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Sensible Schilderung der afghanischen Lebenswelt

Trent D. Reedys Jugendroman "Inshallah" beruht auf einer wahren Geschichte. Der Autor, der selbst in Afghanistan diente, erzählt seine Geschichte von der Begegnung mit der 13-jährigen Zuleikah und ihre von einem Leben zwischen Tradition und Träumen.

Von Sandra Pfister |
    Was weiß ein 32-jähriger Soldat, der vorher in Iowa Englisch unterrichtet hat, vom Innenleben einer 13-jährigen Afghanin? Kein Wunder, dass 15 Literaturagenten und fünf Verlage diesen Roman zunächst einmal abgelehnt haben.

    Zu Unrecht. Denn das Buch des ehemaligen Afghanistan-Soldaten hat durchaus das Zeug, jugendliche Leser in seinen Bann zu schlagen. Trend D. Reedy erzählt in "Inshallah" die Geschichte der 13-jährigen Zulaikah aus Afghanistan, die wegen ihrer angeborenen Hasenscharte von den Jungs in ihrer Nachbarschaft gehänselt wird. Dabei versetzt sich der Autor überraschend kenntnisreich und sensibel in das Gemüt der jungen Afghanin. Obwohl Reedy seine Protagonistin tatsächlich im wahren Leben auf dem Markt einer afghanischen Kleinstadt getroffen hat, weicht er immer wieder ins Fiktionale aus, wäre es doch für einen amerikanischen Mann unschicklich gewesen, engeren Kontakt mit einer 13-jährigen Afghanin zu pflegen. Dabei haben die Afghanen, die in Reedys Doku-Roman auftreten, den Amerikanern viel zu verdanken: Die GI's sind in Farah in Westafghanistan stationiert, um die Taliban in Schach zu halten – deshalb patrouillieren sie regelmäßig durch die Stadt. Sie lassen aber auch neue Krankenhäuser und Schulen bauen – und bescheren mit ihren Aufträgen zumindest bescheidenen Wohlstand, wie Reedy schreibt:

    "Die Zeiten sind gut. (…) Baba muss sich zum ersten Mal seit Jahren nicht mehr so oft fragen, wie er die Familie ernähren kann. Er wird ein geachteter Mann sein. Er verdient jede Menge Geld mit seinem neuen Job auf dem Bau."

    "Seitdem ein halbwegs stabiler Friede herrscht, wird wie wild gebaut?."

    Zugleich ist die Haltung gegenüber den GI's ambivalent – und das versteht auch der Autor zu vermitteln: Sie stellen die jahrhundertealte Geschlechterordnung in Frage. Wie das geschieht, schnappt die Protagonistin am Rande des Basars auf. Denn dort wird darüber diskutiert, ob Malalai Joya, die später die jüngste Abgeordnete im afghanischen Parlament werden soll, eine Erfüllungsgehilfin der Amerikaner ist.

    "Ein junger Mann, der in einem Café Limonade verkaufte, fuchtelte beim Reden mit den Händen. ‚Die Amerikaner haben alles so eingerichtet, dass diese Frau… Wie heißt sie gleich? Diese Malalai Joya gewinnt!' rief er. ‚Sie lassen ihre Bomben nicht nur auf unsere Kinder fallen, nein, jetzt wollen sie auch noch, dass ihre Marionetten in der Hauptstadt regieren!'"

    Frauen im Parlament? Diese Perspektive scheint Lichtjahre entfernt zu sein von Zulaikahs Realität daheim. Ihr Schicksal scheint vorbestimmt: Sie muss viel im Haushalt helfen und sich um ihre Brüder kümmern, bis sie irgendwann einmal verheiratet wird – was mit Hasenscharte aber ziemlich unwahrscheinlich scheint. Davon geht auch die 13-Jährige aus, denn Zulaikahs heiß geliebter Vater prägt ihr Frauenbild. Wie das beschaffen ist, wird deutlich in einer Szene, in der er seiner zweiten Frau in der Frage widerspricht, wie sein kleiner Sohn Khalid zu erziehen sei:

    "'Er soll spielen, habe ich gesagt!' rief Baba. (…) ‚Ich dulde keinen Widerspruch in meinem Haus.' (…) ‚Khalid ist kein Kleinkind mehr. Er ist aus dem Alter raus, in dem man auf Frauen hört.'"

    Frauen haben in dieser im übrigen durchaus liebevollen afghanischen Mittelschicht-Familie nur eine Perspektive: Sie werden verheiratet. So auch Zulaikahs 15-jährige Schwester Zeynab, die zunächst Glück zu haben scheint: Sie ergattert sogar einen reichen Mann. Nach der Hochzeit wird Zeynab in seinem Haushalt zur Sex- und Putzsklavin, die ihren Mann mit zwei weiteren Frauen teilen muss. Der einzige Ausweg, den sie offenbar sieht, ist Selbstmord, so zumindest suggeriert es das Buch, nachdem die Schwester nach einem Haushaltsunfall mit schwersten Verbrennungen in ein kleines, schmutziges Provinzkrankenhaus eingeliefert wird. Reedy schreibt:

    "Ich stand da und musste mit ansehen, wie meine fünfzehnjährige Schwester litt, lauschte ihrem flachen, heiseren Atem. Ich harrte bis kurz vor der Morgendämmerung aus. Dann hörte sie auf zu atmen."

    Frauenschicksal in Afghanistan, der harte Kern einer ultrakonservativen Macho-Gesellschaft, das ist die eine Seite. Die andere ist der Fortschritt.

    Der Doku-Roman kreist um die Frage, ob die Amerikaner, auch in dieser Hinsicht die Boten einer neuen Zeit, Zulaikahs Hasenscharte operieren dürfen. Dieser Spannungsbogen trägt bis fast zum Ende des Buches. Aber der Fortschritt wird nicht nur von den Amerikanern gebracht – so einfach macht es sich der Autor nicht -, sondern er schlummert vor allem auch in der gebildeten Schicht des Landes. Bevor er sich durchsetzen kann, muss es allerdings noch zu einem Showdown kommen – und einer durchaus überraschenden Auflösung. Dabei macht Trend D. Reedy deutlich, dass es einen Kompromiss gibt zwischen Tradition und Moderne, zwischen Verhaften und Emanzipation. Manchmal allerdings schrammt der Autor damit hart am Klischee vorbei. Diese Einschränkung aber wird aufgewogen durch die kenntnisreiche Schilderung der afghanischen Lebenswelt bis in kleinste Details. Das Buch strotzt vor Reportageelementen, ist prall gefüllt mit Spannung und Gefühlen. Und genau diese Mischung schafft es, Jugendliche für die politischen Zusammenhänge in Afghanistan zu interessieren.

    Trend D. Reedy: Inshallah - Worte im Sand.
    Aufbau Verlag, 248 Seiten, 12,99 Euro
    ISBN: 978-3-351-04144-1

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