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Serie "Fliegen und Sterben"
Die Fliege aus dem Rhino-Magen

Insekten sind klein, aber in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen. Viele haben sich an zum Teil extreme Bedingungen angepasst. So wie die Nashorn-Dasselfliege, eine der größten Fliegenarten der Welt. Ihr Problem: Sterben die Nashörner aus, sind auch ihre Tage gezählt.

Von Joachim Budde | 12.08.2019
Manche Lebewesen sind so selten, dass kaum ein Mensch sie je zu Gesicht bekommen hat. Man braucht Glück oder Ausdauer - oder gute Kontakte:
"Ein britischer Zoo hat mich im Herbst 1995 kontaktiert. Sie hatten im Juli ein Nashorn aus Südafrika eingeführt. Einer der Tierpfleger kehrte den Mist im Nashornhaus zusammen und war ziemlich geschockt, als er dabei diese riesigen Maden entdeckte, die über den Boden krochen. Hellgelb, etwa 40 Millimeter lang – das ist sehr groß für eine Larve."
"Ich wollte unbedingt wissen, ob sie sich zu Erwachsenen entwickeln würden"
Martin Hall ist Leiter der Abteilung für Parasiten und Krankheitsüberträger am Naturkundemuseum in London. Er ließ sich die Riesenlarven zuschicken und erkannte die Nashorn-Dasselfliege Gyrostigma rhinocerontis.
"Zu meinem Glück waren noch zwei oder drei der Larven am Leben, als sie bei mir ankamen. Ich wollte unbedingt wissen, ob sie sich zu Erwachsenen entwickeln würden."

Martin Hall nahm die Larven mit nach Hause.
"Zuhause hatte ich ein Terrarium, in dem wir insektenfressende Eidechsen hielten. Da war es schön warm, genauso wie in Südafrika, wo diese Dasselfliegen leben. Ich steckte die Larven also hinein, und buchstäblich innerhalb eines Tages entwickelten sie sich zu Puppen, bauten also einen Cocon, in dem die Metamorphose abläuft."
Martin Hall, Leiter der Abteilung Parasiten und Vektoren am Natural History Museum, London, hält ein Glas mit Maden südamerikanischer Dasselfliegen in der Hand. Copyright: Joachim Budde
Bild bitte nur im Zusammenhang mit Serie "Fliegen und sterben" Forschung aktuell verwenden. (August 2019)
Martin Hall, Leiter der Abteilung Parasiten und Vektoren am Natural History Museum, London (Joachim Budde)
Ganz außergewöhnliche Tiere
Nashorn-Dasselfliegen sind ganz außergewöhnliche Tiere. In Afrika warten schätzungsweise 30.000 Fliegenarten auf ihre Entdeckung, aber von den bekannten ist die Nashorn-Dasselfliege die größte. Und sie ist extrem gefährdet, sagt Dr. Erica McAlister, Kuratorin für Fliegen und Flöhe am Londoner Naturkundemuseum.
"Ich mag diese Art, weil sie ein Beispiel dafür ist, dass das Schicksal eines Tieres sehr eng mit dem eines anderen verwoben ist. Wir als Gesellschaft sorgen uns sehr darüber, dass die Nashörner aussterben und es gibt diese enorme Kampagne zu ihrem Erhalt. Wenn aber das Nashorn verschwände, machte das vielen anderen Arten, die vom Nashorn abhängig sind, den Garaus." Die Nashorn-Dasselfliege lebt ausschließlich in diesen Tieren. "Das ist ein Grund, warum diese Fliege so selten ist: Ihr Wirt ist so selten. Hinzu kommt aber, dass die Insekten obendrein kaum noch einen Geschlechtspartner finden, weil die Nashörner so stark dezimiert wurden."
In Martin Halls Terrarium dauerte es 34 Tage, dann schlüpfte die erste Fliege.
"Das hat mich umgehauen. Sie war gewaltig. Ich habe sie hier vor mir: Ihre Spannweite ist knapp 60 Millimeter, also eine wirklich große Fliege, und sie sieht den afrikanischen Wespenjagdspinnen ähnlich, um Fressfeinde zu täuschen. Sie klappert sogar genauso beim Fliegen. Die Eidechsen hielten sich von ihnen fern, obwohl sie Fliegen fressen. Vielleicht weil die Nashorndasselfliegen fast genauso groß wie die Eidechsen sind."
In der afrikanischen Savanne legen die Fliegenweibchen ihre Eier auf den Kopf eines Nashorns. Es ist nicht genau bekannt, wie die Larven in den Magen gelangen, aber Martin Hall vermutet, dass das passiert, wenn die Nashörner sich selbst oder einen Artgenossen putzen. Vielleicht kriechen die Larven auch selbst ins Maul der Tiere und nisten sich in der Magenwand ein.
"Sie haben zwei große gezahnte Haken am Mund, mit denen sie sich festhalten können. Sie ernähren sich von Sekret aus der kleinen Wunde, die sie in der Magenschleimhaut verursachen. In evolutionärer Hinsicht haben die Nashorn-Dasselfliegen eine fantastische Strategie entwickelt, weil sie im Innern des Nashorns wunderbar gleichbleibend mit Nahrung versorgt werden."
Außerdem hatten Nashörner lange so gut wie keine Feinde – bis der Mensch daherkam.
Stark dezimierte Verbreitungsgebiete
Ursprünglich muss die Nashorn-Dasselfliege überall in Afrika südlich der Sahara vorgekommen sein. Jetzt ist ihr Verbreitungsgebiet auf den Osten und Süden des Kontinents geschrumpft.
"Ich fühle mich privilegiert, weil es kaum Forscher gibt, die dieser Fliege jemals über den Weg gelaufen sind – nicht einmal in Afrika. Sie ist so selten. Für meine armen Fliegen ist es unglücklich gelaufen, sie suchten einen Geschlechtspartner und ein Nashorn, aber ich konnte ihnen beides nicht bieten. Am Ende sind sie in unserer Sammlung gelandet. Und eine haben wir für genetische Untersuchungen eingefroren."