Peter Wapnewski: Das ist ganz und gar nicht in Ordnung. Ich halte diesen Film für einen dumpfen Mummenschanz, der verfälschend und irrend ein Bild zeichnet, das künftigen Generationen überhaupt keinen klaren Eindruck mehr verschaffen wird von dem, was dieser Hitler und seine Getreuen und seine Letzten waren. Ich glaube, das ist einfach ein dumpfes, schreckliches, bluttriefendes Spiel mit raffinierten Mitteln. Eichingers Propagandamaschine lief ja glänzend, es sind ja überall schon Voraufführungen auch im Ausland gewesen und es ist nicht im Mindesten durch diesen Film eine Vertiefung unserer Kenntnisse, eine Erweiterung unserer Kenntnisse und eine ästhetische Kunstleistung geliefert worden, sondern ich meine, das ist ganz einfach nur ein schlimmer, granatenkrachender, bluttriefender und ungeheuer sentimentaler - und Sentimentalität ist ja immer verlogen - Mummenschanz.
Köhler: Die Frage, die im Vorfeld ja breit diskutiert wurde und Sie machen aus Ihrem klaren, deutlichen Urteil ja keinen Hehl war, ob das Monster Hitler zu menschlich gezeigt würde, quasi als Familie Untergang.
Wapnewski: Ja, man kann das natürlich als Haupteinwand sofort formulieren, nur ist das nicht besonders geistvoll. Denn es ist ja ein Klischee, dass die großen Monster dieser Welt, von Saddam Hussein über Stalin bis Hitler, sich immer gerne in der Babykissing-Attitüde zeigen ließen, das heißt sie streichelten Kinderköpfe oder streichelten auch einen Hund, wie das ja bei Hitler häufig war. Also das ist ein klassisches Mittel der Verfälschung der Furchtbarkeit. Ich denke aber es wäre notwendig gewesen nicht zu zeigen, wie die Bestie etwas menschliches hat, sondern wie aus einem Menschen - der ist ja als Mensch geboren 1889 in Braunau am Inn - eine Bestie geworden ist. Das wäre meine Hauptthese, wenn ich überhaupt eine These zu formulieren ein Recht hätte: Das Problem ist nicht Hitler, das Problem sind die Deutschen, sind wir, die Deutschen. Wie dieser wildgewordene, ungebildete, brüllende Kleinbürger mit dem böhmischen Dialekt, wie der ein ganzes großartiges Volk hat so in den Untergang führen können. Und nicht nur unser Volk, sondern er hat damit ja das ganze alte Europa vernichtet.
Köhler: Sie als jemand, der bei Kriegsbeginn Anfang 20 war. Hat Sie der Film also in einer ganz anderen Weise aufgewühlt, als das vielleicht die Absicht war? Also Hitler nicht als mitleidswürdiger Verlassener, der weint, als ihm Albert Speer sagt: "Mein Führer, ich habe Ihre Befehle nicht ausgeführt." und man sieht, wie Hitler eine Träne die Backe runter kullert.
Wapnewski: Richtig, ja. Ich sehe das eben anders und glaube, dass dieser Hitler in das Gedächtnis der Ahnungslosen jetzt eingehen wird mithilfe der virtuosen Darstellung durch Bruno Ganz als ein cholerischer, brüllender, hysterischer, zitternder Kleinbürger, was er ja in der Tat unter anderem auch war. Der Film hat ja eine wirklich wahnsinnig komische Szene und die ist authentisch. Vor dem geplanten Selbstmord scheut sich dieser Mann vor die Vorsehung, wie er die Instanz ja nannte, zu treten als jemand, der in wilder Ehe gelebt hat oder eine Geliebte hatte, also muss der Standesbeamte noch ranzitiert werden und da kommt die phantastische Frage: "Sind Sie arischer Abstammung?" So komisch kann Wahrheit sein und so schrecklich kann Wahrheit sein.
Köhler: Es gibt ja einige Momente, wo das Grauenvolle ins Groteske umschlägt. Aber Sie haben eben etwas gesagt - ich würde gerne einen Moment dabei bleiben. Ich spreche Sie nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als Germanisten an - über die Zeichen einmal kurz sprechen sollten, welche Zeichen uns angeboten werden. Speer antwortet zu Beginn des Films auf Hitlers Frage, ob er Berlin angesichts der vorrückenden Russen verlassen soll: "Mein Führer, Sie sollten auf der Bühne stehen, wenn der Vorhang fällt." Ich glaube das ist auch ein Schlüssel, nämlich Theatralik.
Wapnewski: Vollkommen richtig und deswegen waren in früheren Filmen über Hitler auch Titel wie "Der letzte Akt" - so hieß zum Beispiel der Papstfilm von 1955 - gewählt worden. Ich protestiere eigentlich auch gegen den Titel "Der Untergang". Denn, das können wir nun drehen und wenden wie wir wollen, mit dem Begriff des Untergangs ist für uns emphatisch immer ein gewisses Mitleid verbunden, gleichgültig ob ein großer Passagierdampfer untergeht oder ob das Abendland untergeht. Man fühlt mit dem Untergehenden und schon darin liegt eine sentimentale Verfälschung und mir ist unbegreiflich, wie überhaupt diese Szene hat passieren können, wie da in ausführlicher Geduldigkeit gezeigt wird erstens, wie sechs unschuldigen Kindchen der Gifttrank eingeflößt wird und damit nicht genug wird uns dann noch gezeigt, wie Frau Goebbels jedem der schlafenden Kinder den Kiefer öffnet, die Ampulle einführt, die Kiefer zusammendrückt und man hört das Knacken der Glasampulle, der tödlichen. Das ist so grauenhaft und vertieft ja nirgendwo irgendwo eine Form von Kenntnis.
Köhler: Ich habe noch eine Frage an den Zeichendeuter quasi. Sie sagten zu Beginn: "Was in Erinnerung bleibt, kann fatal sein." Was bleibt in Erinnerung, die zitternde Hand, die wir ständig sehen in einem Blow-up viel zu groß, viel zu oft, die Tobsuchtsanfälle. Was denken Sie?
Wapnewski: Sie sagen es, genau das ist es. Vielleicht ja auch noch das Gegenbild, das ja sehr bewusst hineingearbeitet ist von dem Mann, der da am Tisch sitzt und Tee trinkt oder ein Essen kaut. Aber das ist ja nichts, was sich einprägt, sondern das hieße dann ja nur, ein Mensch war er im biologischen Sinne auch, was ja erstaunlich genug ist, aber er war es ja tatsächlich. Aber bleiben tun sicherlich diese Ausbrüche von Bruno Ganz, der das Ganze ja wirklich sehr schön macht, aber ich bedaure ihn, dass er diese Rolle übernommen hat. Man wird ihn künftig immer wieder mit dieser Rolle identifizieren und nicht mit seinem Faust. Was bleiben wird, ist dieses Bild mit der zitternden Hand eines vernichteten, gequälten, kümmerlich kreatürlichen Menschen. In Chaplins Diktator kann man Hitler besser erkennen als in Eichingers Film.
Köhler: Peter Wapnewski, Zeitzeuge, hoch angesehener Germanist des Berliner Wissenschaftskollegs wirft dem Film sentimentale Verfälschung vor, "Der Untergang", der in die Kinos gekommen ist.
Köhler: Die Frage, die im Vorfeld ja breit diskutiert wurde und Sie machen aus Ihrem klaren, deutlichen Urteil ja keinen Hehl war, ob das Monster Hitler zu menschlich gezeigt würde, quasi als Familie Untergang.
Wapnewski: Ja, man kann das natürlich als Haupteinwand sofort formulieren, nur ist das nicht besonders geistvoll. Denn es ist ja ein Klischee, dass die großen Monster dieser Welt, von Saddam Hussein über Stalin bis Hitler, sich immer gerne in der Babykissing-Attitüde zeigen ließen, das heißt sie streichelten Kinderköpfe oder streichelten auch einen Hund, wie das ja bei Hitler häufig war. Also das ist ein klassisches Mittel der Verfälschung der Furchtbarkeit. Ich denke aber es wäre notwendig gewesen nicht zu zeigen, wie die Bestie etwas menschliches hat, sondern wie aus einem Menschen - der ist ja als Mensch geboren 1889 in Braunau am Inn - eine Bestie geworden ist. Das wäre meine Hauptthese, wenn ich überhaupt eine These zu formulieren ein Recht hätte: Das Problem ist nicht Hitler, das Problem sind die Deutschen, sind wir, die Deutschen. Wie dieser wildgewordene, ungebildete, brüllende Kleinbürger mit dem böhmischen Dialekt, wie der ein ganzes großartiges Volk hat so in den Untergang führen können. Und nicht nur unser Volk, sondern er hat damit ja das ganze alte Europa vernichtet.
Köhler: Sie als jemand, der bei Kriegsbeginn Anfang 20 war. Hat Sie der Film also in einer ganz anderen Weise aufgewühlt, als das vielleicht die Absicht war? Also Hitler nicht als mitleidswürdiger Verlassener, der weint, als ihm Albert Speer sagt: "Mein Führer, ich habe Ihre Befehle nicht ausgeführt." und man sieht, wie Hitler eine Träne die Backe runter kullert.
Wapnewski: Richtig, ja. Ich sehe das eben anders und glaube, dass dieser Hitler in das Gedächtnis der Ahnungslosen jetzt eingehen wird mithilfe der virtuosen Darstellung durch Bruno Ganz als ein cholerischer, brüllender, hysterischer, zitternder Kleinbürger, was er ja in der Tat unter anderem auch war. Der Film hat ja eine wirklich wahnsinnig komische Szene und die ist authentisch. Vor dem geplanten Selbstmord scheut sich dieser Mann vor die Vorsehung, wie er die Instanz ja nannte, zu treten als jemand, der in wilder Ehe gelebt hat oder eine Geliebte hatte, also muss der Standesbeamte noch ranzitiert werden und da kommt die phantastische Frage: "Sind Sie arischer Abstammung?" So komisch kann Wahrheit sein und so schrecklich kann Wahrheit sein.
Köhler: Es gibt ja einige Momente, wo das Grauenvolle ins Groteske umschlägt. Aber Sie haben eben etwas gesagt - ich würde gerne einen Moment dabei bleiben. Ich spreche Sie nicht nur als Zeitzeugen, sondern auch als Germanisten an - über die Zeichen einmal kurz sprechen sollten, welche Zeichen uns angeboten werden. Speer antwortet zu Beginn des Films auf Hitlers Frage, ob er Berlin angesichts der vorrückenden Russen verlassen soll: "Mein Führer, Sie sollten auf der Bühne stehen, wenn der Vorhang fällt." Ich glaube das ist auch ein Schlüssel, nämlich Theatralik.
Wapnewski: Vollkommen richtig und deswegen waren in früheren Filmen über Hitler auch Titel wie "Der letzte Akt" - so hieß zum Beispiel der Papstfilm von 1955 - gewählt worden. Ich protestiere eigentlich auch gegen den Titel "Der Untergang". Denn, das können wir nun drehen und wenden wie wir wollen, mit dem Begriff des Untergangs ist für uns emphatisch immer ein gewisses Mitleid verbunden, gleichgültig ob ein großer Passagierdampfer untergeht oder ob das Abendland untergeht. Man fühlt mit dem Untergehenden und schon darin liegt eine sentimentale Verfälschung und mir ist unbegreiflich, wie überhaupt diese Szene hat passieren können, wie da in ausführlicher Geduldigkeit gezeigt wird erstens, wie sechs unschuldigen Kindchen der Gifttrank eingeflößt wird und damit nicht genug wird uns dann noch gezeigt, wie Frau Goebbels jedem der schlafenden Kinder den Kiefer öffnet, die Ampulle einführt, die Kiefer zusammendrückt und man hört das Knacken der Glasampulle, der tödlichen. Das ist so grauenhaft und vertieft ja nirgendwo irgendwo eine Form von Kenntnis.
Köhler: Ich habe noch eine Frage an den Zeichendeuter quasi. Sie sagten zu Beginn: "Was in Erinnerung bleibt, kann fatal sein." Was bleibt in Erinnerung, die zitternde Hand, die wir ständig sehen in einem Blow-up viel zu groß, viel zu oft, die Tobsuchtsanfälle. Was denken Sie?
Wapnewski: Sie sagen es, genau das ist es. Vielleicht ja auch noch das Gegenbild, das ja sehr bewusst hineingearbeitet ist von dem Mann, der da am Tisch sitzt und Tee trinkt oder ein Essen kaut. Aber das ist ja nichts, was sich einprägt, sondern das hieße dann ja nur, ein Mensch war er im biologischen Sinne auch, was ja erstaunlich genug ist, aber er war es ja tatsächlich. Aber bleiben tun sicherlich diese Ausbrüche von Bruno Ganz, der das Ganze ja wirklich sehr schön macht, aber ich bedaure ihn, dass er diese Rolle übernommen hat. Man wird ihn künftig immer wieder mit dieser Rolle identifizieren und nicht mit seinem Faust. Was bleiben wird, ist dieses Bild mit der zitternden Hand eines vernichteten, gequälten, kümmerlich kreatürlichen Menschen. In Chaplins Diktator kann man Hitler besser erkennen als in Eichingers Film.
Köhler: Peter Wapnewski, Zeitzeuge, hoch angesehener Germanist des Berliner Wissenschaftskollegs wirft dem Film sentimentale Verfälschung vor, "Der Untergang", der in die Kinos gekommen ist.