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Senioren? Nein danke!

Seniorenstudenten sind pünktlich, besetzen die Sitzplätze und glänzen mit ihrem Wissen. In München gibt es für sie ab diesem Jahr Einschränkungen. Die Uni muss nämlich die Seniorenstudierende und den doppelten Abiturjahrgang unter einen Hut bringen.

Von Susanne Lettenbauer |
    "Es gibt Vorlesungen, die sind sehr beliebt bei Seniorenstudenten. Da muss man als Student wissen, dass man keinen Sitzplatz mehr bekommt, wenn man nicht eine halbe Stunde früher da ist. Teilweise muss man sich mit den Seniorenstudenten sogar anlegen, weil man über so alberne Sachen streitet, ob es wichtiger ist, das da die Tasche auf dem Stuhl liegt oder so was."

    "Es passiert mitunter sogar, dass Senioren in Seminaren sitzen, die für sie ausdrücklich nicht zugelassen sind."

    Wenn die Studierenden der Musikwissenschaft an der LMU an den doppelten Abiturjahrgang denken, wird ihnen mulmig. Stehplätze bei Vorlesungen, die seit der Bachelor/Master-Umstellung zur Anwesenheit verpflichten, der Kampf um einen Sitzplatz in Seminaren – heute schon tägliche Realität in den Nicht-Numerus-Clausus-Fächern:

    "Also ich habe ja Geschichte im Nebenfach, das sehr beliebt ist bei Senioren, vor allem die Zeitgeschichtsvorlesungen. Ich bin im achten Semester, war ein Semester im Ausland, als ich wiederkam, hatte ich das Gefühl, was ist denn hier los! Da sitzen ja nur noch alte Leute in den Vorlesungen."

    Ganze Studienpläne haben Studierende deshalb schon verändert. Statt in die beliebten Vorlesungen gehen sie in die weniger interessanten Veranstaltungen, obwohl sie 500 Euro Studiengebühren pro Semester bezahlen:

    "Also wir hatten hier mal ein Seminar über Thomas Mann und die Musik, wo dann überhaupt keine Studenten mehr drin waren nach der ersten Sitzung, wo nur noch Seniorenstudenten drin saßen, der Vorsitzende der Thomas-Mann-Gesellschaft und lauter so Leute. Die hatten wahnsinnig viel Ahnung. Da hatte man als normaler Student keine Chance, da irgendwie mitzureden."

    Julia Hamm kann diesen Eindruck nicht nachvollziehen. Die Geschäftsführerin des Zentrums für Seniorenstudium, das vor elf Jahren an der LMU gegründet wurde, koordiniert die Veranstaltungen für Senioren an der Universität, bietet auch eigene Vorlesungen an. Seit Jahren blieben die Einschreibungen mit rund 2000 Seniorenstudierenden konstant, sagt sie:

    "Diejenigen, die sich nicht einschreiben, die tauchen in unseren Zahlen natürlich nicht auf. Die dürften aber eigentlich auch keine Veranstaltungen an der Universität besuchen. Das können wir leider nicht kontrollieren. Anhand unserer Zahlen gestaltet es sich nicht so, dass sprunghaft die Zahl nach oben steigt."

    Gut 30 Prozent der Senioren konnten bei Versuchszählungen 2010 keinen Nachweis der Einschreibung vorweisen. Vergangenes Semester wurde die Zahl der für Senioren offenen Vorlesungen abrupt von 200 auf 80 beschränkt. Man habe einfach die wenig besuchten Veranstaltungen aus dem Programm genommen, sagt Julia Hamm vom Zentrum für Seniorenstudium der LMU. Es sei keine Reaktion auf den doppelten Abiturjahrgang oder das Schwarzhören. In der betroffenen Fakultät klingt das anders. Man erwarte jetzt sogar mehr Ansturm auf die reduzierten Seniorenvorlesungen, erklärt Regina Wohlfarth, Geschäftsführerin der Fakultät:

    "Dort wappnen wir uns jetzt, dass wir das Angebot an die Seniorenstudierenden reduzieren. Im Sommersemester beginnt das schon und im Wintersemester wird noch mal kräftig zurückgeschraubt."

    Regina Wohlfarth und ihre Professoren überlegen jetzt, die Seminare und Vorlesungen nur online buchen zu lassen, vielleicht auch Parallelveranstaltungen nur für Senioren anzubieten. Der Kampf an vier Fronten – Raumknappheit, finanzieller Engpass, doppelter Abiturjahrgang, Seniorstudenten - schade der Lehre, sagt Professor Hartmut Schick, Leiter des Institutes für Musikwissenschaft:

    "Wir machen bewusst die Augen zu oder stecken den Kopf in den Sand, denn uns bleibt nichts anderes übrig. Vielleicht erinnern Sie sich an die vollmundigen Versprechungen der bayerischen Politik, dass die Hochschulen entsprechend ausgestattet würden für den doppelten Abiturjahrgang. Davon ist bei uns nichts angekommen und wird auch nichts ankommen. Man hatte uns zusätzliche Dozentenstellen versprochen auf Zeit, das wurde plötzlich wieder zurückgenommen, das heißt, wir wissen alle nicht, wie wir den doppelten Abiturjahrgang auffangen sollen."

    Komplett ausgrenzen möchte man die grauen Semester eigentlich nicht. Der Grund: Münchner Senioren studieren nicht nur gern, sie spenden auch, und das beachtlich. Schon wird den Professoren, die ihre Vorlesungen für das beginnende Sommersemester öffnen 500 Euro Prämie versprochen. Die Universitätsvorlesungen seien aber die falsche Plattform für Hobbyforscher. Das sollte stärker vermittelt werden, sagt das Zentrum für Seniorenstudium - durch die Dozenten. Ein Unding, sagt Professor Schick:

    "Natürlich ist das nicht unsere Aufgabe, aber ich hatte keine andere Wahl, denn im Zweifelsfall müssen wir die normal Studierenden prioritär berücksichtigen."

    Künftig werden sich Seniorstudierende an der Münchner LMU auf kurzfristige Absagen einstellen müssen. Ist die Vorlesung online ausgebucht durch regulär Studierende, wird der Hörsaal gesperrt. Ob man jetzt 30 Minuten früher kommt oder fünf.