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Sendereihe "Mission Erde"
Teil 4: Positionsbestimmung für die Forschung

Die Satellitennavigation hat die Arbeit vieler Naturwissenschaftler radikal verändert. Astronomie und Raumfahrt nutzen die Technik schon vergleichsweise lange, andere Disziplinen profitieren erst allmählich von GPS-Daten - zum Beispiel die Erdbebenforschung oder die Ornithologie.

Von Karl Urban | 11.02.2014
    Auf einer Wiese im Alpenvorland sitzt eine Gruppe von Waldrappen. Die großen schwarzen Vögel mit den abstehenden Kopffedern schauen unsicher zu dem Ultraleichtflugzeug hinüber, auf dem ihre menschlichen Zieheltern sitzen. Die Vögel stammen aus einem Zoo – in freier Wildbahn sind sie seit über 300 Jahren ausgestorben. Obwohl sie also in Gefangenschaft aufgewachsen sind, besitzen sie noch den Drang, im Herbst in den Süden zu fliegen. Aber die genaue Route steckt nicht in ihren Genen und ist somit längst vergessen.
    Nach vielen Versuchen hat der Biologe Johannes Fritz den Vögeln mit seinen ehrenamtlichen Helfern wieder eine Flugroute beigebracht. Die Waldrappe folgten dem Flugzeug am Ende – und überquerten erstmals in ihrem Leben die Alpen.
    "Das heißt, aufgrund der Machbarkeitsstudie haben wir jetzt die Absicht, nachhaltig Waldrappen in Europa anzusiedeln: als Zugvögel mit drei Brutkolonien nördlich der Alpen und einem Wintergebiet in der südlichen Toskana."
    Ins Winterquartier und zurück fliegen einige Tiere nun wieder ohne menschliche Hilfe. Am Bein der Vögel steckt lediglich ein winziger GPS-Empfänger, der ständig von mindestens vier Satelliten des Globalen Positionierungssystems Daten empfängt. Dadurch kennen die Forscher ständig die Position der Vögel.
    "Also ohne die Verfügbarkeit dieser Technologie, könnte ich mir die Ansiedlung des Waldrapps in Europa definitiv nicht vorstellen."
    Die Position von Wildtieren mit Satelliten zu bestimmen, ist für Vogelkundler noch vergleichsweise neu. Die Idee, mithilfe von Satelliten zu navigieren, ist dagegen so alt wie die Raumfahrt selbst.
    Der Physiker William Guier arbeitete 1957 am Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University im US-Bundesstaat Maryland. Er berichtet fast 40 Jahre später, was damals passierte, als die Sowjetunion Sputnik-1 in eine Umlaufbahn schickte. Es passierte an einem Freitag.
    "Nach dem Start von Sputnik gingen wir erst mal ins Wochenende und verfolgten die Sache im Fernsehen. Am Montag sprachen alle darüber, auch in der Kantine, wo ich mit meinem Kollegen George Weiffenbach saß. Und mir fiel auf: Alle redeten darüber, aber niemand hörte zu!"
    William Guier und George Weiffenbach dagegen analysierten die Signale von Sputnik, wenn er über ihre Köpfe flog: Die Radiowellen wurden gestaucht, wenn sich der Satellit näherte und gedehnt, wenn er sich wieder entfernte. Schon nach wenigen Monaten veröffentlichten die Forscher die Idee, daraus die Geschwindigkeit des Satelliten zu berechnen. In den folgenden Jahren entwickelten sie dann eine Methode, aus der bekannten Bahn mehrerer Satelliten die eigene Position auf der Erde zu berechnen. Allerdings sollten noch drei Jahrzehnte vergehen, bis tatsächlich ein globales Navigationssystem funktionierte. Selbst nach dem Start der dafür notwendigen 24 Satelliten im Jahr 1993 war das GPS noch ungenau. Der Grund: Das US-Militär verschlechterte absichtlich die frei zugänglichen Daten. In der Raumfahrtbranche ist es jedoch üblich, dass nützliche Technologien irgendwann auch der breiten Öffentlichkeit zugute kommen, hat Hartmut Grassl über die Jahre beobachtet.
    Im Jahr 2000 ließ Bill Clinton zu, dass jedermann seine exakte GPS-Position empfangen konnte
    "Da sprechen Sie jetzt einen Punkt an, der nach meiner Beobachtung, weil ich das ja jetzt über 40 Jahre hinweg einigermaßen mitbekommen habe: Die Kluft bei der Technologieanwendung für die Militärs und für die Zivilisten schrumpft."
    Der Physiker und Meteorologe hat die Entwicklung diverser Satelliten in Deutschland und Europa mit vorangetrieben. Tatsächlich ließ US-Präsident Bill Clinton ab dem Jahr 2000 zu, dass jedermann seine exakte GPS-Position empfangen konnte. Das eröffnete der Wissenschaft ganz neue Möglichkeiten – zum Beispiel in der Erdbebenforschung.
    "Das Positionierungssystem ist inzwischen fähig, winzige Horizontalverschiebungen auf der Erde oder auch vertikale Verschiebungen zu messen. Auf einmal kann man überhaupt mal daran denken, dass wir in Zukunft vielleicht die Wahrscheinlichkeiten für eine Veränderung in Richtung nächstes Erdbeben besser abschätzen können als bisher. Ich vermeide das Wort Erdbebenvorhersage. Das wird es sehr lange noch nicht geben. Aber immerhin: Das Risiko einzuschätzen, das haben uns auch die Weltraumsensoren gebracht."
    Das Satelliten-Navigationssystem kommt heute vielen Disziplinen zugute. Zum Beispiel als präziser Taktgeber: Weil sich an Bord der Satelliten Atomuhren befinden, versorgen sie jeden GPS-Empfänger auf der Welt jederzeit mit der hochgenauen Uhrzeit. So können etwa Astronomen die vorausberechnete Bedeckung ferner Sterne durch Planeten genau im richtigen Moment beobachten.
    Die Biologen beginnen dagegen gerade erst, die Navigationsdaten zu nutzen – dank immer leichterer GPS-Geräte, die heute kaum noch 30 Gramm wiegen. Bei der Wiederansiedlung des Waldrapps haben die Sender bereits geholfen: Als einer der Vögel abgeschossen wurde, halfen seine Positionsdaten, den illegalen Jäger schnell zu überführen.