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Semprúns Besuche in Buchenwald

Herzlich und gelassen - so beschreibt Volkhard Knigge seine Eindrücke von Jorge Semprún. Den Direktor der Gedenkstätte Buchenwald und den verstorbenen Schriftsteller, der als junger Mann in dem KZ einsaß, verband eine enge Freundschaft.

Volkhard Knigge im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Nach dem Ende der DDR kehrte Semprún, der schon im Elternhaus Deutsch gelernt hatte, zum ersten Mal nach Buchenwald zurück. Fast jährliche Besuche sollten folgen, und bei einem davon sagte Semprun dort unter anderem:

    Heute, so viele Jahre später, auf diesem dramatischen Raum, dem Appellplatz von Buchenwald, an der letzten Grenze eines Lebens von zerstörten Gewissheiten und von Illusionen, die ich gegen Wind und Wetter bewahrt habe, erlauben Sie mir eine heitere, gelassene und würdige Erinnerung an jenen jungen Mann, der mit 22 Jahren eine Bazooka in seinen Händen hielt.

    Koldehoff: Volkhard Knigge, Sie sind Direktor der Gedenkstätte Buchenwald. War Semprún dort, wo er gequält worden war, mit dem Tod rechnen musste, tatsächlich gelassen? Haben Sie ihm das abgenommen?

    Volkhard Knigge: Ich habe ihm diese Gelassenheit abgenommen, weil er hat dieser Gelassenheit einen spezifischen Grund gegeben und dieser Grund besteht darin, dass er nicht mehr in einem Konzentrationslager stand, sondern in einer Gedenkstätte, dass er an einem Ort stand, an dem Tat und Tätern nicht das letzte Wort gelassen wurden.

    Koldehoff: Er ist oft bei Ihnen gewesen. War das eine Freundschaft, war das ein verhaltenes Miteinander? Wie ist er gewesen, wenn er bei Ihnen war?

    Knigge: Herzlich, ganz einfach herzlich. Das war kein verhaltener Kontakt, das war Herzensfreundschaft und intellektuelle Ratgeberschaft, hätte ich beinahe gesagt. Er hat mir, als wir uns das zweite Mal begegneten, etwas gesagt, das ich nie vergessen werde. Er hat mir gesagt, 'Knigge, du bist mein guter Kommandant', und ich bin innerlich fast zusammengesunken und dachte mir, dieser Mensch und ich sein guter Kommandant, und ich habe ihn gefragt, 'was meinst du damit', und er hat mir etwas sehr wichtiges erklärt. Er hat gesagt, 'das Lager, in dem man befreit worden ist, bleibt für immer die eigentliche Heimat, das ist der Ort, von dem aus man nun die Welt und das Geschehen in der Welt wahrnimmt und bedenkt, das Lager ist etwas, das zur Normalität meines Lebens gehört hat und von dem ich hoffe, dass es nie wieder zur Normalität von anderen gehört'.

    Koldehoff: Was verliert – und man scheut sich ja fast, diese Frage zu stellen -, was verliert die Gedenkstätte Buchenwald durch den Tod von Jorge Semprún?

    Knigge: Dieses strahlende Lachen, diese Herzenszugewandtheit, und das gehört vielleicht auch zur Gelassenheit und das gehört dazu, dass man mit ihm nicht nur wunderbar reden, sondern sich auch herzlich freuen konnte.

    Koldehoff: Volkhard Knigge war das, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, und auch er erinnerte an den Schriftsteller und an den Menschen Jorge Semprún.


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