Freitag, 19. April 2024

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Serie: Woher kommt die Energie?
"Ludwig der XVI. war wirklich ein Hornochse"

Was treibt große Umwälzungen wie die Französische Revolution? Vor allem Angst, erklärt der Historiker und Publizist Johannes Willms im Dlf. Ludwig XVI. habe den Druck nicht aus dem Kessel genommen, bevor der explodierte. In Emmanuel Macron hingegen sieht Willms einen schlauen Symbolpolitiker.

Johannes Willms im Gespräch mit Änne Seidel | 28.07.2017
    SPD-Kanzlerkandidat Schulz trifft im Elysee-Palast in Paris mit Präsident Macron zusammen
    Man sieht ihn nur noch Händel schütteln: Emmanuel Macron. Der Historiker Johannes Willms sieht in ihm aber keinen Revolutionär, sondern eher einen "Wahlmonarchen". (picture alliance / dpa / Maurice Weiss / POOL Stern)
    Änne Seidel: Woher kommt die Energie? Das ist die Frage, die uns in diesen Sommerwochen regelmäßig beschäftigt. Heute widmen wir uns in unserer Gesprächsreihe der gesellschaftlichen Energie: Woher nimmt eine Gesellschaft die Energie, eine Revolution anzuzetteln und diese dann auch durchzuführen, also, alles infrage zu stellen, was bislang gegolten hat – politisch, moralisch, weltanschaulich, mit dem Alten komplett zu brechen, um sich zu neuen, unbekannten Ufern aufzumachen. Über diese Form der gesellschaftlichen Energie habe ich gesprochen mit dem Historiker und Publizisten Johannes Willms, Autor mehrerer Bücher, unter anderem über die Französische Revolution und ihre Protagonisten. Energie, das ist erst mal ein Begriff aus der Physik. Daher die Frage an Johannes Willms: Lässt sich dieser Begriff überhaupt so ohne Weiteres auf die Soziologie übertragen – also gibt es überhaupt so etwas wie gesellschaftliche Energie?
    Johannes Willms: Ja, das ist natürlich ein Begriff, der fällt mir schwer. Ich würde ihn nicht gebrauchen, wenn ich darüber schreiben müsste, aber man kann es natürlich tun. Es gibt so eine Energie, und wenn Sie mich fragen, wie diese Energie ausgelöst wird, dann würde ich Ihnen sagen, für Revolution ist es allemal die Angst – die Angst vorm Abstieg, die Angst vor dem Untergang, die Angst davor, deklassifiziert zu werden –, und dann wird man rabiat und dann schließlich revolutionär.
    Seidel: Und was ist mit Mut? Ich meine, es kostet ja auch oder es braucht eine ganze Menge Mut, um aufzubrechen zu neuen Ufern und alles hinter sich zu lassen. Widerspricht sich das nicht mit der Angst?
    Willms: Nein, die Angst ist kollektiv und der Mut ist individuell. Es gibt keinen kollektiven Mut, sondern es gibt nur einen individuellen Mut, und der individuelle Mut ist halt dann der der großen Revolutionsführer, also der Häuptlinge, die die Meute anführen. Die Meute ist verzagt und verängstigt, und die wenigen wissen dann, die den Mut haben, sagen, wir wissen, wo es langgeht, wir machen jetzt die Revolution.
    Angst und Unzufriedenheit waren 1789 die Motoren
    Seidel: Dann lassen Sie uns mal konkret werden, ein konkretes Beispiel ansprechen: die französische Revolution von 1789, über die Sie viel geschrieben haben. Die Ausgangslage damals war natürlich extrem komplex, aber vielleicht versuchen wir trotzdem mal, das so ein bisschen aufzudröseln. War es damals auch die Angst, die diese revolutionäre Dynamik in erster Linie ausgelöst hat?
    Willms: Es gab eine, damals unmittelbar vor der Revolution, das war die sogenannte Grande Peur, die das Land heimsuchte, vor allem die Bauern. Es war die große Angst, es war eine Angst, dass Versorgungsengpässe … die Bürger hatten Angst, dass der Staat pleite geht, und fürchteten also um ihr Geld, das sie dem Staat geliehen hatten, dass der es nicht zurückzahlt, die Renten, also damals waren ja Renten Kapitalanlagen, dass die verfallen. Es war also eine Angst da, und da kam noch etwas hinzu: dass die Krone in ihrer Verlegenheit die Öffentlichkeit, die Nation befragen wollte. Das hat sie erst mal vorsichtig getan, hat Notabeln einbestellt – Notabeln, also die führenden Figuren aus Kirche, Adel und Bürgertum –, hat sie einbestellt zu sogenannten Notabel-Konferenzen. Die brachten aber nichts, und dann sahen sie sich genötigt, die Generalstände einzuberufen. Das ist ein altes Instrument gewesen, was die Monarchie eigentlich abgeschafft hatte, das waren gewählte Vertreter aller drei Stände – also Klerus, Adel und Bürgertum –, die zusammenkommen sollten. Und die brachten ihre Beschwerdehefte mit, also das, was ihre Wähler ihnen als Mandat gewissermaßen als Beschwerden, was der König verbessern möge, das wurde aufgeschrieben und die brachten das mit. Und das war natürlich eine enorme Politisierung der Öffentlichkeit oder der Nation oder der Menschen in Frankreich.
    "Der Funke kam dadurch, dass der König so blöd war"
    Seidel: War das dann sozusagen der ja oft beschriebene revolutionäre Funke, der übergesprungen ist und dann dafür gesorgt hat, dass sich die Revolution tatsächlich entzündet hat?
    Willms: Der Funke kam dadurch, dass der König so blöd war – Ludwig der XVI. war wirklich ein Hornochse. Der hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt, und durch gewisse Zugeständnisse gleich zu Beginn hätte er die Leute auf seiner Seite gehabt, denn die waren ja nicht antimonarchisch eingestellt, die hatten ja nicht von vornherein den Vorsatz, wir machen jetzt die Revolution und am Schluss wird der König geköpft und dann haben wir Republik, sondern die wollten wirklich nur Verbesserungen haben, aber der König stellte sich bockbeinig und dumm an und verweigerte also alle Zugeständnisse. Und das hat dann einen Druck erzeugt, eine Dynamik erzeugt, die dann zur Revolution führte.
    Seidel: Damit eine Revolution dann aber auch wirklich zu einem Systemwechsel führen kann, braucht es immer auch Revolutionsführer, die die vorhandenen revolutionären Energien bündeln, kanalisieren. Um im Bild zu bleiben, könnte man sie vielleicht die Motoren einer Revolution nennen. Welche Figuren waren die wichtigsten Motoren der französischen Revolution?
    Willms: Die haben sich ja abgewechselt. Also erst war so jemand wie der Mirabeau der große Motor, der der Einzige von denen war, die 1789 in Versailles in der Ständeversammlung in den Generalständen zusammenkamen, der eine ungefähre Vorstellung hatte, wohin es gehen sollte, welche Reform gemacht werden sollte. Und Mirabeau war ein Monarchist, also er wollte den Schulterschluss zwischen Krone und Volk erreichen, aber natürlich große Reformen einleiten, und denen hat sich der König versagt. Und dann wurde die Mirabeau-Fraktion sozusagen abgelöst durch die Girondisten, die waren schon etwas bissiger und griffiger, und die wurden dann ihrerseits wieder zur Seite gedrängt durch die ganz Radikalen, durch die Jakobiner, durch die Bergparteiführung Robespierre.
    Wie viel Revolutionäres steckt in den Franzosen von heute?
    Seidel: Dann springen wir noch mal abschließend zurück ins Hier und Jetzt: Die Revolution von 1789, die ist ja bis heute ein ganz zentraler Topos im kollektiven Gedächtnis der Franzosen. Wenn Sie sich angucken, was in den vergangenen Monaten in Frankreich passiert ist – die Wahl von Emmanuel Macron zum neuen Präsidenten –, was würden Sie sagen, wie viel revolutionäre Dynamik steckt noch in der heutigen französischen Gesellschaft?
    Willms: Das wird sich erst noch zeigen, wenn Herr Macron in schweres Wetter kommt, wie angekündigt seitens der Gewerkschaften.
    Seidel: Der heiße Herbst, der angekündigte.
    Willms: Der heiße Herbst, genau, wenn der kommt, dann werden wir sehen, wie viel da noch drinsteckt, aber ich fürchte oder ich hoffe, es steckt da nicht allzu viel drin, denn Sie müssen bedenken, die Gewerkschaften, die sich da so dicke machen, sind nur so stark, weil sie ein Geld haben, das sie nicht durch die Mitgliedsbeiträge haben, sondern das sie gewissermaßen von Staats wegen haben. Die leben von Staatsknete, die haben vier, fünf Milliarden im Jahr, die sie ausgeben können, und das allerallermeiste Geld davon steht ihnen zu aus Steuermitteln beziehungsweise aus Erträgen der Unternehmen, die noch weitgehend in staatlicher Hand sind – wie die Eisenbahn oder die EDF oder dergleichen mehr.
    "Macron ist kein Revolutionär, er ist Gaullist"
    Seidel: Was ist mit einer Bewegung wie der Nuit-debout-Bewegung vergangenes Jahr? Da waren die Franzosen ja plötzlich wieder gemeinsam auf der Straße, haben basisdemokratische Politik geübt, da war doch dann schon eine gewisse Dynamik zu spüren.
    Willms: Da war natürlich so was zu spüren, aber das hat auch viel mit Folklore zu tun. Sie haben ja eine Bewegung, die La France insoumise von Herrn Mélenchon, meinem besonderen Freund, der sich so als eine Wiedergeburt von Robespierre versteht. Ich glaube nicht, dass die mehrheitsfähig sind, ich glaube nicht, dass die sonderlich viel bewegen werden.
    Seidel: Und was ist mit Macron selbst? Er spielt ja ganz bewusst mit diesem Topos der Revolution. Er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Révolution", er nennt seine Partei En Marche, da steckt ja die Idee der Vorwärtsbewegung, der Veränderung schon drin. Was würden Sie sagen, wie viel davon ist Marketingstrategie und wie viel ist davon vielleicht doch echter Revolutionär?
    Willms: Macron ist kein Revolutionär, ich entdecke Ihnen das Geheimnis: Macron ist ein Gaullist, und zwar renoviert er den Gaullismus in einer Weise, dass alle Gaullisten nur blass werden vor Neid.
    "Putin in Versailles, Trump zum 14. Juli – alles Symbolpolitik"
    Seidel: Das müssen Sie uns erklären.
    Willms: Das ist ein Gaullist deshalb, weil was er bislang alles gemacht hat, war reine Symbolpolitik, und de Gaulle war in der Symbolpolitik ein Meister seines Fachs. Und das, was er bislang gemacht hat – Putin in Versailles, Trump jetzt zum 14. Juli –, das ist alles Symbolpolitik. Politisch wird da nichts entschieden, aber es macht ungeheuer viel her. Und das hatte de Gaulle drauf mit seiner ewigen Grandeur, Grandeur de la France. Im Grunde genommen macht Macron dasselbe, er redet nicht von Grandeur, aber er verhält sich so, dass er an die Grandeur glaubt und die Grandeur wieder zur Geltung bringen will.
    Seidel: Andererseits war ja de Gaulle in den 50er-Jahren der Erneuerer der Französischen Republik. Er hatte die fünfte Republik begründet, das politische System Frankreichs erneuert – also zumindest so ein sanftes Revolutiönchen war das doch schon, oder?
    Willms: Das war im Gegensatz zu dem, was vorher war, schon, aber er hat, wenn Sie das als Revolution bezeichnen, er hat die Republik gewissermaßen remonarchisiert, denn das Präsidentenamt, was er sich auf den Leib geschnitten hat, war ja im Grunde genommen ein Wahlmonarch.
    Seidel: Tja, ein revolutionärer Monarch oder ein monarchischer Revolutionär – in Frankreich, da geht sogar das. Das war der Historiker Johannes Willms in unserer Gesprächsreihe "Woher kommt die Energie?"
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.