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Sensoren
Tiere als Messstation

Albatrosse fliegen quer über Ozeane, Seeelefanten tauchen tief ins Meer, Störche überqueren Kontinente. Und immer öfter werden sie von kleinen Sensoren, die Forscher an den Tieren befestigt haben, begleitet. Diese kleinen Spione können Einblick in das Leben der Tiere geben, aber auch wertvolle Daten über die Umwelt liefern.

Von Volkart Wildermuth | 06.10.2016
    Eine Störchin auf ihrem Flug von Deutschland nach Südafrika, auf dem Rücken mit einem Peilsender ausgestattet
    Eine Störchin auf ihrem Flug von Deutschland nach Südafrika, auf dem Rücken mit einem Peilsender ausgestattet (dpa picture alliance/Michael Kaatz)
    Ein Seeelefant ist ein beeindruckendes Tier, für das sich nicht nur Biologen, sondern auch Ozeanographen interessieren. Martin Wikelski:
    "Die tauchen mit Tauchaufzeichnungsgeräten quer durch den Südpazifik, Südatlantik. Die messen Salinität - also Salzgehalt -, Strömungen und Temperaturen. Und diese Aufzeichnung - weil die ja wirklich ganz tief tauchen bis auf 1.000 oder 1.500 Meter Tiefe - das kann man mit U-Booten oder mit kleinen Bojen ganz, ganz schwer machen. Die Seeelefanten machen es alle zehn Minuten oder jede halbe Stunde."
    So wie die Seeelefanten könnten auch viele andere Tierarten Daten aus schwer zugänglichen Regionen liefern, davon ist Martin Wikelski überzeugt:
    "Wir haben Vögel, die für uns den Wind messen können, als Wetterbojen. Wir haben Ameisen, die Erdbewegungen möglicherweise vor Erdbeben messen können. Wir haben Gänse, die nach Russland fliegen und dort Klimaveränderungen messen können. Wir können Flughunde fragen, wo sie denn mit Ebola in Verbindung sind."
    Die Daten sollen an die ISS geschickt werden
    Am Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell am Bodensee leitet Wikelski das Icarus Projekt. Das besteht einerseits aus einer Antenne, die nächstes Jahr an der Internationalen Raumstation angebracht werden wird. Und andererseits aus unzähligen Sensoren:
    "Also erst mal liefern uns diese neuen Sender GPS-Informationen. Also genau: Wo war das Tier, auf welchem Busch, auf welchem Baum. Und über die Beschleunigung können wir das Verhalten von dem Tier zu diesem Zeitpunkt bestimmen. Also wir wissen genau: Hat das mit Flügeln geschlagen, hat das gefressen, gekämpft, geschlafen, was auch immer. Wir können dann die Richtung von dem Tier über Magnetometer bestimmen. Das heißt, wir wissen, wo will es eigentlich hin. Und wo wird es abgedriftet. Darüber kann man Windgeschwindigkeit, Windvektor bestimmen."
    Fünf Gramm wiegt so ein Sender und kostet 500 Euro. Eine Zusammenfassung der Daten soll er einmal am Tag zur ISS schicken. Walter Jetz von der amerikanischen Yale Universität wartet schon auf diese Icarus-Sender. Er hat 30 Hornraben in Ostafrika mit traditionellen Sensoren ausgestattet. Doch um an die Daten zu kommen, muss er den schwarzen Vögeln mit dem charakteristischen Höcker auf dem Schnabel derzeit noch hinterherlaufen. So konnte er immerhin schon feststellen, dass die Hornraben nicht nur Bäume für ihre Nisthöhlen brauchen, sondern auch offenes Wasser und Sandkuhlen für die Gefiederpflege. Auf Satellitenbildern kann er mit Hilfe dieser Informationen herausbekommen, wo es noch Lebensraum für Hornraben gibt:
    "Wir können unsere punktuellen Messungen und unsere Modelle dann auf andere Orte anwenden, können Vorhersagen treffen für Regionen. Und das ist das wirklich Transformative an dieser Kombination von Fernerkundungsdaten und zum Beispiel Telemetriedaten."
    Anzeichen für veränderte Umweltbedingungen
    Umgekehrt können Daten zur Verbreitung von Tierarten dokumentieren, wie sich Umweltbedingungen verändern. Das konnte Thomas Müller vom Senckenberg Forschungszentrum für Biodiversität und Klima in Frankfurt anhand der Schreikraniche belegen. Die waren in den USA ausgestorben. Als man sie wieder ansiedelte, bekam jedes Tier einen Sender, über den sich verfolgen lässt, wie es im Winter nach Florida zieht. Inzwischen brechen viele Kraniche die Reise schon viel früher ab:
    "Wir denken, das hat etwas mit dem globalen Wandel zu tun, zum einen mit Landnutzungswandel aber auch mit Klimawandel. Diese weiter nördlich gelegenen Gebiete haben große Agrarflächen, das ist hauptsächlich Maisanbau. Und die Tiere können das im Winter nutzen, um zusätzlich zu fressen und kälteren Temperaturen standzuhalten. Und außerdem ist auch der Klimawandel in diesen nördlichen Gebieten in den letzten 100 Jahren stärker gewesen, als in Florida."
    Amateurvogelforscher werden in das Projekt eingebunden
    Gerade ältere, erfahrene Tiere erkennen solche neuen Chancen. Solche Studien lassen sich bisher nur mit sehr großem Aufwand umsetzen. Die gemeinsame Plattform des Icarus-Projektes soll die Tierbeobachtung aus der Ferne vereinfachen.
    Walter Jetz will die große Gemeinschaft der Amateurvogelforscher für den neuen Ansatz gewinnen. Sie sollen in Zukunft die Vögel nicht mehr nur beringen, sondern gleich auch noch mit einem Sender versehen:
    "Unsere Hoffnung wäre Tausende von Individuen, vielleicht Hundertausende von Individuen, global gleichzeitig verfolgen zu können und damit zu einem unglaublich detaillierten Verständnis der Nutzung von Habitaten von Tieren zu kommen und wie die sich ändert, täglich und jährlich als sich der Planet ändert und die Nutzung des Planeten durch den Menschen."