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Serie Fernweh: Horst Rückert ist Lehrer in Chile

Seit vier Jahren ist Horst Rückert Leiter der deutschen Schule im chilenischen Concepción. " Es ist eine völlig andere Art von Arbeit im Ausland", sagt er.

Moderation: Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Heute treibt uns das Fernweh nach Chile, in die Stadt Concepción, und dort am Telefon ist Horst Rückert, seit vier Jahren Leiter der deutschen Schule dort in Concepción. Guten Tag!

    Horst Rückert: Ja, guten Tag!

    Biesler: Sie leiten eine deutsche Schule in Chile. Wer besucht die denn eigentlich? Welche Schüler haben Sie?

    Rückert: Wir haben fast ausschließlich chilenische Schüler, und das Wort "deutsche Schule" muss man auch sehr genau benutzen. Es ist eigentlich eine chilenische Schule, an der in verstärktem Maße Deutsch unterrichtet wird als Fremdsprache.

    Biesler: Also der eigentliche Unterricht wird auf Spanisch abgehalten?

    Rückert: Ja, in allen Fächern wird auf Spanisch unterrichtet, außer in der Grundschule, wo wir am Anfang zweisprachig unterrichten, und eben dann das Fach Deutsch durchgehend.

    Biesler: Jetzt haben Sie sich ganz bewusst entschieden, nach Chile zu gehen. Sie sind da nicht irgendwie hingeweht worden, sondern Sie wollten auch ganz gerne ins Ausland. Warum eigentlich?

    Rückert: Ins Ausland wollte ich schon gerne, nach Chile bin ich tatsächlich geweht worden. Es ist nicht so, dass man sich für eine bestimmte Schule oder für ein bestimmtes Land bewerben kann. Man bekommt Angebote und kann dann eines von diesen Angeboten nehmen. Ich wollte sehr gerne wieder nach Lateinamerika, weil ich da schon mal acht Jahre an einer deutschen Schule gearbeitet habe und von diesem Kontinent ungeheuer fasziniert war und bin.

    Biesler: Was fasziniert Sie dran?

    Rückert: Die Sprache, die spanische Sprache, dann dieser Kontinent, der eine hoch interessante Mischung ist aus einheimischer Bevölkerung und Einwanderern aus ganz Europa und der in den letzten Jahrzehnten eine ungeheuer turbulente Geschichte hinter sich gebracht hat, die die Menschen mit einer wirklich bewundernswerten Mentalität bewältigen. Und da, glaube ich, kann man nach den Verwerfungen, die die Deutschen in den letzten Jahrzehnten hinter sich bringen mussten, schon viel lernen.

    Biesler: Wenn Sie Ihren Arbeitsalltag mit dem in Deutschland vergleichen, wo sind da die Unterschiede?

    Rückert: Es ist unendlich viel mehr Arbeit. Ich muss viel länger arbeiten, als ich jemals in Deutschland arbeiten musste. Es ist sehr anstrengend und aufregend, weil es sehr wenige Vorgaben gibt. Ich kann sehr viel selber entscheiden. Und ich bin niemals vor Überraschungen sicher, die einfach mit dem fremden Land zu tun haben.

    Biesler: Zum Beispiel?

    Rückert: Ja, was ganz Triviales, die völlig andere Auffassung von Zeit. Pünktlichkeit ist einfach ein anderes Konzept. Das Verbringen von Zeit ist ein anderes Konzept. Unsere Vorstellung von Effizienz wird nicht immer geteilt. Menschliche Beziehungen spielen eine ungeheuer große Rolle. Das kann positiv oder negativ sein. Viel wichtiger als formelle Vorgaben sind solche persönlichen Beziehungen, informelle Absprachen und so weiter.

    Biesler: Das heißt aber nicht, dass die Schüler morgens alle zu spät zum Unterricht kommen?

    Rückert: Das versuchen sie schon, doch. Aber da kann man schon einiges tun, damit sie sich dran gewöhnen. Das wird dann auch so hingenommen als typisch deutsche Eigenheit.

    Biesler: Sie sind ja eine Privatschule, das heißt, man muss auch Schulgeld bei Ihnen bezahlen. Aus welcher sozialen Klasse kommen denn die Kinder?

    Rückert: Also nach deutschen Begriffen kommen sie aus der Mittelschicht, nicht aus der Oberschicht, die gehen hier an die englische Schule. Das ist typisch für viele deutsche Schulen im Ausland, dass die, wie man im Deutschen sagen würde, aufstiegsorientierte Mittelschicht sich diese Schulen aussuchen. Die Schule kostet im Monat etwa 200 Euro, das ist für viele Eltern gerade noch bezahlbar.

    Biesler: Wenn jemand jetzt wie Sie auch ins Ausland gehen möchte und dort an einer Schule unterrichten, worauf muss er achten? Gibt es etwas, was man auf keinen Fall tun sollte?

    Rückert: Was man auf keinen Fall tun sollte, ist zu erwarten, dass man so weitermachen kann wie in Deutschland und das deutsche Lehrerleben vielleicht mit etwas Reiseabenteuern verbinden kann. Es ist eine völlig andere Art von Arbeit im Ausland, und es wird von uns - ich sage jetzt mal ganz bewusst von uns - erwartet, dass wir uns sehr feinfühlig auf die jeweiligen nationalen Besonderheiten einstellen und gleichzeitig ein bisschen was von unseren deutschen pädagogischen Ideen, vielleicht auch von unserer deutschen - was man uns ja nachsagt - von unserer deutschen Organisationskunst hier verwirklichen, aber sehr vorsichtig, sehr feinfühlig und mit großem Respekt vor den Kulturen und Traditionen des Landes, in dem wir sind. Sonst fällt man auf die Nase.