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Senegal vor den Präsidentschaftswahlen

Am kommenden Sonntag wählen die Senegalesen ihren Präsidenten. Das westafrikanische Land gilt seit vielen Jahren als Modell-Demokratie, ein Land, das seit seiner Unabhängigkeit von Frankreich 1960 keinen einzigen Staatsstreich erlebt hat - in Afrika eine Seltenheit.

Von Martina Zimmermann |
    Senegal gilt auch deshalb als Vorbild, weil im Jahr 2000 ein Wechsel nach demokratischen Spielregeln stattfand: Der Liberale Abdoulaye Wade wurde zum Präsidenten gewählt, nachdem er jahrzehntelang in der Opposition war gegen die sozialistischen Präsidenten Leopold Sedar Senghor und Abdou Diouf, die das Land vierzig Jahre lang regierten.

    Im Jahr 2000 versprach Abdoulaye Wade einen Wandel: Das Schlagwort in der Landessprache Woloff war 'sopi'. Sieben Jahre später wendet sich der frühere Rechtsanwalt auf seinen Wahlkampfkundgebungen wieder an die Jugend, der er damals seine Wahl verdankte. (Fast 43 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 20 Jahre). Das Argument des Präsidenten für seine Wiederwahl: Er wolle die Infrastruktur des Landes weiter ausbauen.

    " Die Jugend im ganzen Land hat mich bejubelt, wie heute in Tambakounda. Hier entsteht ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, mit einer Linie aus Dakar.... Die Bahn wird einmal bis nach Bamako führen und ganz Westafrika durchqueren! Um das Land weiter zu entwickeln, brauchen wir eine gut ausgebildete Jugend. Alle wichtigen Baustellen im Land werden mit der strikten Anweisung in Angriff genommen, vorrangig die Jugend und die Arbeiter des jeweiligen Departements und der Region einzustellen. "

    "Pharao Wade" nannte die Zeitschrift L'Express den senegalesischen Präsidenten ob seiner gigantischen Bauwut: An der Küstenstraße Dakars kündet ein Betonsockel von einem künftigen Fünf-Sterne-Hotel, an der Hauptverkehrsader der Hauptstadt bauen senegalesische Bauarbeiter unter chinesischem Kommando die Straße aus. Eine Umgehungsautobahn ist geplant, ebenso ein neuer Flughafen. Das Eisenbahnnetz des ganzen Landes soll instand gesetzt werden. Um Dakar zu entlasten, soll sogar eine neue politische Hauptstadt 120 Kilometer nordöstlich aus dem Boden gestampft werden. Dank dieser Bauwut blüht und gedeiht die Korruption wie nie zuvor.

    Das Porträt des 80-jährigen Präsidenten Wade prangt überall in Dakar und den Vororten an den Wänden. Doch insgesamt konkurrieren 15 Politiker um das höchste Staatsamt, zum Beispiel Ousmane Dieng, Führer der Sozialistischen Partei, die Senegal die 40 Jahre lang regiert hatte, bevor Wade an die Macht kam. Darunter auch zwei ehemalige Premierminister Wades, Idrissa Seck und Moustapha Niasse. Niasse war bereits unter den Sozialisten Minister, wechselte dann aber 2000 ins Lager des frisch gewählten Wade. Heute kritisiert Moustapha Niasse die zahllosen Baustellen:

    " Dakar hat sich heute in einen Schweizer Käse verwandelt! Wir sind aber keine Insekten, sondern Menschen. Wir leben nicht in Löchern, sondern auf der Erde! Präsident Wade will keine Diskussion, weil er keine glaubwürdige Bilanz vorweisen kann. Wir, das senegalesische Volk, fragen: Was hat er in den sieben Jahren gemacht? Wir fragen auch, was hat er mit den 16 Millionen Dollar aus Taiwan gemacht? Wir fragen auch: Was ist mit den 13 Milliarden aus Spanien geschehen, die für die Jugend gedacht waren. Wo sind die 13 Milliarden? "

    13 Milliarden CFA Francs sind etwa 20 Millionen Euro, die Madrid der senegalesischen Regierung für die ausgewiesenen illegalen Einwanderer versprochen hatte.

    Seine Rivalen beschuldigen Wade, für den größten Exodus, den das Land seit der Unabhängigkeit erlebt hat, verantwortlich zu sein: Denn die meisten der 30.000 Afrikaner, die im vergangenen Jahr die Küsten der Kanarischen Inseln in einfachen Fischerbooten erreichten, waren Senegalesen.

    Auch in diesem Jahr sind bereits über 1.000 Auswanderer auf den spanischen Inseln angekommen, mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres! Hunderte von Afrikanern wurden bereits von Spanien nach Senegal zurückgeschickt.

    Mbour liegt fast hundert Kilometer südlich von Dakar. Die Stadt hat über 150.000 Einwohner und ist der zweitgrößte Fischereihafen des Landes. Eigentlich ist der "Hafen" aber nur ein Strand, an dem die Pirogen auslaufen. Mütter, die ihre Babys auf den Rücken gebunden haben, warten am Wasser auf die Rückkehr der Fischer. Die Frauen verkaufen Tintenfische und Meeresfrüchte. Leydou Diop reinigt Meerschnecken vom Sand. Sie ist Witwe und muss ihre Kinder alleine versorgen.


    " Die Leute wollen nach Europa, weil sie keine Arbeit haben... Wer hier bleibt, verdient nicht genug. Ein Junge muss nach Deutschland zum Geld verdienen!... Sein Vater ist alt, seine Mama ist alt, was soll er sonst tun? "

    Die anderen Frauen klatschen Beifall. Der 37-jährige Abdou zeigt auf die Boote im Wasser:

    " Da sind die großen Pirogen. Sie können 22 Menschen und 9 Tonnen Fisch aufnehmen. All diese Pirogen fahren in der Nacht hinaus und kommen anderntags bis spätestens mittags zurück. Mit denselben Pirogen fahren die Emigranten aufs Meer hinaus. Wie du siehst, müssen wir neue Pirogen bauen, weil so viele weg sind! Wenn einer zwei oder 300.000 CFA zahlt und du stopfst 100 Leute auf deine Piroge, dann hast du Millionen verdient, selbst wenn die Piroge danach kaputt ist!... Die Fischer machen das auch, weil es nichts mehr zu fischen gibt. Als ich jünger war, konnte man kaum über den Markt gehen - man lief auf lauter Fischen! Aber heute gibt es nichts mehr, sieh dich um. "

    Hinter ihren Körben mit Fischen handeln die Männer um den Preis. Abdoulaye stammt aus Saint Louis im Norden. Zu Anfang des Jahres arbeitet der Fischer wie viele andere in Mbour, weil hier das Wasser wärmer ist. Einen größeren Fang hat er dennoch nicht gemacht. Die europäischen Fangflotten haben die Küstengewässer leer gefischt, schimpft Abdoulaye. Er verlange 4000 CFA für den ganzen Korb, erklärt er in der Landessprache Woloff. Das sind etwa sechs Euro, aber keiner will die kleinen Fische kaufen.

    " Wenn es so weitergeht, gehen wir alle nach Spanien! "

    Der 24-jährige Ibrahim erklärt:

    " Bei uns gibt es einen Spruch: Barcelona oder Barzakh. Das bedeutet, wenn ich es nicht bis nach Barcelona schaffe, dann sterbe ich lieber, als in Senegal zu bleiben. Barzakh - das ist der Tod. "

    Auch der 29-jährige Taxifahrer Modou will auswandern. In Senegal verdient er den gesetzlichen Mindestlohn von rund 60 Euro im Monat:

    " Damit kannst du deine Familie nicht ernähren. Da ist es besser, wenn du abhaust. Selbst wenn du stirbst, ist das in Ordnung. Du musst weg, selbst wenn du unterwegs stirbst. Dann hast du wenigstens deine Ruhe. Unterwegs zu sterben ist besser, als in Senegal zu bleiben. "

    Barcelona oder Barzakh, stimmt Sech Mbenge zu. Er hat bereits versucht, den Traum von Europa zu verwirklichen. Hat 300.000 CFA für die Überfahrt in einer Piroge gezahlt. Die rund 450 Euro hat der Fischer in drei Jahren zusammengespart.

    " Wir hatten mit dem Boot eine Panne und mussten mit dem Auto nach Senegal zurück.... Um mit einem anderen Boot weiterzukommen, brauchst du Geld, und ich hatte keines mehr. Aber wenn ich wieder 300.000 zusammen habe, versuche ich es noch einmal. "

    Radio Oxyjeunes sendet aus Pikine, einer eineinhalb Millionen Einwohner-Vorstadt von Dakar. Im Fischerviertel Thiaroy sind mindestens hundert Tote zu beklagen, die bei der Überfahrt in Pirogen ums Leben kamen. Regelmäßig wird auf dem Sender über die so genannte "heimliche Auswanderung" diskutiert.

    Mit Millionen aus Europa sollen Straßen gebaut und Arbeitsplätze geschaffen werden, um die Senegalesen im Land zu halten. Und auch in der Landwirtschaft sollen sie ein Auskommen finden: Retour vers l'agriculture - zurück zur Landwirtschaft - heißt das Regierungsprogramm "Reva".

    Ist Reva nicht nur dazu da, um die westlichen Geldgeber zu beruhigen? fragen die Studiogäste auf Radio Oxyjeunes. Die Jugend sei über den Plan nicht informiert.

    " Wir hören immer von Milliarden. Die gehören uns! Die Europäische Union hat dem Staat Milliarden gegeben. Der braucht das Geld nur den Illegalen zu geben, damit die sich organisieren können, wie sie es wollen. "

    Sekane ist ein Fischer aus Thiaroy-sur-mer, der die illegale Fahrt bis auf die Kanarischen Inseln überlebt hat, dann aber aus Spanien ausgewiesen wurde: Senegal arbeitet eng mit der Europäischen Union zusammen, um das Problem der illegalen Einwanderer in den Griff zu bekommen. Abkommen mit Frankreich und Spanien regeln die legale Auswanderung und sollen die illegale verhindern. Französische Luftpatrouillen melden den senegalesischen Behörden illegale Pirogen. Spanier und Italiener helfen bei der Überwachung der Küsten. Dass Senegal mit dem französischen Innenminister Sarkozy ein Abkommen zur Regelung der Immigration unterschrieben hat, wird im Wahlkampf jedoch kritisiert, ebenso, dass Präsident Wade die Ausweisung der Afrikaner akzeptiert hat. Abdou Latif Coulibaly, Direktor des Instituts für Information und Kommunikation:

    " Wäre ich Präsident,... ich hätte mich geweigert, ein solches Abkommen zu unterzeichnen. Warum darf Europa seine Waren bei uns einführen, will aber unsere Kinder nicht bei sich haben? Ich finde es unverantwortlich, wenn afrikanische Regierungen mit Europa Abkommen unterzeichnen, die jungen Afrikanern untersagen, nach Europa zu gehen. Es ist kriminell, dass Abdoulaye Wade für 13 Milliarden akzeptiert hat, dass junge Senegalesen ausgewiesen werden. Es ist eine Schande für Afrika, sich mit Europa auch nur an einen Tisch zu setzen und darüber zu verhandeln. Europa soll seine Probleme mit der Immigration allein lösen! "

    Abdou Latif Coulibaly ist ein erklärter Gegner von Präsident Wade. Aber die Gründe für die Auswanderung sucht der bekannte Journalist und Buchautor nicht nur bei der Regierung.

    " Afrikas Anteil am Welthandel beträgt ein Prozent, 80 Prozent des Volkes sind Analphabeten und haben keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung! Das zeigt das ganze Desaster. Und wenn der Westen uns eine Milliarde Euro leiht, lässt er sich vier Milliarden zurückzahlen. Das ist das Problem, nicht die Verzweiflung der jungen Leute, auf die man mit dem Finger zeigt. Das Problem liegt zum einen darin, wie die internationale Wirtschaft organisiert ist, und zum anderen liegt es an den Regimes in unseren Ländern, die nicht im geringsten bewusst machen, dass sie die Verantwortung tragen für die Nation, sondern zuerst an sich denken: an ihr eigenes Schicksal und das ihres Clans und ihrer Familie.... Es geht da um Millionen von Menschenleben. Und wenn die europäische Kommission die europäischen Bauern subventioniert, dann müssen die Europäer begreifen, dass sie damit unsere afrikanischen Bauern ruinieren (weil zum Beispiel ein EU-Hähnchen billiger ist als ein einheimisches)! Sie müssen verstehen, dass sie nicht immer das Gesetz des Stärkeren durchsetzen können, das Gesetz des Dschungels. "

    Von den über elf Millionen Senegalesen leben viele im Ausland, etwa 50.000 allein in Frankreich, das jedes Jahr weitere 10.000 legal aufnimmt, ein Fünftel davon Studenten. Aber die Senegalesen arbeiten auch in den USA oder in Südafrika. Ihre Überweisungen nach Hause machen rund zwölf Prozent des senegalesischen Bruttosozialprodukts aus, fast soviel wie die Entwicklungshilfe.

    Die jungen Senegalesen wollen es den Auswanderern nachmachen. Und wenn sie kein Visum bekommen, versuchen sie es eben ohne, erklärt der Journalist Lamine Gueye:

    " Dann geht es nur noch um die Frage des Transportmittels. Ein junger Afrikaner zwischen 18 und 30 träumt davon, nach Europa zu gehen und Geld zu verdienen. Man darf nicht vergessen, dass es viele Einwanderer in Europa zu etwas gebracht haben. Sie haben hier in Senegal ein Haus gebaut, haben ein schönes Auto, sie können jeden Monat ihre Familie unterstützen. Die jungen Leute träumen davon, es genauso zu machen, viele Euros zu verdienen und dann ihren Eltern zu helfen, ein Haus zu kaufen und eine schöne Frau zu heiraten. "

    Mor Gueye, sein Kollege bei Radio Oxyjeunes:

    " Die Jugend brachte Meister Wade an die Macht, und heute sind die jungen Leute so verzweifelt, dass sie in Pirogen auf die Kanarischen Inseln abhauen. Das ist das Problem. Es ist schwer, in Senegal eine Arbeit zu finden. Ich kenne Leute, die haben studiert, die haben ein abgeschlossenes Studium oder eine Berufsausbildung und finden keine Arbeit. Sie haben ihr Glück auf einer Piroge versucht und wurden wieder ausgewiesen.... Man muss diesen jungen Leuten eine Alternative bieten. "

    Die Hauptsorge von Präsident Wade ist offensichtlich die, am Ruder zu bleiben. Bereits zweimal hat er die Parlamentswahlen verschoben, die nun im Juni stattfinden sollen. Er hat den Senat aufgelöst und die Zahl der Abgeordneten im Parlament erhöht, um das Mehrheitsverhältnis in seinem Sinne zu beeinflussen.

    Am 28. Januar verbot Wade eine Demonstration der Opposition und ließ mehrere Präsidentschaftskandidaten für ein paar Stunden verhaften. Für den Kritiker Abdou Latif Coulibaly ein Beispiel dafür, dass die Demokratie "von ihren Eliten als Geisel genommen wird", wie er es in seinem jüngsten Buch beklagt:


    " Wenn die Justiz ihren Namen nicht verdient, weil sie nicht in der Lage ist, die Freiheiten des Bürgers zu schützen, dann schafft das etliche Probleme. Wenn das Parlament nur ein Handlanger der Mächtigen ist und Gesetze verabschiedet, die es nicht mal genau durchliest, dann ist das ebenfalls ein Problem. Wenn die Zivilgesellschaft, die die Politiker kontrollieren soll, so schwach und so wenig organisiert ist und so wenig Mittel hat, dann ist das ein Problem. Last but not least die Presse: Sie stürzt sich auf Geschichtchen und Sensationen, ohne den Dingen auf den Grund zu gehen. "

    Seinen populären ehemaligen Premierminister Idrissa Seck ließ Präsident Wade von Juli 2005 bis Februar 2006 in Untersuchungshaft stecken, wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit". Seck wurde verdächtigt, hohe Summen unterschlagen zu haben. Seine Anhänger wiederum beschuldigten Präsident Wade, einen Rivalen aus dem Weg räumen zu wollen. Denn Idrissa Seck will ebenfalls Präsident werden.

    Am 7. Februar 2006 wurde "Idy Seck", wie er von den Senegalesen genannt wird, freigesprochen. Der 47-Jährige hat sich vor kurzem mit Präsident Wade versöhnt, bleibt aber weiterhin Kandidat und damit ein Konkurrent und potentieller Nachfolger.

    Manche sehen darin eine Taktik, um die Opposition zu zersplittern und letztendlich Präsident Wade zur Wiederwahl zu verhelfen. Was meint das Volk angesichts der Wahlkampfmanöver?

    Der 58-jährige Familienvater Pierre Williams, Versicherungsagent in Dakar:

    " Die Politiker hier in Senegal sind wie überall in Afrika: Sie wollen an die Macht, um sich zu bereichern,... oder um Privilegien zu ergattern. Das zeigen die Skandale, die das politische Leben bestimmen: Leute, die nichts haben, wenn sie an die Macht kommen und nach ein paar Jahren Millionäre sind. Das ist wirklich entmutigend für den normalen Bürger, der nicht in einer Partei ist und das Gefühl hat, angeschmiert zu werden. Trotzdem ist es besser als früher, es herrscht mehr Transparenz.... Unter den Sozialisten machten sie alles unter sich aus, ohne dass man etwas davon erfuhr. "

    Präsident Wade gilt als Favorit bei der Wahl. Politische Beobachter gehen davon aus, dass er allerdings nicht gleich im ersten Wahlgang gewählt wird. Und dann - so wird gemunkelt - könnte Wade unter Missachtung der demokratischen Spielregeln versuchen, einen zweiten Wahlgang zu verhindern.

    Jedenfalls ist der Ausgang der Wahlen so unvorhersehbar wie nie zuvor in der Geschichte Senegals.