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Serie: Blinde Liebe
Wie der Fußball die Medien beeinflusst

Der Fußball ist in den Medien allgegenwärtig. Der vierte Teil unserer Serie "Blinde Liebe" zeigt, wie der Fußball die Öffentlichkeit kontrolliert.

Von Moritz Küpper | 10.01.2016
    Fußball ist im Fernsehen allgegenwärtig
    Fußball ist im Fernsehen allgegenwärtig (imago Sportfoto)
    Sonntagabend in Deutschland, 20:15 Uhr. Es ist der 11. Oktober des vergangenen Jahres - als es zu einem interessanten Duell kommt. "Verbrannt" heißt der Tatort, in dem Wotan Wilke Möhring und Petra Schmidt-Schaller als Falke und Lorenz im Fall eines verbrannten Asylbewerbers in der niedersächsischen Provinz ermitteln. Es ist guter Film, basierend auf einer wahren Begebenheit, der vorab in zahlreichen Kinos gezeigt wurde. Und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass das Duell, einen ähnlichen Auftakt hat.
    Fußball schlägt den Tatort
    Die deutsche Nationalhymne, sie läuft an diesem Abend nicht nur in der ARD, sondern wenige Minuten später auch bei RTL. Das letzte, sportlich unbedeutende Spiel in der Europameisterschafts-Qualifikation für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in Irland. 0:1 wird dieses Spiel aus deutscher Sicht enden, doch das eigentliche Ergebnis dieses Abends steht erst am nächsten Morgen fest: Die TV-Quoten. Mit 13,84 Millionen Zuschauern gewinnt der Fußball das deutsche "Lagerfeuer"-Duell, der Tatort kommt mit 7,2 Millionen Zuschauern nur etwa auf die Hälfte.
    "Fußball hat mal jemand geschrieben, ist das, was es früher mal, in Steinzeiten, als das Sitzen ums Lagerfeuer gab. Man ist beisammen gesessen, man hat über Helden gesprochen, man hat über Niederlagen gesprochen. Das Lagerfeuer der Urzeit ist heute das Fußball-Stadion, sagt Markus Hörwick.
    Anfang der 80er-Jahre baute er die Pressestelle des FC Bayern auf. Damals musste er noch in die Redaktionen gehen, um die Journalisten zu überzeugen, auch mal an die Säbener Straße 51 zu fahren - heute haben die Bayern vor einem Champions League-Spiel bis zu 150 Interviewanfragen:
    "Wir sind, nach der Bundesregierung nach wie vor, der Klub, das Unternehmen, wo am meisten jeden Tag aktuell arbeitende Journalisten vor Ort sind."
    Fußball als Quotenbringer für das Fernsehen
    Und diese Nachfrage hat zwei Effekte: Zum einen lässt sie sich kommerziell vermarkten, zum anderen schafft sie Macht. Wobei das eine irgendwie auch das andere bedingt, sagt Professor Uwe Hasebrink. Er ist Direktor am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg: "Es ist regelmäßig der Inhalt, der über die Jahre hinweg die höchsten Einschaltzahlen erreicht. Der die größte Publika anzieht. Also insofern ist Fußball eine Ausnahmeerscheinung."
    Im abgelaufenen Jahr 2015 steht in den Top Ten der TV-Quotenhits zehnmal Fußball - und 18 Monate nach dem WM-Finale in Brasilien vermeldete die FIFA, dass dieses Spiel weltweit von 1,013 Milliarden Menschen gesehen wurde - das entspricht etwa einem Siebtel der Weltbevölkerung. In Zeiten, in denen das lineare Fernsehen abnimmt und damit TV-Werbung eigentlich nur noch bei Live-Events schaltbar ist, verschafft es dem Fußball eine gute Ausgangslage: Über eine Milliarde Euro will die Deutsche Fußball-Liga (DFL) für die Fernsehrechte ab der Spielzeit 2017/2018 erlösen. Aktuell sind es 630 Millionen.
    Für ARD, ZDF sowie den Pay-TV-Sender "Sky" sind diese Rechte von großer Bedeutung. Sollte beispielsweise "Sky" leer ausgehen, könnte es das Ende des Senders bedeuten. Und auch für ARD und ZDF wäre es ein großer Verlust. Zwar gibt es mittlerweile eine EU-Richtlinie, nach der eine kostenfreie Kurzberichterstattung möglich ist, doch diese ist in Deutschland bislang nicht umgesetzt, berichtet Stephan Dittl, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in der Kanzlei "Salger" in Frankfurt, der über Kurzberichterstattung promoviert hat: "Es interessiert auch offenbar keinen mehr, weil der Markt mit der derzeitigen Lage durchaus zufrieden ist."
    Dass diese EU-Richtlinie nicht umgesetzt ist, wundert Dittl nicht: "Dass die Verbände kein Interesse haben, ist klar. Und bei den Sendern gibt's in den letzten Jahren keinen, der das wirklich gewollt hat. Keinen, der bei der Politik mal nachgefühlt hat." Die Vermutung liegt nahe: Die TV-Sender wollen es sich nicht mit der DFL verscherzen.
    Unliebsame Berichte haben Konsequenzen
    Denn unliebsame Berichterstattung hat durchaus Konsequenzen: "Dann kommen da sofort Folgen, wie: Dann gibt es keine Interviews mehr mit anderen Spielern, Beschwerden bei den Ressortleitern, und so weiter", Berichtet Dirk Kurbjuweit, mittlerweile Mitglied der Chefredaktion beim "Spiegel", er schrieb einst kritisch über Arjen Robben, was in München nicht gut ankam: "Also, Bayern München führt sich da, wie gesagt, wie ein Königreich auf, wenn nicht wie eine Diktatur im Sport."
    Doch angesichts des hohen Interesses, der Finanzkraft und der zunehmenden Professionalisierung, wird der Fußball auch als Arbeitgeber immer interessanter. Zwar wechselten schon immer Sportreporter als Sprecher zu Vereinen, doch in jüngster Zeit gab es bemerkenswerte Wechsel: So wechselte Christopher Keil aus dem Investigativ-Ressort der Süddeutschen Zeitung zum FC Bayern, der Chefreporter der "Sport-Bild", Florian Scholz ging zum Zweitligisten RB Leipzig und Tobias Kaufmann verließ die Chefredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers und ging zum 1. FC Köln. Denn der FC, ähnliche wie fast alle anderen Bundesliga-Klubs, spielt nun die komplette Medienklaviatur.
    Neben dem klassichen Vereinsmagazin "Geißbock-Echo", so Kaufmann, "haben wir natürlich eine Website. Wir sind in allen relevanten Social-Media-Kanälen unterwegs und wir haben ein eigenes Klub-TV." Die These, dass das eigene Klub-TV jedoch die komplette Berichterstattung übernehme, weist Kaufmann für den 1. FC Köln zurück: "Wir machen beides parallel. Wir arbeiten - am Standort Köln ist das gar nicht anders möglich - mit sehr, sehr vielen Medien täglich zusammen."
    Direkter Zugang für Klub-Sender
    Doch wie ein solches Szeanrio aussehen könnte, war auch schon zu besichtigen: "Solche Storys liefert nur der Fußball." Das Studio von fcb.tv, dem eigenen Sender des FC Bayern München. "Mario Götze erzielte zehn Minuten nach seiner Einwechslung das 1:0." Moderator Dieter Niklas hat einen besonderen Studiogast. "Der FC Bayern nimmt auch die Hürde BVB, auch dank ihm. Servus Mario." - "Hallo." - "Grüß dich, hallo. Das war ja keine ganz einfache Situation für Dich. Wie hat denn die Mannschaft und Pep Guardiola, wie haben die Dich mitgenommen, begleitet, vorbereitet auf das Spiel?" - "Ja, natürlich, wir wussten, dass das sehr, sehr schwieriges Spiel wird..."
    Mario Götze, weißes, ausgeschnittenes T-Shirt, hochgestylte Haare und einst bei Borussia Dortmund unter Vertrag, gibt am Tag nach seinem ersten Spiel gegen den ehemaligen Arbeitgeber im November 2013 ein Interview. Am Vortag ist er noch wortlos aus dem Stadion entschwunden, obwohl ihn natürlich alle Medien sprechen wollten. Nun hat ihn fcb.tv exklusiv - für ein nettes Geplänkel.
    DFL beeinflusst den Umfang der Berichterstattung
    Ohnehin werden die Bilder der Bundesliga-Spiele bereits nicht mehr von unabhängigen Berichterstattern produziert, sondern von einer DFL-Tochter. Somit behält die Liga die Hoheit über die Bilder, kann selbst entscheiden, was gefilmt wird. Aber nicht nur das: Im Zuge der Vertragsgestaltungen um die TV-Rechte der Liga diktiert die DFL - trotz der hohen Summen, die sie dafür erhält - auch noch den Umfang der Berichterstattung.
    "Es gibt die vertragliche Verpflichtung, vom Samstagabendspiel der Fußball-Bundesliga in einer ausführlichen Zusammenfassung zu berichten. Und dieser Verpflichtung kommt das ZDF natürlich gerne nach", lautet die E-Mail-Antwort des ZDF auf eine Deutschlandfunk-Anfrage mit. Sprich: Egal ob das Abendspiel unattraktiv war, 0:0 ausging. Das bedeutet, so das ZDF auf Nachfrage, "dass immer circa eine knappe Viertelstunde vom Samstagabendspiel gleich zu Beginn des "aktuellen Sportstudios" berichtet wird - in der Regel kommen die 3D-Analyse und das Interview mit den Trainern der beiden Teams des Samstagabendspiels hinzu."
    Der Effekt: Zusammen mit den Spielen des Nachmittags dominiert die Bundesliga damit automatisch die komplette Sendung - und zeigt so den Trend der Medienbranche.