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Semiramide

Noch viele herrliche barbiere möge er der Welt schenken: immer nur "opere buffe". Ansonsten werde er sein Schicksal herausfordern, schrieb der schon taube Ludwig van Beethoven dem auf der Überholspur dahin rasenden jüngeren Kollegen ins Stammbuch, als der ihn besuchte in seiner schmutzig-unaufgeräumten Absteige. Rossini hielt sich nicht an die Empfehlung des gleichwohl bewunderten Meisters. Er wusste meist auch gar nicht vorher, was man ihm zu komponieren gab, eine Tragödie oder Komödie.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Semiramide, das ein Jahr nach der Wiener Begegnung entstandene Werk um die assyrische Königin Semiramis, die mit Hilfe ihres Geheimdienstchefs ihren Mann umbringt, dann in den nach der Geburt verschollenen und später als Heerführer Karriere machenden gemeinsamen Sohn sich verliebt und ihn auf den Thron des Landes heben will, bis dann durch eine Geistererscheinung des ermordeten Ex und ein Briefdokument die ganzen ödipalen Verstrickungen offenbar und bereinigt werden – Semiramide ist ein "Melodramma tragico".

    Es ist die letzte für Italien komponierte Oper Rossinis, 1823 uraufgeführt in Venedig. Eine Vier-Stunden-Opernwucht der halsbrecherischsten Belcanto-Arien, Ensembles und vor allem Duette. Mit ihren Wahnsinnsszenen ein Markstein auf dem Weg über die Bellini und Donizetti hin zur großen französischen Oper eines Giacomo Meyerbeer.

    Erstmals wohl überhaupt hat man dies Werk ungekürzt mit allen Ausweitungen und Wiederholungen hierzulande nun auf die Bühne gebracht dank Alberto Zedda, als Dirigent und Herausgeber der Rossini-Spezialist. Und trotz Alter quicklebendig am Pult, bringt er das Orchester der Berliner Deutschen Oper zu einem duftig-delikaten Klang des virtuosen Raffinements.

    Es ist ein höchst interessantes Experiment, wenn auch keineswegs alltagstauglich. Sängerinnen für die Hauptpartien der Königin Semiramis und ihres verschollen geglaubten Sohns Arsace, die Dramatik und Koloraturen-Festigkeit als Sopran beziehungsweise Mezzo verbinden, muss man mit der Lupe suchen.

    Zumal Jennifer Larmore in der Hosenrolle des Arsace und mit kleinen Abstrichen Darina Takova in der Titelpartie der Semiramis, die als usurpatorische Königin erst durch die Umstände gezwungen wird, in den von ihr zugeschüttet geglaubten Abgrund zu blicken, leisten hier Überragendes.

    Das endet sehr bitter, indem ein junger unbedarfter Mann verwickelt wird in die Geschichte der Eltern, in eine Thronfolge-, Rache- und Sonstwas-Geschichte und am Ende selber zum Thronfolger wird, indem er seine Mutter umgebracht hat, also ein entsetzliches Erbe antritt.

    So Kirsten Harms, noch Kieler Intendantin, die Regisseurin dieser Berliner Quasi-Uraufführung. In einem Betonpalast gemäßigt orientalischer Moderne ihres Ausstatters Bernd Damovsky lässt sie das Stück spielen. Dessen dramatischer Fortgang wird verabreicht nur in homöopathischen Dosen zwischen den glitzernden, die Sänger vor allem beanspruchenden Koloraturen.

    Kaum möglich, da eine ausgefeiltere Regiearbeit zu versuchen, zumal wenn Sänger dieses Fachs nach wie vor zwei bis drei Wochen Probenzeit für genügend halten. So wird denn vor allem geschritten und gestanden, auf Sofas und Betten sich gefläzt. Die einstürzenden "Gärten der Semiramis" als herabgestürzte Blumenkästen und die giovannesk Hamlet huldigenden Geistererscheinungen sind schon die dramatischsten Ereignisse.

    Das Publikum verabreichte dem Regieteam am Ende vor allem Buhs, umarmte mit Jubel lediglich die Sänger und den Dirigenten. Und immerhin musikalisch war das ja zum Abschluss der abrupt von Senats wegen abgebrochenen Intendanz Udo Zimmermanns noch ein kleiner, fast unerwarteter Höhepunkt, der die Gesamtbilanz der zwei Zimmermann-Jahre denn doch noch etwas aufhellt.

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