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Sexualhormone für eine elfjährige Schwimmerin

Der einstige Vize-Sportchef der DDR, Thomas Köhler, hat ein Buch geschrieben: Die Opfer des flächendeckenden DDR-Dopingsystems fühlten sich durch das Werk verhöhnt und kündigten an, Strafanzeige gegen ihn wegen der falschen Darstellung historischer Fakten einzureichen. Dem Deutschlandfunk liegt der 1999 vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten gegen Köhler verhängte Strafbefehl vor, dazu etliche Vernehmungsprotokolle.

Von Thomas Purschke | 12.10.2010
    Der von 1980 bis 1989 amtierende DDR-Vize-Sportchef Thomas Köhler wurde im April 1999 von der Staatsanwaltschaft II in Berlin bei seiner Vernehmung als beschuldigter Spitzensportfunktionär im Ermittlungsverfahren zum DDR-Staatsdoping befragt. Dabei leugnete er, dass Doping an Kindern stattgefunden hat. Er gab folgendes zu Protokoll:

    "Zur Problematik der Aufklärung möchte ich vorab sagen, dass es meines Wissens Kinderdoping in der DDR nicht gegeben hat. Mit Kinderdoping meine ich die Verabreichung von unterstützenden Mitteln an Mädchen vor der ersten Menstruation. Jugendliche waren Sportler zwischen 14 und 18 Jahren. Unter 16 Jahren durften generell keine Anabolika verabreicht werden. Für mich war klar, dass bei nicht biologisch ausgereiften, mehrjährig systematisch trainierten Sportlern keinesfalls eine Anwendung erfolgen durfte."

    Eine zynische Formulierungen des ehemaligen Spitzensportfunktionärs Köhler zu dem von ihm maßgeblich mitverantworteten kriminellen Minderjährigen- und Kinder-Doping in der DDR.

    Nach Abschluss der Ermittlungen verhängte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten im Sommer 1999 gegen Thomas Köhler einen Strafbefehl von 330 Tagessätzen a 80 D-Mark. Insgesamt also 26.400 D-Mark, da er als Vize-Präsident des DDR-Turn- und Sportbundes (DTSB) von 1980 an - Zitat: "vorsätzlich anderen zu deren begangenen Straftaten, nämlich in 99 Fällen die Gesundheit von Menschen zu schädigen, Hilfe geleistet zu haben". Damit galt Köhler als vorbestraft und wurde in das Bundeszentralregister eingetragen.

    Das Gericht schrieb in der Begründung zum Strafbefehl gegen Köhler unter anderem:

    "Die Sportlerinnen oder ihre Eltern wurden dabei weisungsgemäß nicht über die bekannten Nebenwirkungen des Medikaments Oral-Turinabol aufgeklärt, unter anderem weil man Widerstand gegen die Verabreichung fürchtete. In der Mehrzahl der Fälle wurde den jungen Mädchen wahrheitswidrig erzählt, dass es sich bei den blauen und rosaroten Oral-Turinabol-Tabletten um 'Vitamine' handeln würde."

    Im Strafbefehl gegen Köhler sind insgesamt 99 Sportlerinnen aus den Bereichen Schwimmen und Leichtathletik aufgelistet. Die im Strafbefehl aufgeführten 47 Schwimmerinnen waren bei der Erstvergabe der Anabolika fast alle unter 18 Jahre, darunter war eine erhebliche Anzahl von Mädchen, die weit jünger als 16 Jahre alt war. Die jüngste aufgeführte Sportlerin war eine elfjährige Schwimmerin des DDR-Sportclubs SC Einheit Dresden vom Jahrgang 1971, die von 1982 bis 1985 männliche Sexualhormone verabreicht bekam.

    Bis heute behauptet Köhler - erst kürzlich wieder gegenüber der Deutschen Presseagentur -, dass ihm nicht bekannt sei, dass eine 11-jährige DDR-Schwimmerin in seinem Strafbefehl stehe.