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Serie: Rechte Parteien und die Kultur
Ungarn und seine Schriftsteller

Viktor Orbán setzt mit seiner Politik nicht nur die ungarischen Medien unter Druck. Zunehmend versucht die Regierung in Budapest auch Einfluss auf den Kulturbetrieb zu nehmen - zum Beispiel durch die Förderung der Lektüre von Rechtsaußen-Autoren wie Albert Wass oder József Nyirö.

Von Stephan Ozsvath |
    Der Schriftsteller Imre Kertesz.
    Erst kritisiert, dann ausgezeichnet: der verstorbene ungarische Schriftsteller Imre Kertész. (dpa/picture-alliance/Laszlo Beliczay)
    Kenderes, ein kleiner Ort in Ost-Ungarn, vor drei Jahren. Vor dem Mausoleum für die Familie des autoritären Zwischenkriegs-Herrschers Horthy hat sich eine kleine Schar Rechtsextremer versammelt. Der Geistliche Loránt Hegedüs wettert gegen den Literatur-Kanon, den seine Tochter lernen müsse.
    "Sie lerne diese Juden Nádas, Spiró, Esterházy und Kertész kennen, die mit jedem ihrer Sätze das Ungarntum mit Füßen träten, sagt der Rechtsextreme unter Pfui-Rufen des Publikums.
    Erst umstritten, dann ausgezeichnet
    Ungarns einziger Literaturnobelpreisträger und Holocaust-Überlebender Imre Kertész war in Ungarn lange umstritten. Die Rechte hasste ihn, weil er den Finger in eine Wunde legte, meint die Historikerin Regina Fritz.
    "Das hat damit zu tun, dass Kertész die Mitverantwortung der Ungarn hervorhebt am Holocaust."
    Aber im Holocaust-Gedenkjahr, kurz vor Kertész Tod, zeichnete die Regierung den unbequemen Literaten mit dem höchsten staatlichen Orden aus. Er passte ins Bild des unabhängigen "Freiheitskämpfers", als solcher inszeniert sich auch der ungarische Premier gern. Linke kritisierten die Auszeichnung für Kertész als Vereinnahmung. Der zuständige Minister Zoltán Balog verteidigte die Ehrung damals.
    "Imre Kertész ist eine wichtige Person für uns. Und sein Lebenswerk ist ein unveräußerlicher Bestandteil der ungarischen Kultur. Und wenn wir miteinander im öffentlichen Leben Streit haben, dann müssen wir uns diesem Streit stellen. Das ist Demokratie."
    Gleichzeitig fördert die Regierung in Budapest die Lektüre von Rechtsaußen-Autoren wie Albert Wass oder József Nyirö – der eine ein verurteilter Kriegsverbrecher und Rumänen-Hasser, der andere ein glühender Göbbels-Fan. Beide gehören sie zur Gruppe der sogenannten völkischen Literaten in Ungarn. Die sind mittlerweile Pflichtlektüre in den Schulen. László Mendrey, Geschichtslehrer und Vorsitzender der liberalen Lehrergewerkschaft PDSZ, sagt.
    "In der Zusammenstellung des Lehrplans gibt es ideologische Vorgaben. Zum einen wird das Denken der 'Heimattreuen' in den Vordergrund gestellt. Und die Kirche bekommt stärkeren Einfluss. Und das beeinflusst sehr stark, was in den sogenannten nationalen Kanon kommt. So kamen Albert Wass und József Nyirö hinein – und ein Imre Kertész geriet an den Rand."
    Im nächsten Jahr übernimmt der derzeitige Außenstaatssekretär Gergely Pröhle die Leitung des 1954 eröffneten Petöfi-Literatur-Museums in Budapest. Eine seiner ersten Amtshandlungen wird eine Albert-Wass-Ausstellung sein. Und auch József Nyirö wurde geehrt. Der PEN-Präsident und frühere Kulturstaatssekretär Géza Szöcs organisierte die Umbettung der Asche Nyirös in Siebenbürger Heimaterde.
    O-Ton: Weder aus Siebenbürgen noch Ungarn habe damals ein Schriftsteller teilgenommen, klagte Szöcs. Er habe die Ehre der ungarischen Schriftsteller gerettet, so der Literat.
    Heftige internationale Proteste
    Die Zeremonie war von heftigen internationalen Protesten begleitet gewesen. Mittlerweile ist Géza Szöcs nicht mehr Staatssekretär, sondern Präsident des Ungarischen PEN-Zentrums – und Regierungsberater. Das deutsche PEN-Zentrum hat deshalb eine Einladung zum 90. Bestehen des ungarischen Ablegers nach Budapest ausgeschlagen. Begründung: Die ungarischen Verbandskollegen stünden nicht in kritisch beobachtender Distanz zur eigenen Regierung.
    Die nimmt sich die Zwischenkriegszeit unter Reichsverweser Miklós Horthy zum Vorbild, meint György Bolgár, Moderator beim regierungskritischen Klubradio.
    "Das war damals formal auch eine Demokratie. Aber gegen die Regierungspartei konnte man nichts ausrichten. Also ist das Horthy-Regime ein gutes Vorbild. Und teilweise gibt es auch diese Restauration, dieses "Gerechtigkeit für die Ungarn, der Friedensvertrag von Trianon wird korrigiert". Und dann gibt es noch dieses Christen-Getue. Das heißt in Ungarn immer: nicht die liberalen, sondern die traditionellen ungarischen Werte. Übersetzt: Nicht das Jüdische."
    Unter Horthy wurde der Zugang zum Studium für Juden schon in den 20er-Jahren beschränkt. Und er paktierte mit Hitler, um die nach dem Ersten Weltkrieg durch den Friedensvertrag von Trianon verlorenen Gebiete – etwa in Siebenbürgen – zurückzugewinnen, was vorübergehend auch gelang. Ein Autor wie Albert Wass bildet dieses Lebensgefühl ab: indem er die guten Ungarn den bösen Rumänen gegenüber stellte. Christen-Kitsch im Nationalistengewand.