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Separatisten in Kamerun
Die anglofone Minderheit begehrt auf

Paul Biya ist der älteste Herrscher Afrikas - der 85-jährige Gewinner der Präsidentenwahl soll nun weitere sieben Jahre an der Spitze Kameruns stehen. Eine Klage der Opposition wegen Wahlbetrugs hatte das Verfassungsgericht zuvor abgeschmettert. Doch im englischsprachigen Westen wächst der Widerstand.

Von Adrian Kriesch | 27.10.2018
    Der kamerunische Präsident Paul Biya und seine Frau Chantal Biya hören während einer Wahlkundgebung im Maroua Stadion in der Region Far North von Kamerun Reden zu Ehren von Biyas Herrschaft zu. )
    Alle sieben Jahre wird in Kamerun ein neuer Präsident gewählt. Seit den Achtziger Jahren gibt es dabei stets den gleichen Sieger: Paul Biya (AFP / Alexis Huget)
    Comfort Akiata kann sich vor Schmerz kaum auf den Beinen halten, als sie sich ihrem Sohn nähert. Gerard Akiata trägt ein weißes Gewand, eine Kette mit Kreuz. Er liegt in einem offenen Sarg in der Kathedrale von Bamenda.
    "So wie er gestorben ist, das ist einfach verstörend. Ich weiß nicht was ich da sagen soll. Er war der einzige Sohn, den ich hatte."
    Gerard wurde nach einem Gottesdienst vor seiner Kirche in der Nähe der Provinzhauptstadt Bamenda erschossen. Mehrere Augenzeugen geben an, gesehen zu haben, wie der 19-Jährige aus kurzer Distanz regelrecht hingerichtet wurde – obwohl er klar als Geistlicher zu erkennen gewesen sei. Der Erzbischof von Bamenda, Cornelius Fontem Esua, fordert Konsequenzen – befürchtet jedoch, dass es erneut keine geben wird.
    "Die Menschen haben Angst vor der Armee. Sie werden von ihr terrorisiert. Niemand scheint in ihren Händen sicher zu sein. Du bist sofort schuldig, du kannst noch nicht mal sagen, wer du bist. Das ist außergerichtliche Rechtsprechung, die Hinrichtung von Menschen. Und davon gibt es viele Fälle."
    Regierung lehnt Verhandlungen ab
    Seit zwei Jahren verschärft sich der blutige Konflikt im Westen Kameruns – doch die Ursachen reichen weiter zurück. In den 1960ern wurde Kamerun unabhängig – ein früheres französischsprachiges Mandatsgebiet und ein englischsprachiges zusammengefügt. Offiziell gibt es seitdem zwei Amtssprachen, zwei Bildungssysteme, zwei Rechtssysteme.
    Doch in der Realität fühlt sich die Minderheit im anglofonen Teil Kameruns unterdrückt und benachteiligt. Anfang 2016 gingen zunächst Anwälte auf die Straße, später Lehrer und die Zivilgesellschaft. Der Staat reagierte mit harter Hand – es gab mehrere Tote, Dutzende Verhaftete und eine dreimonatige Internetblockade für die gesamte Region. Daraufhin gründeten sich mehrere bewaffnete Widerstandsgruppen.
    Der Gouverneur der Region empfängt uns zu einem Interview, oder besser gesagt zu dem, was er Interview nennt. Deben Tchoffo ist ein enger Vertrauter des Präsidenten. Die Fragen mussten vorab eingereicht werden – bis auf eine wurden alle gestrichen.
    "Die Sicherheitssituation ist unter Kontrolle, in der gesamten Region. Es gibt zwar ein paar kleine Hotspots. Aber wir haben alles im Griff."
    Autor: "Aber die Menschen beschweren sich über Menschenrechtsverletzungen und Hinrichtungen."
    "Das habe ich doch schon gesagt: Die Menschenrechtsverletzungen werden wir nach Recht und Gesetz aufarbeiten."
    Der Gouverneur steht auf – und verlässt den Raum. Ein paar kleine Hotspots? Wir wollen uns auf dem Land selbst ein Bild machen – und verlassen die Provinzhauptstadt. Die Fahrt geht vorbei an verlassenen Dörfern, die Hauptstraße ist fast leer. An den Militärcheckpoints, die zunächst zu passieren sind, werden Reisende ganz offen zu Schmiergeldzahlungen gedrängt. Dann folgt die erste Blockade von Separatisten. Mit Jagdwaffen kämpfen sie für ihren eigenen (englischsprachigen) Staat: Ambazonien.
    "Wir versuchen, die Leute hier und in den Nachbardörfern zu beschützen. Denn die Armee attackiert uns hier und tötet unschuldige Leute. Darum sind wir hier und passen auf."
    Zwei Separatisten stehen in Kamerun vor einem Motorrad, einer hält eine Waffe in der Hand
    Mit Jagdwaffen kämpfen die Separatisten für ihren eigenen englischsprachigen Staat (Deutschlandradio / Adrian Kriesch)
    In dem Gebiet operieren verschiedene Separatistengruppen. Wenige Kilometer weiter sehen wir, dass auch einige von ihnen Anwohner und Durchreisende einschüchtern, Schutzgeld verlangen. Auch wir werden bedroht.
    "Wer bist du? Soll ich dich in Stücke schneiden, bevor du hier wegkommst?
    Autor: "Wir sind Journalisten. Wir wollen keine Probleme."
    "Gib uns Geld. Mehr, sonst nehmen wir dein Handy weg."
    Wirtschaftliche Probleme verschärfen sich
    Zwischen die Fronten gerät auch regelmäßig das naheliegende Dorf Numba, erzählt Pfarrer Roland Arrey. Auf Druck der Separatisten hat die Schule seit zwei Jahren geschlossen – sie wollen nicht, dass ihnen dort die französische Sprache aufgezwungen wird. Vor der Kirche baut der Pfarrer gerade eine Art Spielplatz, damit sich die Kinder wenigstens irgendwie beschäftigen können.
    "Es ist schwierig. Beide Seiten senden überhaupt keine Zeichen, die uns Trost oder Hoffnung spenden. Manchmal kommen die Kämpfer in einer Gruppe hierher und fragen uns nach Geld. Das ist doch seltsam, sie fragen uns nach Geld. Und die Leute haben Angst – sie können nicht nein sagen. Sie müssen etwas geben. Wir wissen nicht, was sicherer ist – sollen wir zu den Soldaten rennen? Oder zu den Kämpfern? Die Leute haben einfach nur Angst."
    Zurück in Bamenda, dem ehemaligen Geschäftszentrum der Region, wo die Wirtschaft am Boden liegt – auch hier ist die Angst ein täglicher Begleiter. Es ist eine sinnlose Gewaltspirale, sagt der Erzbischof von Bamenda bei der Beerdigung des jungen Priesteranwärters.
    Sein Lösungsvorschlag: eine komplette Amnestie für alle Separatisten – und dann Gespräche zwischen den Konfliktparteien. Doch auch nach seiner Wiederwahl hat Präsident Paul Biya daran bisher kein Interesse gezeigt.