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Serebrennikow aus Hausarrest entlassen
"Das ist alles noch nicht zu Ende"

Überraschend ist der russische Regisseur Kirill Serebrennikow aus dem Hausarrest in Moskau entlassen worden - nach rund anderthalb Jahren. Das Strafverfahren gegen ihn wegen angeblicher Veruntreuung staatlicher Fördermittel wird aber fortgesetzt. Ihm droht eine Haftstrafe.

Von Thielko Grieß | 08.04.2019
Kirill Serebrennikow, März 2019
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow: Nach rund anderthalb Jahren Hausarrest wurde er nun entlassen. (imago/TASS/Gavriil Grigorov)
Gerichte in Russland - haben sie erst einmal eine Entscheidung getroffen - sind nicht dafür bekannt, dass sie sich öffentlich korrigieren. Was im Gerichtssaal passierte, ist in einem Youtube-Video zu sehen. Gefilmt hat ein Journalist des Netzmediums Meduza.
Die Richterin erklärt, dass der Hausarrest für die Beschuldigten aufgehoben werde. Als das entscheidende Wort fällt, huscht ein ungläubiger Ausdruck über das Gesicht der mitangeklagten Sophia Apfelbaum. Kirill Serebrennikow reckt einen Arm in die Höhe. Kurz darauf verlässt der Regisseur das Gerichtsgebäude selbstständig zu Fuß – nach bisherigen Terminen im Gericht wurde er stets von Beamten in seine Moskauer Wohnung gefahren.
"Vielen Dank allen, die uns unterstützen und sich um uns sorgen. Danke den vielen guten Menschen, auch allen, die jeden Tag während meiner zweistündigen Spaziergänge auf mich zugekommen sind und mir gesagt haben: ‚Halten Sie durch, wir sind auf Ihrer Seite!' und solche Dinge. Das ist unglaublich berührend, Ihre Hilfe ist so notwendig."
Er durfte nicht zur sterbenden Mutter
Die täglichen Spaziergänge hatte er unternehmen können, weil das Gericht sie ihm gestattet hatte – allerdings nur in seinem Viertel Chamowniki in der Nähe des Moskauer Zentrums. Nicht erlaubt war es ihm, zu seiner Arbeitsstätte zu gelangen, dem Gogol-Zentrum. Ebenso wenig hatte das Gericht ihm gestattet, zu seiner im Sterben liegenden Mutter nach Rostow am Don zu fliegen. Er durfte erst dorthin reisen, als sie bereits gestorben war. Nun darf er sich wieder frei bewegen, jedoch nur in Moskau.
Bei aller Freude im Gerichtssaal heute: Das Strafverfahren gegen ihn und die übrigen Angeklagten wird weiter fortgesetzt. Darauf verwies auch Serebrennikow selbst in seinen kurzen Statements:
"Das ist alles noch nicht zu Ende. Wir müssen weitermachen und vor Gericht unsere volle Unschuld beweisen."
Der Regisseur und einige seiner früheren Mitarbeiter sind angeklagt, in der Zeit von 2011 bis 2014 staatliche Fördermittel veruntreut zu haben. Sie hatten damals einen Wert von etwa 3,3 Millionen Euro. Staatsanwalt Lawrow hatte im vergangenen November bei Prozessauftakt gesagt:
"Serebrennikow hat das Handeln aller Mitglieder dieser Gruppe geleitet und koordiniert, mit gemeinschaftlichem, verbrecherischem Vorsatz."
Haftstrafe droht weiter
Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich an dieser Einschätzung der Anklagebehörde etwas geändert hat. Entsprechend fallen viele Reaktionen in der Moskauer Kulturszene heute zwar erleichtert aus, verweisen aber auch auf die weiter drohende Haftstrafe. Die Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja wird vom Medium RBK so zitiert: "Das Urteil wird, so denke ich, kein Freispruch sein. Im besten Fall wird Kirill zu einer Haftstrafe verurteilt, die seinen schon abgesessenen Hausarrest nicht übersteigt, und dann wird er freigelassen."
In Russland wird nun spekuliert, was das Gericht – das wie wohl alle Gerichte des Landes für politische Weisungen empfänglich ist – zu seiner überraschenden Entscheidung bewogen hat. Ins Auge fällt die Bemerkung eines mit Wladimir Putin eng verbunden, sehr bekannten Moderators im Staatsfernsehen, Dmitrij Kisseljow. Der hatte vor kurzem in seiner sonntäglichen Sendung minutenlang über das nach seinen Worten in der russischen Kultur enthaltene Element der Repression räsoniert. Allein Wladimir Putin setze dem "kleinen Stalin", den so viele Menschen in sich trügen, Grenzen.
Die Ausführungen des Moderators, insgesamt 16 Minuten lang, mündeten in den Appell, Angeklagte mit mehr Augenmaß, auch Milde, zu behandeln. Es sieht danach aus, als habe das Gericht die Botschaft aus dem Kreml verstanden und umgesetzt.