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Server-Park auf hoher See

Fürs Geld gibt es sie schon lange: Steueroasen, in denen sich die Dukaten, egal aus welcher Quelle sie auch stammen, in aller Ruhe vermehren können und vor allem sicher sind vor dem gierigen Zugriff des Staates. So ein Schlaraffenland hätte auch manch Internet-Provider gern. Ein Land, in dem Server noch Server sein können und in dem sich die Provider um die Inhalte auf den Festplatten keine Gedanken machen müssen. Vor der Küste Englands entsteht nun solch ein Internet-Eldorado: das künstliche Königreich Sealand.

Klaus Herbst. |
    Sechs Meilen vor der Küste von England liegt verloren im Meer das Königreich Sealand. Im Zweiten Weltkrieg sollte die Plattform aus Beton und Stahl deutsche Flugzeuge stoppen. Ende der sechziger Jahre kaperte ein britischer Offizier im Ruhestand das damals verlassene Eiland. König Roy, druckte Briefmarken, prägte Geld und stellte Pässe aus. Das Reich ist nur 140 mal 40 Meter groß. Es besteht aus zwei wuchtigen, bröckeligen Betonpfeilern, einer Stahlfläche und einem Hubschrauberlandeplatz. Seit zwei Jahren hat nun unter der Ägide des Sohn Prince Michael of Sealand Informationstechnologie der feinen Art Einzug gehalten. Seitdem beherbergt der hässliche Koloss riesige Server-Farmen, erklärt Ryan Lackey, der Ingenieur des Prinzen, höchstpersönlich:

    Ich bin Chef-Techniker und Mitbegründer der Firma Havenco. Dies ist vermutlich das erste und einzige Datenparadies weltweit. Unsere zur Zeit dreißig Rack-Server sind untergebracht auf dieser militärischen Plattform in der Nordsee; fast täglich wächst unser Server-Park. Wir bieten unsere Dienstleistungen allen Kunden an - fast ohne jede Einschränkung. Wir bemühen uns, diesen Standort möglichst vielen Kunden und Anwendungen zugänglich zu machen.

    Eigentlich könnte man Serverfarmen auch auf Schiffen installieren. Doch haben die Satellitenschüsseln von Sealand den Vorteil, dass sie fest ausgerichtet sind, also nicht ständig nachgeführt werden müssen, was technisch aufwendig ist. Sie transportieren riesige Datenströme - angeblich mit höchster Sicherheit, sagt Lackey:

    Ich vermute, wir besitzen die beste physikalische Sicherheit auf der ganzen Welt. Wir setzen rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche bewaffnete Wachen ein, meterdicke Betonmauern und sechs Meilen offene See um uns herum. Das Problem der physikalischen Sicherheit haben wir also vollständig gelöst. Die minimalen Einschränkungen werden sehr einförmig, also berechenbar und gerecht durchgesetzt.

    Keine illegale Pornographie, keine Hack-Attacken über Sealand und keine Spam-E-Mails - dies sind die einzigen Einschränkungen. Ansonsten geht dort so gut wie alles. Steuern werden selbstverständlich nicht abgeführt.

    Unsere wichtigsten Arten von Kunden sind elektronische Spielbanken und Bezahlsysteme, um Gelder sicher von einem Kunden zu einem anderen zu transferieren. Außerdem haben wir auch Kunden, die auf unseren Rechnern Applikationen laufen haben, die so neu sind, dass man noch nicht sicher sagen kann, ob sie legal sind. Wir glauben, dass die Menschen ein Recht haben, frei zu kommunizieren. Da wir aber unseren Kunden so gut wie keine Restriktionen auferlegen, versuchen sie es halt mit uns. Solche halb oder vielleicht illegalen Praktiken könnten langfristig keinen Erfolg haben, aber bei uns kann man es ja wenigstens mal probieren.

    Die repressive Kommunikationspolitik der Blair-Regierung, sinnigerweise genannt RIP, hat Sealand, das von Großbritannien natürlich nicht anerkannt wird, bislang nicht erreicht. Privatheit, Sicherheit und Verlässlichkeit - die Rechnung geht auf. Seit knapp zwei Jahren fährt das Unternehmen Gewinne ein. Ganz offensichtlich ist das eine Reaktion auf neue Gesetzgebungen in den U.S.A., Großbritannien und Deutschland, meint der Karlsruher Sicherheitsexperte Christoph Fischer, Geschäftsführer von BFK EDV-Consulting. Die Überwachung von Telefonleitungen und Internet-Verkehr ist durch neue Technik bereits massiv verschärft worden.

    Diese Infrastruktur führt dazu, dass natürlich viele Leute sich potenziell belauscht fühlen und eine sichere Kommunikationsform suchen. Dazu braucht man verschlüsselte Verfahren und eben Server, die außerhalb einer Zugriffsmöglichkeit von den entsprechenden Staaten liegen. Und da wäre eine solche Plattform sicherlich sehr geeignet.

    Langfristig haben Überwachungsinstrumente wie Carnivore, Omnivore und RIP jedoch wenig Chancen, meint Christoph Fischer

    Als Erfolg der Nachrichtendienste, die hier überreagiert haben, werden wir in den nächsten paar Jahren ein Taubwerden und ein Blindwerden der Ermittlungsbehörden bekommen, zumindest bei den Großkriminellen, und das ist langfristig gesehen ein enormer Rückschritt.

    Mit Optimismus schaut Ryan Lackey über die weite See - zumal seine massive Serverfarm, mit der offenbar Milliarden umgesetzt werden, bislang ungestört vor sich hin arbeitet und Datenmassen bewältigt.

    Britische Politiker haben ein bisschen gemeckert, aber ich habe doch den Eindruck, denen ist das alles ziemlich egal, was hier läuft. Sie wollen sich nicht einmischen; auch wir wollen das nicht. Ich glaube, jeder ist mit der gegenwärtigen Situation recht zufrieden.