Simon: Frau Scheel, das sind ja deutliche Mehreinnahmen, die da zu erwarten sind. Was spricht denn dagegen, die Steuern weiter zu senken?
Scheel: Es ist Gott sei Dank so, muss man sagen, dass die Opposition sich ganz klar auch dazu bekannt hat, dass wir mit den Mehreinnahmen vor allem aus dem Erlös der Lizenzen nicht die Steuern weiter senken, weil sie können nicht mit Einmalerlösen dauerhafte Steuersenkungen finanzieren, sondern dass wir dies zur Schuldentilgung nehmen, um auch mittelfristig, weil wir ja nun weniger an Zinsen bezahlen müssen, einen größeren Spielraum zu bekommen. Hier gibt es vom Grundsatz her eine Einigkeit. Was die Frage der Steuermehreinnahmen betrifft - die Steuerschätzung kommt ja in dieser Woche - gehen Experten davon aus, dass diese Mehreinnahmen bei etwa 10, 11 Milliarden liegen können. Da muss man natürlich auch sehen, dass diese verteilt sind auf die Kommunen, auf die Länder, auf den Bund und dass dies dann lange nicht so viel ist wie man es sich vorstellt. Auch damit können und wollen wir keine Steuersenkung finanzieren.
Simon: Mit Ihrer Vorstellung zum vorrangigen Schuldenabbau werden Sie sicher bei vielen Bürgern auf ein offenes Ohr treffen. Berechnungen aber zum Beispiel Ihres Parteikollegen Oswald Metzger, der sehr konservativ gerechnet hat, gehen von nur 50 Milliarden Einnahmen durch die Handy-Lizenzen aus. Er kommt bei seiner Rechnung trotzdem auf eine Zinsersparnis von fünf Milliarden dadurch, dass man erst einmal die Schulden abbaut. Sollte man denn nicht wenigstens diese Summe direkt dem Bürger zurückgeben?
Scheel: Das finden wir auch, allerdings ganz gezielt in bestimmten Bereichen. Diese Zinsersparnis fällt ja dann auch erst an über das Jahr 2001, 2002 hinaus. Wir haben uns ja im Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass es sinnvoll ist, in Wissenschaft, in Bildung zu investieren, dass wir diesen Bereich in dieser Legislaturperiode auch verdoppeln wollten. Ich denke, dass hier auch mit dem Koalitionspartner eine Einigkeit erzielt werden kann, dass wir diese Zinsersparnis dann auch investiv in diesen Bildungsbereich einsetzen.
Simon: Der lange vernachlässigte Bildungsbereich könnte mehr vertragen. Wenn jetzt mehr erlöst wird bei der Versteigerung der Mobilfunk-Lizenzen, könnte man dann nicht fantasievoller etwas mehr von dem, was übrig bleibt, direkt in die Bildung investieren? Wäre das nicht eine andere als eine rein buchhalterische Entscheidung?
Scheel: Es geht ja im Prinzip darum, dass wir laufende Maßnahmen finanzieren werden. Wenn wir in der Bildung beispielsweise jetzt Einmalprojekte finanzieren, dann ist das etwas anderes, als wenn man dauerhafte Maßnahmen unterstützt. Die Einmalerlöse sind ganz klar dafür vorgesehen, dass wir den Schuldenabbau vornehmen. Wenn die Erlöse höher sind als erwartet, dann ist das gut für alle Beteiligten, Bund und Länder, denn wir können hier dann selbstverständlich gerade beim Erblasten-Tilgungsfonds beispielsweise einen großen Schritt im Abbau vorankommen und haben ja dann noch höhere Zinsen frei. Das heißt der Spielraum wächst, wenn wir jetzt in Schuldenabbau investieren, und er wächst weniger schnell, wenn wir nur einen Teil hineingeben würden.
Simon: Noch mal zum Thema Bewegung nach den Wahlen in NRW. So wird die Steuerreform ja den Bundesrat wohl nicht passieren. Das ist schon abzusehen. Wo sehen Sie denn die Spielmasse in den Verhandlungen mit der Union?
Scheel: Die Union hat ja Vorschläge unterbreitet was die Tarifgestaltung betrifft, also die Frage des Spitzensteuersatzes, die Frage des Tarifverlaufes, und hat in ihren Vorschlägen aber nicht klar genannt, wie sie dies denn finanzieren will. Wir gehen davon aus, dass das was die Union vorgeschlagen hat in einer Größenordnung von über 30 Milliarden D-Mark mehr an Nettoentlastung bringen würde. Das heißt, dass der Bund und die Länder sowie auch die Kommunen je nach Höhe der Einkommenssteuerverteilung natürlich diese Entlastung mit zu tragen hätten. Wir sehen von Seiten der Regierungsfraktionen noch lange nicht, wie die Länder beispielsweise dies schultern wollen. Wir haben Länder, die von der verfassungsmäßigen Situation her, vom Verfassungsauftrag her und auch den Maastricht-Kriterien, Euro-Kriterien an der Grenze dessen sind, was sie machen können, was sie letztendlich an Entlastung an die Bürger weitergeben können, ohne dass es hier zu Verfassungsbruch kommt.
Simon: Noch einmal zurück zur Verhandlungsmasse, die irgendwann im Vermittlungsausschuss Gespräch sein wird. Wie stehen Sie denn gegenüber einer Erhöhung des Grenzsteuersatzes? Das ist der Satz, ab dem der Spitzensteuersatz greift. Bei den vorgesehenen 98.000 Mark Jahreseinkommen zahlen ja auch schon Facharbeiter demnächst Spitzensteuer.
Scheel: Wir sind eher der Auffassung, wenn man hier noch etwas verändern will, dass man nicht den Spitzensteuersatz absenken muss, sondern dass man lieber den oberen Grenzsteuersatz weiter hinten einsetzt, das heißt bei höheren Einkommen erst greifen lässt, dass man also diese Wirkung in der Progression im Verlauf abmildert. Das kostet natürlich. Das muss man wissen. Das ist letztendlich für den Bund und für die Länder wesentlich teuerer, weil die Steuereinnahmen dementsprechend geringer sein werden, als wenn man, wie es oft populistisch geschieht, nur über den Spitzensteuersatz redet.
Simon: An welche Höhe denken Sie denn bei dem Grenzsteuereinkommen? 100.000 sind es derzeit. Wären das dann 120.000, 130.000 im Jahreseinkommen?
Scheel: Es sind Berechnungen gemacht worden, die gehen bis 120.000, nur um einmal zu erkennen, wie hoch dann die Volumen sind. Allein ohne Senkung des oberen Grenzsteuersatzes, ohne weitere Senkung - wir sind ja schon bei 45 Prozent; das ist im europäischen Raum übrigens enorm; es gibt nur noch zwei Länder, die darunter liegen - und ohne eine Progressionswirkung auf 120.000, ab der dann der obere Grenzsteuersatz einsetzen würde, brauchen wir 15 Milliarden. Da müssen die Länder sagen, wie sie dies tragen wollen, und es müssen auch Finanzierungsvorschläge gemacht werden, die bislang nicht vorliegen.
Simon: Noch einmal zurück zum Spitzensteuersatz. In der SPD bröckelt ja die Front ein wenig. Bei den Grünen gab es früher ja durchaus radikalere Vorstellungen zur Steuersenkung, als sie im derzeitigen Regierungsentwurf stehen. Sie waren ja Vorreiter auch in dieser Steuerreform. Riskieren Sie jetzt nicht, sich von allen überholen zu lassen, wenn Sie so festhalten am Spitzensteuersatz? In der SPD gibt es Stimmen wie etwa Sigmar Gabriel, Wolfgang Clement, Heide Simonis, die bereits eine Absenkung von 45 Prozent auf einen niedrigeren Betrag fordern.
Scheel: Es ist natürlich so, wenn man den Tarifverlauf so lässt wie er ist, von uns vorgeschlagen ist, und den Spitzensteuersatz noch weiter senken würde, dann bedeutet das in der Konsequenz, dass der Vorwurf, dass immer mehr mittlere Einkommen in den Spitzensteuersatz rutschen, noch mehr erhärtet. Daher sind wir von grüner Seite der Auffassung, dass ein Spitzensteuersatz von 45 Prozent auch in Ordnung ist. Man muss auch sehen, wir haben hier punktgenau unser Bundestagswahlprogramm erfüllt.
Simon: Sie hatten ja sogar noch weniger gefordert!
Scheel: Nur die Progressionswirkung ist für uns noch eine Diskussion, die zu führen ist. Dort haben wir natürlich auch - und das muss man bitte auch parallel beachten - die Priorität neben einer massiven Steuersenkung, die ja jetzt insgesamt von der Bundesregierung und von beiden Parteien mit allen Maßnahmen zusammen bei 74 Milliarden D-Mark Nettoentlastung liegt. Das ist so viel Entlastung, wie es noch nie in der Bundesrepublik Deutschland gab. Parallel dazu wollen wir diesen Schuldenberg abbauen, und unsere Priorität ist auch, vor allem die Netto-Neuverschuldung bis zum Jahr 2006 stufenweise auf null zu fahren. Wir sehen es auch nicht ein, warum die Steuerbürger jede vierte Mark, die sie bezahlen, in den Schuldendienst investieren sollen. Das ist ja Wahnsinn. Das versteht ja kein Mensch mehr.
Simon: Steuern senken oder Schulden abbauen. - Das war ein Gespräch mit Christine Scheel, der Vorsitzenden des Bundestagsfinanzausschusses. Herzlichen Dank!
Link: Interview als RealAudio