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Sex, Action, Geist und Seele?

"Welt aus Glas" lautet der Titel des sechsten Romans von Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler. Das Werk erzählt von einem gut situierten Ehepaar auf skurril-bizarrer Reise. Trotz interessanter Handlungsstränge dominiert ein verbautes Erzählkonstrukt.

Von Eberhard Falcke |
    Jacob und Jillian Armacost sind verheiratet, doch ihre Wege und ihr Treiben könnten verschiedener nicht sein. Jacob brettert mit einer seiner Geliebten durch die Grenzstadt Tijuana, verfolgt von einem mexikanischen Polizeichef und Gangster, mit dessen Freundin er pornoreife Liebesspiele aufgeführt hat. Jillian aber befasst sich mit einer viel sublimeren Jagd. Sie ist nach Mailand gereist, wo sie für Millionen Dollar eine einzigartige Sammlung venezianischer Glaskunst erwirbt, um sie für ein paar Millionen mehr an einen ihrer steinreichen Kunden weiter zu verkaufen. Das ungleiche Ehepaar gehört zu den wichtigsten Glasgaleristen der Welt mit Sitz in New York, doch sie brauchen dringend Geld, weil Jacob bei einem Ankauf eine Riesendummheit begangen hat.

    Ernst-Wilhelm Händlers neuer Roman "Welt aus Glas" startet spannungsreich in zwei ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten, die dennoch in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen. Es ist ein Wettbewerb: Fragile junge Frau gegen gereiften Macho, Seele gegen Sex, Geist gegen Action. Tatsächlich hat Händler für jede seiner Hauptfiguren einen eigenen Binnenroman entwickelt, um dann beide Erzähllinien miteinander zu verflechten. Das fällt vor allem deshalb ins Auge, weil die beiden Teile in durchaus krasser Differenz ganz verschiedenen Genres angehören. Jillians Geschichte ist ein intellektuell überaus ambitionierter Entwicklungsroman. Jacobs abgeschmackte Abenteuer dagegen werden passenderweise dargeboten in der Form eines Schundromans. Oder, cineastisch gesprochen, als B-Picture und Exploitationkino, da hier filmische Vorbilder unübersehbar sind.

    Zweifellos, Ernst-Wilhelm Händler hat in seinen Romanen mit interessanten Einfällen noch nie gegeizt. Als Unternehmer ist er ein leidenschaftlicher Literaturkenner und als Schriftsteller gehört er zu den Ausnahmefiguren, denen Wirtschaft, Markt und Macht aus eigener Praxis vertraut sind. In seinen Romanen zielt er auf Schlüsselaspekte der aktuellen Zeiterfahrung. Im Fall von "Welt aus Glas" handelt es sich um die zentrale Frage, was seine Figuren wohl bei ihrer menschlichen und ökonomischen Selbstbehauptung lenken und leiten mag. Ganz abgesehen von etlichen weiteren Tiefbohrungen auf den Begriffsfeldern des Daseins.

    Was Jacob Armacost angeht, liegen die Dinge genretypisch eher einfach. Er gerät mit seiner Geliebten in die Fänge des mexikanischen Gangster-Polizisten, der die beiden Gringos als Entführungsgeiseln in einen Wohnwagen einsperrt, unter stechender Sonne und der bösartigen Fuchtel diverser Bandenmitglieder. Neues über das allgegenwärtige Phänomen der Geiselnahme in der deregulierten globalisierten Welt ist dadurch aber trotzdem nicht zu erfahren.

    Ganz anders geht es zu in Jillians Hemisphäre. Dort weht der Geist kolossal, wenn auch in schauderhaft böiger Weise. Immerhin entfalten die Gegensätze zwischen Jacobs und Jillians Welten einigen Reiz. Während unter mexikanischer Sonne auch erzähltechnisch die grellen Effekte dominieren, bewegt sich Jillian wegen einer Lichtallergie am liebsten im schauerromantischen Dämmer zwielichtig illuminierter Mailänder Gruften und venezianischer Palazzi. Aller Glanz rührt dort vom Zauber der Glaskunst her. Das Glas ist Jillians Passion und ihr Geschäft. Leider kommen jedoch die Beschreibungen der kostbaren Schalen, Vasen und Skulpturen über die schematische Prosa von Versteigerungskatalogen nicht hinaus.

    Jillians Entwicklungsgang verläuft über zahlreiche Stationen. Prüfend überblickt sie, oft vermittelt durch Träume, ihren Lebenslauf, in dem sie zwar als Glasfachfrau schnell Exzellenz erlangte, als Mensch jedoch eher unterentwickelt blieb. Sie konferiert mit ihren fast intim vertrauten Kunden und erfährt letzte Neuigkeiten über die Konjunkturen in Medien, Finanzbusiness und Hochtechnologie. Vor allem aber absolviert sie höchst anspruchsvolle Auseinandersetzungen mit solch fundamentalen Dingen wie Natur, Geist, Kunst, Wirtschaft, Philosophie, Seele, Realität, Tod, Geld, Moral und, ja, auch das, Herzensbildung. Oder genauer: Das besorgt der Erzähler für sie, weil er die vielen ambitionierten Reflexionen im Kopf seiner Heldin gar nicht unterbringt.

    Doch das ist nur einer der Gründe dafür, dass aus einem ehrgeizig und apart ausgedachten Roman ein misslich verbautes Erzählkonstrukt geworden ist. Denn der Defekt, der schon frühere Romane Händlers mehr oder weniger fatal belastete, zeigt sich auch hier. Dieser Autor packt mit Kühnheit zu vieles an, wofür ihm dann doch die künstlerischen Mittel fehlen. So bleiben auch in diesem Roman die Figuren steif konstruierte Gliederpuppen, die wenig Anteilnahme erwecken. Vor allem aber lässt die Formulierungskunst zu wünschen übrig. Die essayistischen Exkurse geraten fast regelmäßig zu schwerfälligen Traktaten und philosophischen Grübelexerzitien, deren Entschlüsselung echte Arbeit verlangt. Dennoch hält sich der Erkenntnisgewinn in Grenzen.

    Wenn es etwa um den neoliberalen Egoismus geht, zu dem Jillian vorübergehend tendiert, werden Nietzsches Gedanken über Gut und Böse durchgekaut. Dabei formuliert Händler durchweg schlechter als die geisteshistorischen Größen, die er gerne zitiert. Sein Eifer als Textarbeiter kann nur erstaunen, doch zum Stilisten fehlt es ihm an Schliff, Sorgfalt, Transparenz und Gespür. Oft erscheint seine Sprache unausgegoren, mal zu banal, mal überanstrengt. Und seine erzählerischen Konstruktionen wirken in vielen Fällen so mutwillig hingebogen, dass ihre Schlüssigkeit beträchtlich leidet.

    So bleiben die Lösungen, die der Roman zu bieten hat, auf die Fabel beschränkt. Jillian steigt auf aus ihrer lichtscheuen, rein materiell orientierten Selbstbezogenheit zum moralisch handlungsfähigen sozialen Wesen, das schließlich auch dem Sonnenlicht gewachsen ist. Und Jacob begeht wenigstens eine einzige gute Tat, die ihn zwar nicht entscheidend aber ein wenig bessert. Die notorischen Probleme von Ernst-Wilhelm Händlers Erzählstil aber bleiben bestehen.

    Ernst-Wilhelm Händler: Welt aus Glas. Roman.
    Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 608 Seiten, 25 Euro.