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Sensorjournalismus
Wenn Kühe zu Geschichtenerzählern werden

Kühe können ihre Geschichten auch selbst erzählen. Klingt zwar seltsam, aber das Projekt "Superkühe" von Wissenschaftsjournalisten macht es möglich. Durch Sensorjournalismus können Kühe Daten abgeben und sogar digitale Kuh-Tagebücher schreiben.

Von Christoph Sterz | 05.09.2017
    Kuh im Stall, technisches Equipment, Journalist Jakob Vicari
    Superkühe bekommen technische Unterstützung von Jakob Vicari, um ihre Geschichte zu erzählen. (Deutschlandradio/ Christoph Sterz)
    "Hier wird schon auf unser Projekt hingewiesen und gewarnt, dass hier der Livestream läuft. Damit jeder Bescheid weiß. Und dann sind das hier die Kühe. 120 Rinder, die hier stehen. Und gerade fressen und aufs Anschieben warten. Aufs Füttern."
    Wissenschaft ist ein Prozess
    Jakob Vicari ist gerade unterwegs in den Kuhstall von Familie Höck, im Bergischen Land, eine gute halbe Stunde von Köln entfernt. Vicari ist im Moment viel auf Bauernhöfen im Einsatz - auch wenn er gar kein Landwirt ist. Für sein aktuelles Projekt hat er zusammen mit seinem Team Sensoren auf mehreren Höfen installiert, um möglichst viel aus dem Leben von Milchkühen zu erfahren:
    "Ich bin Wissenschaftsjournalist und mich hat immer gestört, dass man über Wissenschaft eigentlich immer nur die Ergebnisse liest in der Zeitung und im Radio hört. Dabei ist Wissenschaft ja ein Prozess, also es wird ausprobiert, es scheitert was, Experimente laufen gut oder sie gehen schief. Und da habe ich nach einem Weg gesucht, wie ich das als Journalist einfangen kann, ohne dass ich 24 Stunden danebensitzen muss. Und da bin ich auf die Idee gekommen: In der Wissenschaft gibt es eigentlich Sensordaten. Und die könnte man ja eigentlich nehmen und an einen Textroboter anschließen. Und so den Zuschauern live einen Einblick geben in wissenschaftliche Experimente."
    Superkühe tragen einen Spezial-Sensor und geben Daten ab
    Vicaris aktuelles Experiment heißt Superkühe - und ist am Montag im Netz gestartet. Interessierte Nutzer können in den nächsten Wochen verfolgen, wie es den Kühen auf drei verschiedenen Höfen geht: Auf einem klassischen kleinen Familien-Hof, einem Großbetrieb und einem Biohof. Dabei steht jeweils eine Kuh im Vordergrund - bei Familie Höck im Bergischen Land ist Emma die Superkuh:
    "Wir wollen wissen, wie sie lebt, was sie frisst, wie die Verdauung läuft, wann ihr Kalb kommt, wie die Geburt verläuft, wie ihre Verdauung wie läuft, wie viele Schritte sie täglich tut, wann sie auf die Weide darf, wann sie Fieber hat. Das wollen wir erfassen und dafür haben wir Sensoren an den Kühen dran."
    Aber nicht nur dran, sondern auch drin: Emma trägt einen Spezial-Sensor im Körper, im Netzmagen. So kommt Jakob Vicari an die Daten, die ihn interessieren. Und auch die beteiligten Landwirte sind gespannt auf das, was in den vier Superkuh-Wochen an Daten zusammenkommt. Auch wenn Heribert Höck, Emmas Besitzer, erst so seine Zweifel hatte - und zum Teil noch immer hat:
    "Die Idee, dass jetzt genau nach Möglichkeit in der ersten Woche eine Kuh kalbt und auch noch eine bestimmte Kuh, die wir zwar dafür ausgesucht haben - da dachte ich: Das ist nicht mein Projekt. Ich hoffe zwar, dass alles klappt, aber das ist schon was ganz Besonderes, wenn das so wie geplant über die Bühne geht."
    Wissenschaftler führen ein Digitales Kuh-Tagebuch mit Textroboter
    Wenn doch alles klappt, dann liefern die Sensoren eine Menge Daten. Genau wie viele andere Sensoren in ganz Deutschland. Denn davon gibt es Tausende, ohne dass sie wie bei den Superkühen selbst installiert werden müssten. Journalisten nutzen bisher aber kaum Sensoren, ist die Beobachtung des Datenjournalisten Marco Maas:
    "Jede Brücke in Deutschland wird kontrolliert automatisiert. Und ich kann als Journalist zum Beispiel sagen: Diese Brücke hätte eigentlich gewartet werden müssen, wurde aber nicht gewartet. Und deswegen gibt es jetzt eine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ich kann mit einem Sensornetzwerk, das jetzt schon vorhanden ist, einfach einen Service an meiner Zielgruppe machen, indem ich einfach darüber berichte und das Ganze faktenbasiert mache."
    Auch Jakob Vicari hält sich an die Fakten - oder besser gesagt seine digitalen Helfer tun das. Denn nicht nur die Sensoren machen das Superkühe-Projekt besonders, sondern auch die Tatsache, dass das Team von Vicari auf Textroboter setzt - zum Beispiel für ein digitales Kuh-Tagebuch…
    "…wo die Kuh alle vier Stunden ungefähr über ihr Leben berichtet. Und wir haben das Format gefunden, ein Chatbot, der sensorbasiert Informationen ausgibt. Man kann also auf Facebook die Kuh fragen: Wie viel Milch hast du heute gegeben? Und die Kuh antwortet: Heute waren es zwölf Liter. Und dann kann man sie fragen: Ach, war das viel? Und dann sagt sie: Nee, war ein bisschen wenig. Muss eigentlich jetzt schon ein mehr werden, damit ich mich lohne für den Bauern."
    So kann jeder Nutzer selbst so viel Wissen abfragen, wie er oder sie möchte und sich ein Urteil bilden, was das Thema Landwirtschaft angeht.
    Und am Ende, hofft Jakob Vicari, bekommt auch der Sensorjournalismus einen ordentlichen Schub - wenn sich herausstellt, dass selbst Kühe Geschichten erzählen können.