Montag, 29. April 2024

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Senioren-WG, Frauenfreundschaft und Gebrüder-Grimm

In Stéphane Robelins "Und wenn wir alle zusammenziehen?" gründen Jane Fonda, Pierre Richard und Geraldine Chaplin eine WG. Helen Mirren und Martina Gedeck brillieren in István Szabós Kammerspiel "Hinter der Tür". Und Tarsem Singh schickt Julia Roberts und Lily Collins in seine Adaption von Schneewittchen.

Von Hartwig Tegeler | 04.04.2012
    "Und wenn wir alle zusammenziehen?" von Stéphane Robelin

    Das Ende eines netten Abends. Klar, zu früh. Aber:

    "Claude, willst du nicht noch bleiben? - Ich habe die Herzmittel nicht dabei, idiotisch."

    Jean bringt damit einen Ball ins Rollen:

    "Würden wir alle zusammen wohnen, hätten wir solche Probleme nicht."

    Und wir würden unsere Selbstbestimmung nicht aufgeben! Meinen die recht begüterten französischen Rentner in Stéphane Robelins Film "Und wenn wir alle zusammenziehen?" Jane Fonda, Pierre Richard, Geraldine Chaplin und die anderen im sommerlichen Haus am grünen Stadtrand, pflegerisch unterstützt von Daniel Brühl als Ethnologiestudenten, der schon mal als Strohmann für Viagra einspringen soll:

    "Sie haben keine Herzprobleme, Dirk.
    Nee!
    Dann können Sie sich vielleicht welche verschreiben lassen."

    Die "Alten", die Senioren, haben im Kino inzwischen häufiger würdevolle Auftritte: bei Andreas Dresen in "Wolke 9", in "An ihrer Seite" mit Julie Christie oder bei John Madden in "Best Exotic Marigold Hotel". Oder jetzt bei Stéphane Robelin. Doch der zeichnet ein zu harmloses Bild: Angst, Verzweiflung haben neben der ungebrochenen Lebensenergie, die ohne Frage überzeugend wirkt im Film, keinen Platz. Und wenn Jane Fonda als Krebskranke ihren Sarg schon mal selbst aussucht, aber die Antwort auf die Frage

    "Für wann brauchen sie ihn denn?"

    schuldig bleiben muss,

    "Das weiß ich leider selbst noch nicht so genau."

    dann wirkt dies wie vieles vorhersehbar.

    "Und wenn wir alle zusammenziehen'" von Stéphane Robelin - zwiespältig.

    "Hinter der Tür" von István Szabó

    Emerenc, eine alte Frau mit viel Leben im Gepäck, hat einen klaren Blick auf Welt, Religion und Klassenverhältnisse:

    "Wollen Sie nicht auch mal ein bisschen fegen. Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt. Die, die fegen, und die, die fegen lassen. Jesus hat gefegt."

    1960er-Jahre. Ungarn. Der Stalinismus ist einer Art "ungarischem Frühling" gewichen. Schriftstellerin Magda sucht eine Haushaltshilfe, doch die Alte von gegenüber wirkt keineswegs devot:

    "Wenn Sie jemanden haben, der mir sagen kann, was für Menschen Sie sind, werde ich vielleicht mal drüber nachdenken. "

    Doch dann

    "Tag, ich konnte ab morgen für Sie arbeiten."

    .. hat Emerenc sich entschieden. Der Beginn einer keineswegs wunderbaren, sondern störrischen wie zärtlichen, schroffen

    "Wagen sie es nicht, mir Trinkgeld zu geben."

    wie fürsorglichen Freundschaft zwischen zwei Frauen. Was da langsam aufeinander zuläuft - bald ist Emerenc aus dem Haus von Magda und ihrem Mann nicht mehr wegzudenken -, stellen Martina Gedeck und Helen Mirren in István Szabós Film "Hinter der Tür" grandios dar. Emerenc ist eine komplexe Figur mit einem Geheimnis, das in ihre Vergangenheit verweist. Das Geheimnis verbirgt sich "hinter der Tür" ihrer Wohnung.

    "Wieso sind Sie allein? Warum lassen Sie niemand in Ihre Wohnung? - Ich glaube, das geht nur mich was an."

    Die verschlossene Tür als Bild für die Traumata, die die Frau im Stalinismus, der Nazizeit und davor erfahren hat.

    "Hinter der Tür" durfte nicht - wie István Szabó sagt - die "gewissermaßen militärische Größe" haben, die sein oscarprämiertes Epos "Mephisto" oder danach "Oberst Redl" oder "Hanussen" in den 1980er-Jahren brauchten. "Hinter der Tür" benötigte Intimität, meint Szabó. So ist ein Kammerspiel entstanden. Wie notwendig diese Form ist, merken wir, wenn der Regisseur in den wenigen Rückblenden die Intimität verlässt und mit filmischen Brimborium die Vergangenheit quasi abrufen will. Der Kraft des Zwei-Frauen-Kammerspiels können diese überflüssigen Sequenzen allerdings nichts anhaben. Und "Schuld" - in Anführungsstrichen - tragen dafür auch - Man möchte sich tief, tief verbeugen! - diese wunderbaren Beiden: "die Gedeck" und "die Mirren".

    "Hinter der Tür" von István Szabó - herausragend.

    "Spieglein, Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" von Tarsem Singh

    "Es war einmal ..."

    Besser: Endlich spricht es mal eine aus!

    "Also, diese 'Und wenn sie nicht gestorben sind'-Nummer war schon immer mein Ding."

    Die böse Schwiegermutter sprach´s in Tarsem Singhs "Spieglein, Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" und fällt dem Prinzen flugs ins Wort:

    "Ich finde, Schneewittchen ist die schönste Frau auf der Welt. - Die einen sagen so, die anderen so."

    Tarsem Singh, der mit seinen Filmen "The Cell" oder "The Fall" atemberaubende Fantasiewelten geschaffen hat, schickt eine herrlich zickige Stiefmutter alias Julia Roberts und die wunderschöne Newcomerin Lily Collins als Schneewittchen in seine Adaption des Märchens, in der Zwerge und Prinz sich kaum gegen die beiden Damen durchsetzen können. Auch im Schwertkampf im Wald haben sie so einige Probleme mit Schneewittchen als kämpfender Amazone. Tarsem Singhs Film ist visuell betörend und versehen mit hohem Ironie- und Spaßfaktor. Und natürlich - Tarsem Sing stammt aus Indien - gibt´s am Ende ein fantastisches Bollywood-Finale mit Gebrüder-Grimm-Einflüssen.

    "Spieglein, Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" - herausragend.