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Sexismus-Vorwürfe gegen Schweizer Zeitungsverlag
"Dann musst du das kleine Schwarze hervorholen"

78 Journalistinnen des Schweizer Medienhauses Tamedia haben sich in einem Brandbrief über Benachteiligung und Sexismus im Redaktionsalltag beklagt. Außerdem gibt es Kritik am geringen Frauenanteil bei Tamedia. Der Verlag, der unter anderem den renommierten "Tagesanzeiger" veröffentlicht, will nun reagieren.

Von Thomas Wagner | 11.03.2021
Das Verlagsgebäude von tamedia in Zürich
Journalistinnen beklagen Sexismus im Schweizer Verlagshaus Tamedia (Imago / Travel-Stock-Image)
Auszug aus einem brisanten Brief: "Ein Teamkollege schlägt ein Stück zu Corona-Krediten bei verschiedenen Banken vor. Ich übernehme das Thema. Ein anderer Teamkollege sagt daraufhin: Dann musst Du das kleine Schwarze hervorholen."
Weiteres Beispiel: "Die Frauen im Team verdienen bei gleicher Qualifikation, Erfahrung und Leistung deutlich weniger als die Männer. Nachfrage beim Vorgesetzten und Bitte um Angleichung. Die Antwort: Das ist doch ein guter Lohn. Die Kollegin xy verdient doch auch nicht mehr."

78 Journalistinnen fordern Gleichberechtigung

Und schließlich: "Ein Teammitglied an bei einer Sitzung: 'Ein Thema mit Kindern - da sollen sich doch die Frauen drum kümmern.'"
Und so geht es in einem fort in jenem Schreiben, das 78 Journalistinnen des Schweizer Medienkonzerns tamedia unterzeichnet haben. Sie klagen über Benachteiligung im Berufsalltag, über schlechtere Bezahlung im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen - und auch über Sexismus im Arbeitsalltag. Frauen würden ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert. Einige hätten kürzlich deswegen sogar gekündigt.
Ein Mann mit Anzug und Krawatte hält am 02.05.2017 in Nürnberg (Bayern) während einer Pressekonferenz einen Stift in der Hand. 
Männer schreiben über Männer
Rund zwei Drittel der erwähnten Personen in deutschen Tageszeitungen sind männlich. Die "taz" steht dank einer selbstauferlegten Quote vergleichsweise gut da – doch auch in anderen Redaktionen hat ein Umdenken begonnen.
Und als ob das alles nicht genug wäre: Ausgerechnet während der Berichterstattung zum Thema "50 Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz", das erst vor kurzem aktuell war, sei so manche Kollegin regelrecht gebremst worden. Dies alles müsse sich schnellstens ändern.
"Unsere Hauptforderung eigentlich und die Grundsätzlichste betrifft den Respekt, den Umgangston, die Umgangsart, ein respektvoller Umgang, in dem Frauen mehr Ernst genommen werden wollen. Ich glaube, das ist eine Grundhaltung, die wir Frauen mehr spüren möchten", bekräftigt Aleksandra Hiltmann, eine der Unterzeichnerinnen des Briefes. Darin auch enthalten: die Forderung nach einem Frauen-Förderungsprogramm innerhalb des Medienhauses Tamedia. Gerade in Leitungsfunktionen seien Frauen unterrepräsentiert.

Frauenanteil bei Tamedia: 38 Prozent

"Wir möchten, dass mehr Frauen angestellt werden, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen", sagt Hiltmann. Gerade in diesem Punkt rennen die Unterzeichnerinnen bei der Leitung des Medienhauses offene Türen ein. Der Frauenanteil bei Tamedia liege gerade mal bei 38 Prozent, heißt es in einer ersten Stellungnahme. Und da sei noch deutlich Luft nach oben, muss auch Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser zugeben:
"Also es sind weniger Frauen in Führungspositionen als es sein sollten. Das ist klar. Da sind wir dabei, das zu ändern. Das ist in der Schweiz doch noch ein größeres Problem, weil in der Schweiz sind doch deutlich weniger Frauen berufstätig als Männer. Das ändert sich langsam. Von dem her ändern wir uns natürlich auch."
Und im Übrigen: Sexismus habe nirgendwo etwas zu suchen, schon gar nicht in einem Medienunternehmen: "Wir gehen jetzt der Sache nach. Was ist da passiert und wo? Das ist ganz klar: Das ist nicht möglich, dass das so weiter geht."

Forderung: Tamedia muss weiblicher werden

Bleibt die Hauptforderung der Unterzeichnerinnen, die sich in einem Satz zusammenfassen lässt: Ein großer Medienkonzern wie Tamedia muss weiblicher werden. Und genau das liege eigentlich im ureigenen Sinne eines Medienunternehmens selbst, glaubt Livia Lehner* von der Schweizer Mediengewerkschaft Impressum:
"Ich verstehe es auch aus Sicht der Medienunternehmen nicht. Weil ich denke: Die Frauen müssen ja auch mit den Medienprodukten angesprochen werden. Deswegen braucht es auch Frauen in allen Etagen, also überhaupt genügend Frauen, die im Journalismus arbeiten - und zweitens in allen Etagen."
Eine Meinung, der sich auch Chefredaktor Arthur Rutishauser anschließt - und allem Anschein nach auch viele Kollegen der Unterzeichnerinnen. Mittlerweile haben auch über 100 Männer, die bei Tamedia arbeiten, einen Brief geschrieben - und ihre Kolleginnen im Kampf gegen Sexismus und Ungleichbehandlung bestärkt.
*Wir haben den Namen korrigiert.