, hat Pech gehabt. Da gibt es kein Bildungsurlaubsgesetz. So gut das Angebot klingt, in Anspruch genommen wird es nur von einem verschwindend kleinen Teil der Beschäftigten.

    "Haben Sie schon mal Bildungsurlaub gemacht?"

    "Nein"

    "Keine Zeit"

    "Schon ewig her"

    "Als Jugendliche"

    "Gab es nie Gelegenheit."

    Weniger als zwei Prozent der berechtigten Arbeitnehmer nehmen heute ihren Bildungsurlaub, genaue Statistiken werden schon gar nicht mehr geführt. Viele kennen ihren Anspruch noch nicht mal, dabei gibt es die Landesgesetze zum Teil schon seit über 30 Jahren. Die ersten Anstöße kamen Mitte der 60er Jahre aus der Gewerkschaftsszene. Man wollte mit neuen Formen bildungsungewohnte Arbeitnehmer erreichen, ihnen die "Glückserfahrung" des Lernens vermitteln und Impulse für lebenslanges Lernen geben, erzählt Norbert Reichling vom Bildungswerk der Humanistischen Union.

    #"Also die Idee war auch durch eine besondere Veranstaltungsform, eine besondere Zeitform, nämlich jetzt nicht ein Abendvortrag, sondern durch eine kompakte Woche oder sogar zwei Wochen jemand wirklich einen intensiven Impuls zu geben, zu merken, ach, in mir steckt noch mehr, und da will ich dran weitermachen."

    Modelle für Bildungsurlaub gab es damals in Italien und auch in Skandinavien. Anfang der 70er Jahre startete die Bundesregierung ein großes Modellprogramm zum Bildungsurlaub. Und Mitte der 70er Jahre schließlich traten die ersten Bildungsurlaubsgesetze in den Pionierländern Hessen und Niedersachsen in Kraft.

    "Aus heutiger Sicht betrachtet war es eine relativ reiche Zeit, muss man sagen. Diese Bildungsurlaubsgesetze sind alles mehr oder weniger verzahnt auch mit anderen Bildungsgesetzen, das heißt, es gab in den 70er Jahren auch einen großen Ausbau der Erwachsenenbildung, der Weiterbildung, durch Ländergesetze, es gab neue Regelungen, es gab den Versuch, da eine gewisse Ordnung reinzubringen aber es gab auch finanzielle Förderung durch die Bundesländer. Und darauf satteln dann praktisch diese Bildungsurlaubsgesetze auf, indem sie sagen, wenn wir jetzt schon dabei sind ein System der Weiterbildung zu entwickeln, dann können diese Institutionen auch das noch leisten, diese Gruppe der Bildungsungewohnten oder wie man heute sagt, Bildungsarmen anzusprechen."

    Die Ursprungsidee war, dass geistige Beweglichkeit der Arbeitnehmer allen zugute komme. Deshalb unterstützt der Staat Einrichtungen, die Bildungsurlaub anbieten, die Teilnehmer zahlen Gebühren und der Arbeitgeber zahlt den Lohn auch während des Bildungsurlaubs weiter.

    "Eigentlich habe ich gedacht, dass das was für Jugendliche ist."

    "Zuerst waren wir beruflich stark eingespannt, und jetzt haben wir zwei kleine Kinder, und da bietet sich das nicht so an."

    "Ich glaube nicht, dass sich die Chefs damit zufrieden geben."

    Ein Renner war der Bildungsurlaub bei Arbeitnehmern nie, aber in den Anfangsjahren nahmen ihn immerhin vier bis fünf Prozent der Berechtigten in Anspruch. Noch weniger angetan waren die Arbeitgeber. In den 70er und 80er Jahren ging es in den meisten Angeboten noch um politische Bildung. Inzwischen hat sich das umgekehrt, und 80 bis 90 Prozent der Bildungsurlaube betreffen die berufliche Bildung. Arbeitgeber beklagten von Anfang an, die Maßnahmen seien für Betriebe zu teuer und brächten zuwenig Nutzen. Es gab in den 80er Jahren eine Klage der Arbeitgeber, die bis vor das Bundesverfassungsgericht ging.

    "Und die haben klipp und klar gesagt, es ist erstens eine am Gemeinwohl orientierte Aufgabe, weil sie dem Gemeinwesen über die politische Bildung zugute kommt, und zum zweiten ist es auch eine Kostenteilung, weil alle etwas beitragen. Insofern ist es keine ungebührliche Belastung der Arbeitgeber."

    Doch zu Ende war der Streit damit nicht. Tausende arbeitsgerichtliche Prozesse wurden und werden zum Teil heute noch um den Bildungsurlaub geführt, oft über mehrere Instanzen. Das habe neben anderem dazu geführt, meint Norbert Reichling, viele Arbeitnehmer abzuschrecken. Und die Arbeitsmarktlage tut ein Übriges.

    "Es ist insgesamt ein bundesweites Klima in den Betrieben, dass man sich natürlich in diesen Jahren stärker überlegt, ob man so ein Recht, was ja eigentlich ein ganz normales gesetzliches Recht ist, in Anspruch nimmt."

    Nach der Wende führten schließlich auch drei der neuen Bundesländer Bildungsurlaubsgesetze ein, mit enger gefassten Bedingungen und in Mecklenburg-Vorpommern sogar mit einem Modell, bei dem den Arbeitgebern ihre Kosten erstattet werden.

    Bildungsurlaub – das wird oft belächelt als getarnte Ferien oder als Angebote, bei denen man auf Arbeitgeberkosten seine Hobbys verfolgt – Wattwandern an der Nordsee, Tai Chi in der Toskana. Dabei sind die meisten Seminare solche zur beruflichen Qualifizierung und Auslandskurse werden selten anerkannt. Hat vielleicht der Begriff Bildungsurlaub geschadet?

    "Muss man heute wohl so sagen, ja."

    Campus & Karriere befasst sich vom 31. Juli bis zum 4. August täglich mit dem Thema Bildungsurlaub.