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Sex sells

Die Hamburger Hurentour führt direkt durch die Sündenmeile auf Sankt Pauli und wirbt damit, der am besten besuchte Stadtrundgang Deutschlands zu sein: Neben Einblick ins horizontale Gewerbe gibt es schlüpfrige Witze und Schnaps.

Von Susanne von Schenck |
    "Ich möchte einmal die Karten sehen, dann kriegen Sie als Gegenleistung dafür bisschen Körperkontakt. Das muss Sie nicht irritieren. Es irritiert mich auch nicht, also ignorieren Sie das große Phallussymbol einfach. Ja, fällt Frauen schwer, ist mir schon klar."

    Stankt Pauli, direkt an der Davidswache: Aspasia kontrolliert - circa zwanzig Personen haben sich zur Hamburger Hurentour angemeldet: Touristen aus Stuttgart, Mitarbeiter eines Betriebes aus Niedersachsen, ein paar Hamburger. Die meisten sind Frauen. Knapp 30 Euro kostet die zwei- bis dreistündige Tour.

    "Aspasia ist nicht mein Geburtsname, ist ein Künstlername. Aspasia ist nämlich eine Gestalt aus der griechischen Antike."

    Aber bei der Hamburger Hurenführung gehen die Zeiten wild durcheinander: Die antike Aspasia trägt eine Dirnentracht aus dem 19. Jahrhundert: ein blassgelbes, knöchellanges Gewand und eine Kappe, deren übergroße Ohren in den Abendhimmel ragen.

    "Also, ich glaube, dass Männer genetisch gepolt sind auf große Ohren. Deshalb hat man halt der Hure damals diese Ohren hier aufgesetzt, die Hamburger Hurenhaube als Erkennungszeichen für Prostituierte, die den öffentlichen Raum betraten, die also so aus dem Bordell hinaustraten und des Weges zogen - und dann sollte man halt sagen: 'Ah, das ist eine, die spreche ich an, die da mit den großen Ohren, die nehme ich.'"

    Aspasia, die ihren wirklichen Namen nicht preisgeben möchte, arbeitet auf der Hamburger Sündenmeile - allerdings nicht im horizontalen Gewerbe, sondern als Gästeführerin. Die studierte Kulturwissenschaftlerin ist Mitarbeiterin der Hamburger Hurentour. Vor fünf Jahren hat Gerritje Deterding, eine Niederländerin, diese Stadtführung gegründet.

    "Wir sind wie die Huren auf Sankt Pauli. Wir machen es zu jedem Tageszeitpunkt, außer nach 21 Uhr."

    Allerdings - wirkliche Prostituierte lernt man bei der Hurentour nicht kennen. Sie dürfen unter den wachsamen Augen der kostümierten Gästeführerin allenfalls aus der Ferne begutachtet werden.

    "Sie dürfen bitte nicht fotografieren, weil jene Damen, die gerade eingelaufen sind, - sehen Sie die rosagekleideten Damen dort drüben -, die möchten nicht in Ihrem Familienalbum auftauchen."

    Schauplatz der Hamburger Hurentour ist vor allem die Straße: die schmuddeligen Gassen des Straßenstrichs, das Ambiente am Hans-Albers-Platz und an der Großen Freiheit, dem Transvestitenstrich.

    Besonders berühmt ist die Herbertstraße. An deren Anfang und Ende ist eine Blechwand als Sichtschutz angebracht. Denn nur Männer dürfen in die Herbertstraße hinein und sich dort in 28 Bordellen amüsieren. Damit sich aber auch die weiblichen Gäste vorstellen können, was hinter der Blechwand zu sehen ist, zückt Aspasia ein verblichenes Foto: eine Leichtbekleidete in einem Schaufenster ist darauf zu erahnen. Sehr aussagekräftig ist diese Aufnahme allerdings nicht. Daher versucht die Gästeführerin mit markigen Sprüchen und eindeutigen Gesten, einen Besuch bei einer Prostituierten zu schildern.

    "Meine Herren, jetzt gehen Sie in sich. Wenn Sie einer solchen Dame schon einmal näher gekommen sind, dann wissen Sie, dass Sie Ihnen in der Hitze des Gefechts unter sexueller Stoßatmung nicht den richtigen Namen nennt. Das kann ich Ihnen erklären. Versuchen Sie mal beim Sex Hildegard zu stöhnen. Das wäre so ein bisschen Staccato-Atmen. Merken Sie das? Einige Herren gucken so, als würden Sie beim Sex sowieso nicht atmen."

    Wie viele Frauen arbeiten in der Straßenprostitution, will Aspasia wissen, wie viele Männer genießen ihre Dienste? Und vor allem:

    "Was müssen Sie von Ihrem sauer verdienten Geld investieren, um die Dame näher kennenzulernen?"

    Einsteigerpreise liegen um 30 Euro. Aber erst ab 75 Euro wird es angeblich interessant.

    "Und drauf, mit Alarmleuchten und so, volles Programm","

    …mutmaßt eine Besucherin. So geht es munter zu und auch ziemlich platt weiter. Informationen zu Sexpraktiken und zur aktuellen Arbeit der Prostituierten wechseln sich ab mit historischen Rückblicken. Und dann steigt man kurz die Treppe in ein Bordell hinauf, allerdings in ein ehemaliges. Dort hat Gerritje Deterding zwei kleine Zimmer angemietet: eines ist ganz in schwarz gehalten.

    ""Richtig Sado-Masochismus wird auf der Straße nicht angeboten. Aber es gibt schon ein richtiges Programm. Es gibt schon bestimmte Utensilien, zum Beispiel das hier: Fesselmaterialien, hier Sachen zum Anziehen, die eine Größe haben, die Prostituierte, die Größe 36, 38 trägt, nicht tragen könnte. Da kann man so ein bisschen vorstellen, wie viel verschiedene Spielarten es in solchen Zimmern geben kann."

    Nach zwei Stunden endet die Hurentour beim Schnaps in einer Kneipe. Richtig rot geworden ist niemand, amüsiert haben sich die meisten. Aber ein bisschen deprimierend sei das Milieu doch, meint ein Besucher nachdenklich.

    "Man muss sich das vorstellen mit 1,5 Promille. Wenn man hier so nüchtern durchläuft und sich dieses Elend anguckt, dann sagt man doch: das kann man nur im angetrunkenen Zustand ertragen."