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Serie Kunst-Stoffe
Kunstvermittlung in der digitalen Gegenwart

Das Museum als Ort, in dem Kunst, Wissen und Geschichte vermittelt werden, verliert in Zeiten von digitaler Selbstverständlichkeit sein Alleinstellungsmerkmal. Längst bieten private wie staatliche Museen multimediale Begleitungen ihrer Ausstellungen und Depots an - für viele ein Spagat zwischen traditioneller Herangehensweise und ambitioniertem Zukunftswerk.

Von Miriam Sandabad | 17.04.2017
    Die Startseite der App des Rijksmuseum Amsterdam
    Die Startseite der App des Rijksmuseum Amsterdam (dpa/picture alliance/ Matthias Balk)
    "Man muss sie sich einfach nur installieren und kann dann damit ins Museum gehen (...) und dann öffnet man die App, richtet einfach die Kamera auf die Gemälde und sieht was passiert und lässt sich überraschen."
    Gemäldegalerie Berlin. Alexander Govoni zielt mit seinem Smartphone auf ein Bild des Malers Jan Gossaert - und plötzlich schiebt sich aus der Szenerie des Sündenfalls ein rosafarbener Elefant hervor. Zusammen mit einer Kommilitonin entwickelte der Künstler bereits 2015 die App "Refrakt", die jahrhundertealte Werke in die digitale Gegenwart holt. Der Blick durch den Bildschirm erweitert die Realität, öffnet einen virtuellen Raum - und ist nicht zuletzt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Original.
    Audiobeispiele: "Betrachten Sie das Bild doch einmal genauer. Ein tiefes, sattes Blau. Dieses Kunstwerk ist ganz anders als die anderen Bilder im Museum. Sandro Botticelli schuf hier ein Meisterwerk der italienischen Renaissance-Malerei."
    Digitale Begleitung in Museen kann mehr sein als das bloße Abspielen des Audioguides. Denn ein virtueller Sammlungsführer gehört für die meisten Ausstellungshäuser längst zum guten Ton. Doch wie digital will Kunstvermittlung sein?
    "Dieser Onlinekurs wird mit Ihnen ausgewählte Werke der Städelsammlung anschauen und ergründen."
    Onlinekurse zu moderner Kunstgeschichte
    Das Frankfurter Städel Museum hat die Frage nach der Netzidentität bereits beantwortet: Ein Onlinekurs zu moderner Kunstgeschichte, eine mobile App zu aktuellen Ausstellungen, virtuelle Führungen mithilfe einer Virtual-Reality-Brille. Und nicht zuletzt das ehrgeizige Vorhaben, die komplette Sammlung digital zugänglich zu machen. Gibt es Kunstgenuss demnächst nur noch auf dem Sofa statt vor Ort? Wird der Gang ins Museum nur noch im Netz stattfinden?
    "Also wir glauben tatsächlich, dass man über diese Frage "entweder-oder” eigentlich schon hinaus ist."
    Chantal Eschenfelder leitet die Kulturvermittlung des Städels.
    "Für uns ist es ganz klar ein komplementäres Angebot, was den physischen Besuch weder ersetzen wird - da haben wir gar keine Angst, dass das dazu kommt, sondern im Gegenteil, es ist ja erwiesen: Nicht nur "man sieht nur, was man weiß”, sondern "je mehr man über etwas weiß, umso größer ist in der Regel auch das Interesse an einer Sache”. Aber wir machen das nicht, um mehr physische Besucher zu bekommen. Uns geht’s vielmehr darum, die Grenzen zu überschreiten, und auch in einer zunehmend digitalisierten Welt auch präsent zu sein. Denn wenn Nutzer ihre Informationen vornehmlich aus dem Internet beziehen - und kulturelle Inhalte sind neben den vielen vielen Angeboten auf kommerzielle Art nicht vorhanden - dann erfüllen wir unseren Bildungsauftrag nicht."
    Besucher werden zu Usern
    Den hat ein kommerzieller Konkurrent der Kulturlandschaft schon vor sechs Jahren angenommen: Das Google Arts and Culture Project ermöglicht seit 2011 virtuelle Rundgänge durch bislang gut 250 Museen weltweit. 45.000 online abrufbare Kunstwerke setzen Museen unter Zugzwang: Besucher werden zu Usern - und die wollen die Kunst nicht nur betrachten, sondern aktiv erleben und mitgestalten. Wie, das zeigt das Amsterdamer Rijksmuseum. Peter Gorgels, Onlinemanager.
    "Mit all diesen hochaufgelösten Bildern kann jeder sein eigenes Meisterwerk kreieren. Nicht jeder ist kreativ, klar, aber wer will, der kann sein Werk veröffentlichen und verkaufen - unsere Nutzer sind also Botschafter des Rijksmuseums. Und das ist großartig für uns."
    Die Plattform "Rijksstudio” fordert ihre Besucher dazu auf, die ausgestellte Kunst digital zu verändern. Der Remix bedeutender Werke ist hier programmatisch und kein Widerspruch zur Wertschätzung des Originals. Das Beispiel zeigt: Digitale Auseinandersetzung mit der Kunst kann die Parallelen zwischen virtuellem Raum und klassischem Museum offen legen. Das gilt auch für die Berliner Gemäldegalerie, findet der Künstler Alexander Govoni.
    "Weil wir festgestellt haben, dass das Museum an sich schon ein Ort der Simulation ist, also Werke von unterschiedlichen Künstlern aus unterschiedlichen Epochen werden in einen Kontext gestellt und somit ergibt sich etwas Neues. Und zusätzlich beinhaltet jedes Kunstwerk in sich schon eine Simulation von Welten, die eigentlich gar nicht anwesend sind. Und das fanden wir sehr reizvoll und wollten eben noch eine Ebene der Simulation hinzufügen und diesen digitalen Raum mit unseren Arbeiten füllen."