Freitag, 03. Mai 2024


Senegal: Aufbruch zwischen Hoffen und Bangen

Pikin heißt der Stadtteil der senegalesischen Hauptstadt Dakar, in dem die Hirsemühle steht, an der Moussa arbeitet. Es ist staubig und heiß. Moussa trägt ein dreckiges T-Shirt und abgetragene Hosen. Die Hirsemühle hinter ihm ist aus Gusseisen, so groß wie ein Schulkind, und wirkt sehr stabil. Der Stand mit der Hirsemühle liegt am Eingang des Marktes. Der Markt, das sind dicht aneinander gedrängte Verkaufsstände. In einer Ecke gibt es Wäsche, in der anderen Tomaten und Gemüse. In der nächsten Trockenfrüchte. Es riecht nach gegrilltem Fleisch und Zwiebeln. In die Gassen des Marktes fällt nur wenig Licht.

Von Rüdiger Maack | 24.04.2006
    Moussa redet nicht gern.

    " Ich möchte auch nach Europa. Aber ich habe es noch nicht probiert. Senegal ist nicht gut. Zu viele Probleme. "

    Sein Bruder Cheikh kommt vorbei. Er will uns mitnehmen in das Zimmer, das er gemietet hat. In der Öffentlichkeit mag Cheikh nicht über seine Reisepläne reden. So, wie die meisten Senegalesen: Wer sich auf den Weg machen will, lässt niemanden davon wissen - noch nicht einmal die eigene Familie. Irgendwann kommt dann ein Anruf aus dem Ausland. Manchmal aber auch nicht.

    " Sie haben Angst, zu sterben. Viele kommen ums Leben. Das ist schwierig. Von 100 Leuten, die gehen, sterben vielleicht 50. Also, das ist ein großes Risiko und alles hängt von Gott ab und es gibt viele viele, die sterben. "

    Deswegen erzählt er seinen Freunden auch nicht, was er vorhat. Cheikh fürchtet, dass sie versuchen, es ihm auszureden. Oder dass die Alten auf dem Dorf von seinen Plänen erfahren. Cheikh kommt nicht aus Dakar, sondern aus einem kleinen Dorf über 100 Kilometer von der senegalesischen Hauptstadt entfernt. Dort leben noch seine Eltern und ein paar jüngere Verwandte. Auch seinen Eltern wird er nicht sagen, was er vorhat. Er fürchtet ihre Kritik: wenn die Alten es ihm verbieten, dann kann er nicht gehen: den Eltern und den Alten im Dorf muss er gehorchen.

    " Bevor ich das nächste Mal reise, werde ich ihnen vielleicht sagen, dass ich verreise, aber ich werde ihnen nicht sagen, wohin. Erst wenn ich angekommen bin: dann werde ich sie anrufen! Sonst würden sie von mir nur verlangen, dass ich hier bleibe! "

    Als er 20 war, ist Cheikh vom Dorf in die Stadt gegangen, nach Dakar. Lange ist er nicht geblieben, er hat keine richtige Arbeit gefunden. Also ging er auf Reisen. Vor sechs Jahren hat er schon einmal versucht, nach Europa zu kommen. Er wurde geschnappt und abgeschoben. Kaum zurück in Dakar, zieht er weiter in die Elfenbeinküste. Die Elfenbeinküste, das war damals noch ein Land, in dem man Arbeit finden konnte. Cheikh fand Arbeit - doch dann versank das Land in einem Konflikt zwischen Nord und Süd, der vor allem auf dem Rücken der Gastarbeiter ausgetragen wurde.

    2004 wird er aus der Elfenbeinküste vertrieben. Auf dem Weg zurück nach Senegal fällt er liberianischen Rebellen in die Hand. Sie nehmen ihm alles ab, was er bei sich hat - auch alle Ersparnisse. Er kommt mit nichts als seinen Kleidern am Leib wieder nach Dakar zurück.

    Als er nach Hause kommt, ist seine Frau verschwunden: Sie hat ihn verlassen, weil er sich so lange nicht um sie gekümmert hatte und auch kein Geld mehr da war.
    Jetzt will er wieder nach Europa.

    " Ich denke jeden Tag darüber nach, wie ich meiner Frau und meiner Familie das Leben sichern kann. Ich habe eine Frau, aber sie ist zu ihrer Familie zurückgekehrt, weil mir die Mittel fehlten. Wenn Du nicht genügend Geld hast, respektieren Dich die Frauen nicht. "

    Um etwas Geld zu verdienen, verkauft Cheikh jetzt auf den Straßen in der Innenstadt von Dakar Souvenirs: Amulette, Ketten, Ringe, Anhänger. Jeden Tag zieht er die belebtesten Straßenzüge auf und ab. Wenn er Glück hat, verdient er 3 oder 4 Euro am Tag.

    " Ich habe nicht genug Kohle, also verdiene ich erst Mal Geld und dann werde ich meine nächste Reise vorbereiten. Ich lasse das in den Händen Gottes. Es gibt viele, die vor mir gestorben sind. Alles das entscheidet Gott. "

    500.000 Franc will er zusammen sparen, sagt er. Das ist eine Menge Geld, aber es sollte reichen, um ihn bis nach Europa zu bringen. 500.000 Franc, das sind 750 Euro. Wieviel er davon bereits zusammen hat, will er nicht sagen. Wie lange es noch dauern wird, bis er den Rest gespart hat, auch nicht.

    Er ist sich sicher: Dieses Mal wird es ganz bestimmt klappen mit Europa. Dort wird er genügend Geld verdienen. Seine Frau wird wieder zu ihm zurückkehren. Er wird für seine Eltern sorgen können. Und sich ein Haus bauen

    " Ein Freund von mir ist nach Spanien gegangen. Nach zwei Jahren hat er sich ein Haus gekauft, er hilft seinen Eltern, er hat Kinder - er ist 1999 gegangen. 2003 ist er dann wieder zurückgekommen - und hat ein eigenes Haus! Dabei ist er noch nicht einmal alt, erst 23! "

    Von einem eigenen Haus kann Cheikh nur träumen. Er bewohnt ein Zimmer in einem verfallenden Haus. Breite Risse ziehen sich durch die gelben Außenmauern, das Dach des eingeschossigen Gebäudes ist aus Wellblech. Die Wände des Zimmers sind feucht, die Farbe bröckelt ab. Außer einer Kommode, einer Matratze und ein paar Decken ist nichts darin. Cheikh teilt sich dieses Zimmer und das einzige Bett mit zwei Brüdern.

    Ein paar Straßen weiter treffen wir Ahmed. Auch er ist dabei, seine Abreise vorzubereiten. Auch er hat es schon einmal versucht und ist gescheitert.

    " Für die Illegalen ist es am einfachsten, über Spanien einzureisen. Wenn Du erst Mal drin bist, kannst Du sehen, wie Du nach Italien, Frankreich oder Deutschland weiterkommst oder Holland. "

    Nach Frankreich oder Italien möchte er. Ahmed ist gelernter Schweißer, doch er würde jeden Job annehmen.

    " Europa - da kann man viel verdienen. Im Vergleich zu hier. Wenn Du 100 Euro verdienst, sind das 65.000 Franc. Wenn man das jeden Tag verdient, ungefähr, dann geht es einem gut."

    Sein Onkel steht neben ihm, ein kleiner freundlicher älterer Herr. Bei ihm wohnt Ahmed. Der Onkel weiß, dass Ahmed über kurz oder lang gehen wird, und er ist damit einverstanden.

    " Wenn wir heute die Jungen dazu drängen, in Europa ihr Glück zu suchen, dann nur deshalb, weil er von dort seiner Familie helfen kann. Dort verdient er mehr. Einer, der emigriert, kann mir aus Europa jeden Monat Geld schicken. "

    Für den Senegal ist das schon die zweite Wanderungswelle, die das Land binnen eines Jahrhunderts erlebt. Beim ersten Mal zogen die Jungen vom Land in die Sädte. Aber "die Arbeit, die unsere Eltern sich für uns in der Stadt erhofft hatten", sagt einer, "die haben wir Jungen nicht mehr gefunden."

    Also ziehen sie jetzt weiter, dahin, wo sie sich die größten Chancen erhoffen Dieses Mal ins Ausland - nach Europa.
    " Der Staat Senegal muss sich ändern. Die Jungen müssen Arbeit bekommen oder irgendjemand muss ihnen Arbeit geben, damit sie im Land bleiben. Nur wenn Du in Deinem Land Arbeit findest, brauchst Du nicht zu emigrieren. "