Donnerstag, 28. März 2024

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Serie: Die Klimaverbesserer (4/5)
Ein Heizungsbauer heizt die Atmosphäre kaum noch auf

Das verarbeitende Gewerbe in Deutschland verbraucht so viel Primärenergie wie sonst kein anderer Industriezweig. Ein Großteil davon ließe sich jedoch einsparen oder aus erneuerbaren Quellen speisen. Ein Heizungsbauer in Nordhessen zeigt, wie es gehen könnte.

Von Volker Mrasek | 10.12.2018
    Eine Methan - Biogasanlage
    "Null Prozent Kohlendioxid" durch Biogas und Holzhackschnitzel (imago)
    "Wir laufen durch reihenweise angepflanzte Pappeln. Da können wir jetzt eigentlich nur deswegen ganz gut durch- oder fast drübergucken, weil wir eben im Herbst hier keine Blätter mehr dranhaben. Die, haben wir ja eben gehört, liegen alle auf dem Boden."
    Eine Laubholz-Plantage im hessischen Edertal nördlich von Marburg. Drumherum Äcker und Feldwege.
    "Den Jahrring finde ich jetzt gerade nicht. Ach, da oben drüber isser doch!"
    Noch jung sind sie, die Pappeln, die der Forstwirt Moritz von Harling an diesem Tag inspiziert, ihre Stämme nicht mal armdick. Aber alt sollen die schnellwüchsigen Bäume auch gar nicht werden:
    "Wenn wir so einen Durchmesser von vielleicht zehn Zentimeter erfahrungsgemäß haben so nach drei, vier Jahren, dann fahren wir hier wieder mit der Erntemaschine hin und machen neues Energieholz für uns."
    "Energiecockpit" zeigt die Quellen an
    Mit "uns" ist das größte Unternehmen der Gegend gemeint: die Viessmann GmbH. Die Firma stellt Heizungen und Kühlsysteme her und macht jedes Jahr einen Milliardenumsatz. Das Hauptwerk steht in Allendorf an der Eder auf einer Fläche größer als 300 Fußballfelder. Dort schreitet der Maschinenbau-Ingenieur Stefan Hoffmann jetzt auf das sogenannte Energiecockpit zu, eine große Wandtafel voller Diagramme und Anzeigen im Schulungsgebäude der Firma.
    "Wo wir zeigen, wie die Energie, die das Werk verbraucht im Moment, erzeugt wird. Wir haben links auf dem Bildschirm eine Anzeige, die zeigt, dass wir das Werk momentan bei einer Außentemperatur von drei Grad ausschließlich mit regenerativen Energien, also erneuerbar, CO2-neutral, versorgen. Und nur in der Spitze, wenn es wirklich sehr kalt wird, greifen wir noch zu fossilen Brennstoffen."
    Ein Heizungsbauer heizt die Atmosphäre kaum noch auf! Martin Viessmann, der damalige Firmenchef, war vor zwölf Jahren bei den berühmten Energiegipfeln der Bundeskanzlerin dabei:
    "Zur Erfüllung unserer ehrgeizigen Klimaziele muss alles daran gesetzt werden, Energie zu sparen oder CO2-freie Energie zu erzeugen."
    Klimaziele vorweg genommen
    Schon damals hieß es, die Welt dürfe im Jahr 2050 kaum noch Kohlendioxid ausstoßen. Industrieländer wie Deutschland müssten ihre Emissionen bis dahin um 80 Prozent vermindern. So lange wollte man bei Viessmann gar nicht warten. Die Firma startete ein noch viel ambitionierteres Projekt.
    "Wo wir gesagt haben: Lass doch mal schauen, ob wir die Ziele, die sich die Bundesregierung gesetzt hat nach dem Energiegipfel, ob das vielleicht auch schon heute geht. Und ob man dazu Raketentechnik braucht. Oder ob das mit marktverfügbarer Technik geht."
    Es ging tatsächlich! Und ohne teure Weltraumtechnologie.
    "Wir gehen jetzt in die Energiezentrale. Wir führen ungefähr fünfzehntausend Besucher jedes Jahr durchs Werk. Und Sie sind jetzt der fünfzehntausenderste."
    Erdgas durch Biogas ersetzt
    Früher wurde das ganze Werk mit Erdgas geheizt, also fossil. Der CO2-Ausstoß lag bei rund 9.000 Tonnen pro Jahr. Heute - das verrät der Blick aufs Energiecockpit - sind es nur noch knapp neunzehnhundert, Stand Ende November:
    "So! Wir sind jetzt die Heizzentrale entlanggelaufen. Und gehen nun durch eine Tür in die Heizzentrale und über eine Stahltreppe runter zu den Geräten."
    Die Geräte, das sind verschiedene, zwei, drei Meter hohe Wärme- und Stromerzeuger. In Reih und Glied stehen sie nebeneinander, darunter ein großer Gas-Kessel und eine Öl-Heizung. Sie dienen nur als Backup und stehen still.
    "Wir arbeiten momentan rein mit Biogas. Und mit Holzhackschnitzeln aus eigener Produktion. Im Moment null Prozent CO2!"
    Das waren entscheidende Schritte: Viessmann hat eigene Biogas- und Photovoltaik-Anlagen errichtet und die Pappeln gepflanzt, um daraus Hackschnitzel zu machen - selbst erzeugte Brennstoffe für die neuen Biogas- und Biomassekessel. Inzwischen gibt es acht einzelne Kurzumtriebsplantagen in der Umgebung des Werkes, mit rund 1,5 Millionen Bäumen, so Moritz von Harling, der die Biomasse-Projekte bei Viessmann betreut.
    "Die Kalkulation ist so, und die Praxis hat bewiesen, dass das machbar ist, dass man auf guten Standorten bereits nach drei Jahren einen guten Ertrag ernten kann. Und von dem Holz, das wir nutzen, sind im letzten Jahr knapp 90 Prozent aus eigenem Anbau gekommen."
    Ein Katalog von Einzelmaßnahmen
    Der Heizungsbauer hat aber nicht nur seine Energieversorgung umgekrempelt, sondern auch noch an vielen anderen Schrauben gedreht. Steffen Hoffmann nennt einige der wichtigsten Effizienz-Maßnahmen:
    "Wir haben unsere Waschanlage mehrfach optimiert, unsere Blechwaschanlage, haben dort jetzt deutliche Energieeinsparungen erzeugt. Die Pumpen sind mittlerweile alle auf Hocheffizienz-Pumpen umgeschaltet. Es ist unglaublich, was man an Energie im Pumpenbereich sparen kann. Wir haben konsequent alle Lecks in der Druckluftanlage geschlossen. Druckluft ist ein großer Energiefresser. Bei der Beleuchtung des Werkes sind wir auf eine segmentierte Beleuchtung mit Helligkeitsmessung dort, wo die Leute arbeiten, gegangen. Und wir haben eine segmentierte Heizung, das heißt die Teile in der Halle, wo gearbeitet wird, werden segmentiert beheizt, so dass wir nicht 65.000 Quadratmeter heizen müssen, wenn nur zehn Linien laufen."
    Sein gesammeltes Energie-Know-How vermarktet Viessmann inzwischen auch, durch zwei Tochterfirmen. Den CO2-Ausstoß nach eigenem Vorbild um 80 Prozent oder mehr zu senken - bei einem Stahlkonzern oder einer Aluminiumhütte werde das wohl kaum klappen, sagt Hoffmann. In vielen anderen Produktionszweigen aber schon:
    "Es geht mit vernünftigen marktverfügbaren Technologien. Man muss also nicht warten, um sowas umzusetzen. Man muss nur anfangen, zu handeln."