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Wieso Altgeräte oft in Afrika enden

Das Rechercheteam "Follow the Money" hat den Weg zweier ausrangierter Fernseher per Peilsender verfolgt - über Tausende Kilometer. Beide Altgeräte landeten schließlich in Afrika. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt der Journalist Marcus Pfeil, warum Afrika die Elektroschrottmüllhalde der westlichen Welt geworden ist.

Der Journalist Marcus Pfeil im Gespräch mit Georg Ehring | 27.10.2014
    Zu sehen ist ein Gabelstapler, der Paletten mit Elektroschrott transportiert
    Wie sich Elektrogeräte nachhaltig nutzen lassen (Deutschlandradio / AFP / Damien Meyer )
    Georg Ehring: Marcus Pfeil arbeitet im Rechercheteam "Follow the Money" und diese Gruppe wollte genauer wissen, was mit einem alten Fernseher geschieht. Sie begannen also nachzuforschen und haben verfolgt, was aus einzelnen Geräten wurde. Frage an Marcus Pfeil – wie sind Sie dabei vorgegangen?
    Marcus Pfeil: Genau. Man muss ja wissen, dass der Export von Elektroschrott verboten ist. Nicht funktionstüchtige Elektrogeräte darf man nicht ins Ausland exportieren. Und trotzdem verlassen irgendwie jedes Jahr 150.000 Tonnen Elektroschrott Deutschland und ein Drittel davon sind halt diese alten Röhrenfernseher. Die wandern am meisten nach Afrika und Asien. Man kennt diese Bilder von diesen schlimmen Müllhalden, wo dann Kinder mit Händen diese Fernseher ausweiden. Man weiß aber nicht so genau, wie die genau da hinkommen, und das wollten wir herausfinden und deswegen haben wir in diesen kaputten Fernsehern GPS-Peilsender versteckt.
    Der Journalist Marcus Pfeil
    Der Journalist Marcus Pfeil (Florian Büttner)
    Ehring: Und wo landeten dann die von Ihnen beobachteten Geräte?
    Pfeil: Nachdem wir das ausführlich getestet hatten und der Testfernseher ist auch schon in Afrika gelandet, haben wir drei Fernseher auf verschiedenen Entsorgungswegen auf Reisen geschickt, und es sind tatsächlich alle drei in Afrika gelandet: einer in Ghana und zwei in Nigeria.
    Ehring: Und was ist da mit ihnen passiert?
    Pfeil: Wir haben uns dann entschieden, weil wir bessere Signale von dem Fernseher aus Ghana hatten, dem hinterherzureisen. Der ist über Hamburg, Antwerpen, dann dieser große Hafen in Tema - das ist die Hafenstadt in Ghana -, über die Hauptstadt Accra bis letztlich an einen Stausee im Norden von Ghana, in Dhambai, einem kleinen Dorf, gelandet. Da haben wir ihn auch zurückgekauft. Insgesamt waren das zwölf Ketten in dieser Wertschöpfungskette. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Sie einen Fernseher entsorgen und abgeben, glauben Sie ja, er ist nichts mehr wert, und an diesem Fernseher haben noch zwölf Menschen dran verdient.
    Ehring: Das ist doch eigentlich eine sehr vernünftige Entsorgungsmöglichkeit, wenn man damit noch gut Geld verdienen kann.
    Zwei Männer beladen einen LKW mit Fernsehgeräten. 
    Zwei Männer beladen einen LKW mit Fernsehgeräten. (Follow the Money)
    Pfeil: Genau. Das ist eigentlich das Problem, dass man ja eigentlich sagt, okay, Afrikaner wollen auch Fernsehen gucken. Da ist eine starke Nachfrage nach unseren Geräten, weil die keine eigenen herstellen. Das Problem ist, dass die Lebensdauer von den meisten Röhrenfernsehern schon eigentlich abgelaufen ist und die früher oder später, wahrscheinlich eher früher kaputt gehen und es dort vor Ort keine vernünftigen Recycling-Strukturen gibt. Es ist erst mal wünschenswert, dass es wiederverwendet wird. Das sagt auch unser Abfallrecht. Es geht immer zuerst nach einer Wiederverwertbarkeit. Aber das nützt ja alles nichts, wenn vor Ort dann so Müllhalden wie dieser Ort Agbobloshie in Accra existieren, wo Kinder oder Menschen unter unwürdigen Bedingungen diese Geräte ausweiden und giftige Dämpfe einatmen und die eine Lebenserwartung haben, die deutlich unter unserer ist oder auch unter dem Durchschnitt des Landes dort.
    Ehring: Wie sehen denn die Arbeitsbedingungen konkret aus, wenn Fernseher recycelt werden in Afrika?
    Pfeil: Wir waren als Journalisten ja schon oft in der Welt unterwegs, kennen auch irgendwie Slums, Townships, Favelas. Aber das war so ziemlich das Schlimmste, was ich bisher in meinem beruflichen Leben gesehen hatte. Man will da wirklich nicht sein. Wir waren zwei Stunden auf dem Gelände und hatten dann wirklich noch tagelang Atembeschwerden. Man kann sich nicht vorstellen, dass da Menschen leben. Das ist wirklich Apokalypse. Es gibt auch eine Hierarchie unter diesen Jugendlichen und Kindern. Die ganz kleinen Kinder kriegen diese Kabel aus einem Fernseher. Die werfen die ins Feuer, beschweren das mit Sand und dismanteln sozusagen diese Kabel, um an das Kupfer zu kommen. Die etwas größeren Jungs kriegen die Kupferspule aus einem Fernseher, wo mehr Kupfer ist, die sie schneller zu Geld machen können. Und wenn man sich dann hochgearbeitet hat, darf man irgendwann Autoersatzteile ausschlachten.
    Ehring: Was ist denn die Alternative? Wenn ich jetzt einen alten Fernseher habe, was soll ich damit machen, wenn ich ihn nicht mehr brauche?
    Pfeil: Der sauberste Weg und der anständigste Weg ist logischerweise der Wertstoffhof in Ihrer Stadt, wo Sie den hinbringen können. Das macht natürlich Arbeit; das ist aber immer noch der bessere Weg, als wie wir das jetzt gemacht haben. Wir haben das ja einem Entrümpler mitgegeben über eine eBay-Kleinanzeige, der den zuhause abgeholt hat. Da wissen Sie eigentlich sicher, dass es in den illegalen Kreislauf wandert. Allerdings hatten wir als Testgröße ja auch einen Fernseher in einen öffentlichen Recycling-Hof gegeben, der ist auch in Lagos gelandet. Eine Sicherheit haben Sie damit auch nicht. Das ganze System ist falsch organisiert, man müsste das ändern. Es gibt auch verschiedene Ansätze von Wissenschaftlern. Was viele nicht wissen ist zum Beispiel: Es gibt ja eine Herstellerhaftung. Das heißt, mit jedem Fernseher, den Sie kaufen, zahlen Sie schon einen gewissen Betrag, der eigentlich für die Entsorgung vorgesehen ist. Nur müsste man irgendwie sicherstellen, dass dieses Geld, wenn ein Fernseher das Land verlässt, auch in dem Bestimmungsort ankommt, so dass man das Geld dort für die Entsorgung verwenden kann. Das ist natürlich relativ unrealistisch. Man könnte natürlich auch sagen, Mensch, Afrikaner, baut euch doch einfach eine eigene Recycling-Anlage, ist aber auch unrealistisch in solchen Ländern. Das weiß man. Das bevorzugte System von vielen Wissenschaftlern ist ein klassisches Pfandsystem, wie wir es von den PET-Flaschen kennen, dass ich wirklich einen sehr starken Anreiz habe, mein Altgerät an eine öffentliche Stelle zu bringen, und dort einen Betrag bekomme, der mich wirklich in die Lage versetzt, das da hinzubringen, also eben nicht den bequemen Weg einzuschlagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.