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Serienmord als eine schöne Kunst betrachtet

Warum sind Serienmörderfiguren wie Jack the Ripper oder Hannibal Lecter in Literatur, Film und Fernsehen so faszinierend? Um diesem Phänomen genauer auf die Spur zu kommen, haben sich Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen an der Universität Bonn getroffen.

Von Guido Meyer | 24.04.2008
    "Darf ich Ihnen Dr. Hannibal Lecter vorstellen?"

    Dr. Hannibal Lecter vorzustellen ist wohl seit 1991 nicht mehr nötig. In diesem Jahr verkörperte Anthony Hopkins im Kino erstmals die Rolle des kannibalistischen Serienmörders, den der amerikanische Schriftsteller Thomas Harris als Romanfigur erfunden hatte.

    "Hannibal Lector ist eigentlich so ein professoraler Typ, ein sehr gebildeter Mensch, er hat offenbar unbegrenzte Mittel zur Verfügung. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, um überhaupt sein Leben, dass in einem Luxus natürlich auch stattfindet, zu gewährleisten. Und er hat ein sehr kultiviertes Auftreten. Kultiviert bis hin zum Kitsch."

    Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger von der Uni Mainz hat hier bereits einige der Merkmale aufgezählt, die einen Serienkiller mit Niveau auszumachen scheinen - oder zumindest dessen erfundene Existenz in der Literatur oder im Kino. Gebildet sollte er sein, kein Dummkopf - denn sonst glauben wir ihm die intelligente Planung und Durchführung seiner Verbrechen womöglich nicht. Und reich sollte er sein, also nicht aus niederen Motiven morden. Der Münchner Publizist Joachim Linder.

    "Da erscheint der Serienkiller als einer, der kein sagen wir normales Motiv hat, der sich sagt Ich will ich sein, und darum morde ich. Es ist nicht eine Triebart oder so. Das ist im Grunde keine psychologische Dimension , sondern das ist eine kulturell-konstruktive Dimension."

    Seine finanzielle Unabhängigkeit und seine Intelligenz, die ihre eigenen Moralvorstellungen mit sich bringt, schaffen dem Serienkiller auch eine eigene Realität, in der er der Souverän ist. Er definiert sich über seine Morde, er schafft sich selbst, indem er Leichen hinterlässt. Er fordert Moral und Ethik heraus und verführt so den Leser oder Zuschauer, indem er dessen Integrität auf die Probe stellt. Die Faszination geht über vom Stoff auf den Autor und vom fertigen Werk auf den Konsumenten.

    "Einerseits sind Serienmorde ja ohne Zweifel und schon immer sozusagen Grundlage für Poetisierung. Egal ob man das jetzt für schöne Literatur hält oder für nicht mehr schöne, aber sie bilden Grundlage und als Material vorzustellendes Antriebsmoment für Literatur."

    "Seien Sie vorsichtig, er ist ein Monster."

    Selten sind Abscheu und Faszination so vereint wie bei Menschen, die - zum Beispiel in der Fiktion eines Films - mit Stil die schlimmsten Taten begehen. Ein Mord ist eine unerhörte Tat, ihre Wiederholung umso schlimmer, das Verspeisen der Opfer - wie im Falle von Hannibal - ein Akt, der in der Realität unserer zivilisierten, aufgeklärten Welt keinen Platz hat. Oder zumindest haben sollte. Der Bonner Germanist Michael Wetzel.

    "Das Töten eines anderen Lebens ist, glaube ich, schon die größte Herausforderung. Das ist sozusagen das Überschreiten einer Grenze, wo man sich selber auch zum Souverän über Leben und Tod macht. Das ist, glaube ich, die Faszination für den Täter als auch für uns, die wir mit diesem Phänomen konfrontiert werden."

    Höltgen: "Ich glaube, dass der Serienmörderfilm zuallererst eine schon fast kulturell-kathartische Funktion hat, über diesen wirklich unerhörten Verbrechenstyp, dem wir immer wieder begegnen, wir wissen nicht, wo er als nächstes zuschlägt und warum er das tut, und die Filme erklären es uns, und damit helfen sie uns, damit umzugehen."

    Der Film- und Kulturwissenschaftler Stefan Höltgen, der die Tagung rund um den Serienmord als ästhetischem Phänomen organisiert hat. Filme also legen ratlosen Zuschauern die Beweggründe für Serienkiller dar, liefern Erklärungen, die die Wirklichkeit oftmals nicht bieten kann. Warum ist es gerade der Serienmord, der Nachahmer in der Literatur, im Kino und im Fernsehen findet? Hat die Gesellschaft hier etwas abzuarbeiten? Marcus Stiglegger.

    "Ich denke, dass der Serienkiller ein gewisses Faszinosum ausmacht, weil er seine Täter nicht nach einem pathologischen Modus sucht, wie z.B. der Pädophile seine wirklich kindlichen Opfer sucht. Der Serienkiller ist eine Bedrohung, die ganz grundsätzlich zu sehen ist. Die Tat kann jeden eigentlich treffen. Diese Universalität des Opferbildes, glaube ich, ist es. Es ist eine beängstigende und in diesem Beängstigenden faszinierende Figur. Weil sie eine Bedrohung ist, die mitten in der Gesellschaft sitzt, und niemand weiß, ‚ist es der Mensch, der neben mir im Restaurant sitzt?' Das könnte sein, ja."

    Während bei anderen gesellschaftlichen Phänomenen wie Pädophilie oder Inzest die Täter-Opfer-Strukturen klar sind, ist der Serienmörder für Überraschungen gut. Er mordet Straßenmädchen, wie Jack the Ripper, hinterlässt rätselhafte Symbole wie der Zodiac-Killer, oder begleicht offene Rechnungen wie Hannibal, der die Ästhetisierung seiner Taten auf die Spitze getrieben hat, indem er nebenbei Musik hört oder seine Opfer nach ihrem Ableben optisch in Szene setzt.

    "Zum Beispiel in dem Film 'Das Schweigen der Lämmer', die Szene, in der Hannibal ausgebrochen ist und quasi so eine Art Kreuzigungsgruppe zurücklässt, also die ausgeweideten Leichen, die er arrangiert hat, sind natürlich eine Form des makabren Kunstwerkes, und insofern sind sie ästhetisch."

    Von der Ästhetisierung zum Kult ist es nicht mehr weit. Im Falle des Dr. Hannibal Lecters gilt vermutlich, dass die Handlung nach drei filmischen Fortsetzungen etwas over the top ist, so dass eine Verfremdung der Storyline in Richtung Alltagskultur die Folge war. Ein Serienkiller als Pop-Star.

    "Ich finde es sehr bemerkenswert, dass die Stimme von Anthony Hopkins mittlerweile diese Qualität hat, dass auf der DVD von "Hannibal" zum Beispiel ein Anrufbeantworterspruch ist, den man sich aufnehmen kann. Und diese Zitatfähigkeit man seine Popqualität aus."