Sandra Schulz: Es war das folgenschwerste Gefecht für die Bundeswehr seit ihrem Bestehen: stundenlange Kämpfe mit radikal-islamischen Taliban in der Nähe des deutschen Feldlagers Kundus. Drei deutsche Soldaten starben am Karfreitag in Afghanistan. Heute werden die Gefallenen noch einmal geehrt. An der Trauerfeier am Nachmittag im niedersächsischen Selsingen, dem Heimatstandort der getöteten Fallschirmjäger, nimmt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teil, und vielleicht spielen dann auch schon die neuen Begrifflichkeiten eine Rolle. Verteidigungsminister zu Guttenberg sprach bisher ja von kriegsähnlichen Zuständen und am Wochenende hat er präzisiert, wenn man das eine Präzisierung nennen will:
"Auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Afghanistan, in Teilen Afghanistans abspielt, durchaus umgangssprachlich, ich betone 'umgangssprachlich', in Afghanistan von Krieg reden."
Schulz: Und diese Wortwahl, das ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel klarstellen, war auch mit ihr abgestimmt. - Wir wollen das alles einzuordnen versuchen mit dem Politikwissenschaftler Professor Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Umgangssprachlich könne man von Krieg sprechen. Was ist mit dieser Klarstellung gewonnen?
Münkler: Es ist so etwas wie eine semantische Frontbereinigung, um in der entsprechenden Terminologie zu bleiben, die der Verteidigungsminister vorgenommen hat. Man merkt ja inzwischen doch, dass es eine Unruhe in der Bevölkerung darüber gibt, dass seitens der Politik gewissermaßen wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen wird, um dieses K-Wort. Auf der anderen Seite ist inzwischen in der Kommunizierung dessen ein Maß von Ironie entstanden über dieses Verhalten der Regierung, dass man hier dringenden Handlungsbedarf hatte.
Ich glaube aber, er hat es darum auf umgangssprachlich eingeschränkt, weil er die juristischen Konsequenzen des offiziellen politischen Gebrauchs des Kriegsbegriffs, sozusagen von der Versicherungspolice bei Lebensversicherungen, Ausschluss der Auszahlung im Kriegsfall, bis hin zu bestimmten Weiterungen, vermeiden wollte. Er will sozusagen beides haben. Ob das auf Dauer gut geht, wird man bezweifeln können.
Schulz: Wenn wir auf den Nachmittag schauen: Angela Merkel nimmt an der Trauerfeier teil. Sie sagt, es sei ihr ein Anliegen - das hat ihr Sprecher gestern so gesagt. Da war allerdings die Forderung nach ihrer Teilnahme schon in der Welt. Warum ist das überhaupt so ein wichtiges Signal?
Münkler: Nun ja, es gibt ja bei uns in der Gesellschaft eine Diskussion, ob das hinreichend anerkannt wird, von der Politik, aber auch von den gesellschaftlichen Gruppen anerkannt wird, das Opfer, das von den Soldaten seitens der Politik abverlangt wird. Das ist ein Opfer, das kann man nicht gewissermaßen unter normalem Berufsrisiko verbuchen und sagen, das ist sozusagen in die Besoldung eingeschlossen. Insofern müssen wir uns jetzt allmählich herantasten an eine neue Symbolik, bei der solche Opfer, die nicht sozusagen aus eigenem Antrieb gebracht werden, sondern die gleichsam der Staat, das Gemeinwesen von den Soldaten einfordert, auch anerkannt werden, und zwar symbolisch und demonstrativ.
Schulz: Und da fällt immer wieder eine Formulierung: Die Opfer dürften nicht umsonst gewesen sein. Das hat der ISAF-Kommandeur für Afghanistan, Leidenberger, am Wochenende wieder so formuliert. Steckt darin auch der Gedanke, die Soldaten seien für eine, für die gute Sache gestorben?
Münkler: Ja, natürlich spielt das eine Rolle. Ich meine, man kann ja nicht sagen, dass diese Soldaten dort hingeschickt worden sind, weil Deutschland zentrale strategische Interessen am Hindukusch habe, sondern es ist erstens Bündnissolidarität, zweitens sicherlich auch eine Wahrnehmung, dass es da ein Problem gibt und es sinnvoll ist, dafür zu sorgen, dass in Afghanistan so etwas wie eine Minimalstaatlichkeit existiert, und drittens, aber ganz wesentlich ist ja ihr Einsatz im objektiven, wenn nicht immer auch subjektiven Interesse der afghanischen Bevölkerung. Insofern glaube ich schon, dass diese Dimension eine zentrale Rolle spielt.
Schulz: Aber ist das Argument nicht auch irreführend? Ist nicht sowieso klar, dass der Tod eines Soldaten, unabhängig natürlich davon, wie die Kämpfe ausgehen, umsonst ist?
Münkler: Na ja, gut. Umsonst ist der Tod nicht und derlei mehr lässt sich dann darüber natürlich spötteln. Ich denke, es ist eine nicht besonders kluge Formulierung, weil sie ja die Bedeutung hat, sozusagen den Durchhaltewillen dieses Einsatzes aufrecht zu erhalten. Also wenn man sagt, diese Soldaten dürfen nicht umsonst gefallen sein, dann heißt das auch, wir können diesen Einsatz jetzt nicht ergebnislos auf halbem Wege oder gar als gescheitert abbrechen. Das allerdings ist eine problematische Geschichte, denn sozusagen jenseits der gebrachten Opfer muss es immer auch die Frage geben, welche Perspektiven verbinden sich inzwischen noch damit und welche Chancen haben wir, unsere Ziele zu erreichen. Sinnvollerweise sollte man das auch nicht dadurch blockieren, dass man sagt, weil wir jetzt schon diese Opfer gebracht haben, darf keine Revision der Ziele und ihrer Umsetzungsperspektiven vorgenommen werden, also verbuchen wir das mal eher unter den üblichen Floskeln.
Schulz: Und wie passt dieser Opfergedanke überhaupt zu unserer Demokratie, der Gedanke, dass sich Bürger - die Soldaten verstehen sich ja als Staatsbürger in Uniform - für eine Sache mit ihrem Leben opfern? Wie passt das zusammen?
Münkler: Ja, natürlich. - Ich glaube, Demokratie und Opfer hat kein Problem miteinander. Im Prinzip ist eigentlich die Demokratie die Staatsform, die am ehesten das Opfer ihrer Bürger verlangen kann, weil es ja das Opfer für alle zusammen ist, wenn man das emphatisch denkt und beschreibt. Das gilt dann sehr viel mehr als für autoritäre oder aristokratische Regime. Wir Deutsche haben allerdings aufgrund einer bestimmten Entwicklung und des Umstandes, dass wir die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der wir in Europa ja führend an der Anzettelung von Kriegen und ihrer Führung beteiligt gewesen sind, gleichsam die Verweigerung, die Distanzierung gegenüber dem Krieg als ein politisches Lernen rubriziert. Und deswegen fällt uns das ein bisschen schwer. Wir glauben, Demokratie und kein Krieg geht sozusagen eng Hand in Hand miteinander. Das ist aber eine Nahperspektive, die für ein paar Generationen in Deutschland so plausibel ist, die aber sicherlich historisch nicht zutrifft.
Schulz: Was ja auch Hand in Hand geht mit einer Distanz zu einem Heldenbegriff. Nähern wir uns jetzt einem neuen deutschen Heldenbegriff an?
Münkler: Ich habe in anderen Zusammenhängen davon gesprochen, dass wir eine postheroische Gesellschaft seien, und ich glaube, daran ist nichts zu ändern und daran wird sich auch nichts ändern, weil ein lautstarkes Getue um Heldentum nicht möglich ist in einer Gesellschaft, die so niedrige demografische Reproduktionsraten hat und die religiös so kalt ist. Aber es muss natürlich andererseits auch eine Form von Anerkennung gegenüber den gefallenen Soldaten geben, die über das hinausgeht, was vielleicht noch eine Sonderprämie ist und was die Anwesenheit der Kanzlerin bei einer Gedenkveranstaltung darstellt. Es muss eine Form von Anerkennung geben, die würdig ist, die sich aber absetzt von den alten Heldengedenktagen der deutschen Geschichte.
Schulz: Es gibt jetzt seit dem vergangenen Sommer ja eine neue Ehrung für Soldaten: das Ehrenkreuz für Tapferkeit. Das hat Angela Merkel im Juli zum ersten Mal verliehen an vier Soldaten. Können Sie uns das noch mal genauer erklären, warum gibt es dieses Bedürfnis für solche Ehrungen?
Münkler: Nun ja, auch die Soldaten unterscheiden sich ja untereinander. Die einen sind ein bisschen mutiger, treten stärker für ihre Kameraden ein, andere halten sich eher im Hintergrund. Jenseits gewissermaßen der Anerkennung von Leistung, Tapferkeit und Mut durch die Gesellschaft bedarf es sozusagen einer innerbetrieblichen Hierarchisierung, und die erfolgt im Falle der Verleihung von Orden nicht über Beförderung, also über die militärische Hierarchie, sondern durch davon unabhängige eigenständige Auszeichnungen. Das ist ein Instrumentarium organisationsinterner Anerkennung und Auszeichnung, das in die Gesellschaft hineinstrahlt in dem klassischen Sinne, wie das auch sonst in anderen Gesellschaften, auch in demokratischen Gesellschaften der Fall ist.
"Auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Afghanistan, in Teilen Afghanistans abspielt, durchaus umgangssprachlich, ich betone 'umgangssprachlich', in Afghanistan von Krieg reden."
Schulz: Und diese Wortwahl, das ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel klarstellen, war auch mit ihr abgestimmt. - Wir wollen das alles einzuordnen versuchen mit dem Politikwissenschaftler Professor Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Herfried Münkler: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Umgangssprachlich könne man von Krieg sprechen. Was ist mit dieser Klarstellung gewonnen?
Münkler: Es ist so etwas wie eine semantische Frontbereinigung, um in der entsprechenden Terminologie zu bleiben, die der Verteidigungsminister vorgenommen hat. Man merkt ja inzwischen doch, dass es eine Unruhe in der Bevölkerung darüber gibt, dass seitens der Politik gewissermaßen wie die Katze um den heißen Brei herumgeschlichen wird, um dieses K-Wort. Auf der anderen Seite ist inzwischen in der Kommunizierung dessen ein Maß von Ironie entstanden über dieses Verhalten der Regierung, dass man hier dringenden Handlungsbedarf hatte.
Ich glaube aber, er hat es darum auf umgangssprachlich eingeschränkt, weil er die juristischen Konsequenzen des offiziellen politischen Gebrauchs des Kriegsbegriffs, sozusagen von der Versicherungspolice bei Lebensversicherungen, Ausschluss der Auszahlung im Kriegsfall, bis hin zu bestimmten Weiterungen, vermeiden wollte. Er will sozusagen beides haben. Ob das auf Dauer gut geht, wird man bezweifeln können.
Schulz: Wenn wir auf den Nachmittag schauen: Angela Merkel nimmt an der Trauerfeier teil. Sie sagt, es sei ihr ein Anliegen - das hat ihr Sprecher gestern so gesagt. Da war allerdings die Forderung nach ihrer Teilnahme schon in der Welt. Warum ist das überhaupt so ein wichtiges Signal?
Münkler: Nun ja, es gibt ja bei uns in der Gesellschaft eine Diskussion, ob das hinreichend anerkannt wird, von der Politik, aber auch von den gesellschaftlichen Gruppen anerkannt wird, das Opfer, das von den Soldaten seitens der Politik abverlangt wird. Das ist ein Opfer, das kann man nicht gewissermaßen unter normalem Berufsrisiko verbuchen und sagen, das ist sozusagen in die Besoldung eingeschlossen. Insofern müssen wir uns jetzt allmählich herantasten an eine neue Symbolik, bei der solche Opfer, die nicht sozusagen aus eigenem Antrieb gebracht werden, sondern die gleichsam der Staat, das Gemeinwesen von den Soldaten einfordert, auch anerkannt werden, und zwar symbolisch und demonstrativ.
Schulz: Und da fällt immer wieder eine Formulierung: Die Opfer dürften nicht umsonst gewesen sein. Das hat der ISAF-Kommandeur für Afghanistan, Leidenberger, am Wochenende wieder so formuliert. Steckt darin auch der Gedanke, die Soldaten seien für eine, für die gute Sache gestorben?
Münkler: Ja, natürlich spielt das eine Rolle. Ich meine, man kann ja nicht sagen, dass diese Soldaten dort hingeschickt worden sind, weil Deutschland zentrale strategische Interessen am Hindukusch habe, sondern es ist erstens Bündnissolidarität, zweitens sicherlich auch eine Wahrnehmung, dass es da ein Problem gibt und es sinnvoll ist, dafür zu sorgen, dass in Afghanistan so etwas wie eine Minimalstaatlichkeit existiert, und drittens, aber ganz wesentlich ist ja ihr Einsatz im objektiven, wenn nicht immer auch subjektiven Interesse der afghanischen Bevölkerung. Insofern glaube ich schon, dass diese Dimension eine zentrale Rolle spielt.
Schulz: Aber ist das Argument nicht auch irreführend? Ist nicht sowieso klar, dass der Tod eines Soldaten, unabhängig natürlich davon, wie die Kämpfe ausgehen, umsonst ist?
Münkler: Na ja, gut. Umsonst ist der Tod nicht und derlei mehr lässt sich dann darüber natürlich spötteln. Ich denke, es ist eine nicht besonders kluge Formulierung, weil sie ja die Bedeutung hat, sozusagen den Durchhaltewillen dieses Einsatzes aufrecht zu erhalten. Also wenn man sagt, diese Soldaten dürfen nicht umsonst gefallen sein, dann heißt das auch, wir können diesen Einsatz jetzt nicht ergebnislos auf halbem Wege oder gar als gescheitert abbrechen. Das allerdings ist eine problematische Geschichte, denn sozusagen jenseits der gebrachten Opfer muss es immer auch die Frage geben, welche Perspektiven verbinden sich inzwischen noch damit und welche Chancen haben wir, unsere Ziele zu erreichen. Sinnvollerweise sollte man das auch nicht dadurch blockieren, dass man sagt, weil wir jetzt schon diese Opfer gebracht haben, darf keine Revision der Ziele und ihrer Umsetzungsperspektiven vorgenommen werden, also verbuchen wir das mal eher unter den üblichen Floskeln.
Schulz: Und wie passt dieser Opfergedanke überhaupt zu unserer Demokratie, der Gedanke, dass sich Bürger - die Soldaten verstehen sich ja als Staatsbürger in Uniform - für eine Sache mit ihrem Leben opfern? Wie passt das zusammen?
Münkler: Ja, natürlich. - Ich glaube, Demokratie und Opfer hat kein Problem miteinander. Im Prinzip ist eigentlich die Demokratie die Staatsform, die am ehesten das Opfer ihrer Bürger verlangen kann, weil es ja das Opfer für alle zusammen ist, wenn man das emphatisch denkt und beschreibt. Das gilt dann sehr viel mehr als für autoritäre oder aristokratische Regime. Wir Deutsche haben allerdings aufgrund einer bestimmten Entwicklung und des Umstandes, dass wir die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der wir in Europa ja führend an der Anzettelung von Kriegen und ihrer Führung beteiligt gewesen sind, gleichsam die Verweigerung, die Distanzierung gegenüber dem Krieg als ein politisches Lernen rubriziert. Und deswegen fällt uns das ein bisschen schwer. Wir glauben, Demokratie und kein Krieg geht sozusagen eng Hand in Hand miteinander. Das ist aber eine Nahperspektive, die für ein paar Generationen in Deutschland so plausibel ist, die aber sicherlich historisch nicht zutrifft.
Schulz: Was ja auch Hand in Hand geht mit einer Distanz zu einem Heldenbegriff. Nähern wir uns jetzt einem neuen deutschen Heldenbegriff an?
Münkler: Ich habe in anderen Zusammenhängen davon gesprochen, dass wir eine postheroische Gesellschaft seien, und ich glaube, daran ist nichts zu ändern und daran wird sich auch nichts ändern, weil ein lautstarkes Getue um Heldentum nicht möglich ist in einer Gesellschaft, die so niedrige demografische Reproduktionsraten hat und die religiös so kalt ist. Aber es muss natürlich andererseits auch eine Form von Anerkennung gegenüber den gefallenen Soldaten geben, die über das hinausgeht, was vielleicht noch eine Sonderprämie ist und was die Anwesenheit der Kanzlerin bei einer Gedenkveranstaltung darstellt. Es muss eine Form von Anerkennung geben, die würdig ist, die sich aber absetzt von den alten Heldengedenktagen der deutschen Geschichte.
Schulz: Es gibt jetzt seit dem vergangenen Sommer ja eine neue Ehrung für Soldaten: das Ehrenkreuz für Tapferkeit. Das hat Angela Merkel im Juli zum ersten Mal verliehen an vier Soldaten. Können Sie uns das noch mal genauer erklären, warum gibt es dieses Bedürfnis für solche Ehrungen?
Münkler: Nun ja, auch die Soldaten unterscheiden sich ja untereinander. Die einen sind ein bisschen mutiger, treten stärker für ihre Kameraden ein, andere halten sich eher im Hintergrund. Jenseits gewissermaßen der Anerkennung von Leistung, Tapferkeit und Mut durch die Gesellschaft bedarf es sozusagen einer innerbetrieblichen Hierarchisierung, und die erfolgt im Falle der Verleihung von Orden nicht über Beförderung, also über die militärische Hierarchie, sondern durch davon unabhängige eigenständige Auszeichnungen. Das ist ein Instrumentarium organisationsinterner Anerkennung und Auszeichnung, das in die Gesellschaft hineinstrahlt in dem klassischen Sinne, wie das auch sonst in anderen Gesellschaften, auch in demokratischen Gesellschaften der Fall ist.