Mittwoch, 24. April 2024

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Sexualisierte Gewalt im Sport
"Auf dem richtigen Weg"

Vor einem Jahr erzählten drei Betroffene sexualisierter Gewalt im Sport ihre Geschichte in einem Hearing der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung. Darunter auch die Fußballerin Nadine. Sie berichtet heute, die Veranstaltung von damals habe durchaus etwas bewirkt.

Von Andrea Schültke | 10.10.2021
Fußballplatz im Flutlicht
Verein und Verbände gehen das Thema "sexualisierte Gewalt im Sport" an (Arno Burgi/dpa)
Das talentierte Mädchen war zehn als alles begann. Schwere sexuelle Übergriffe bis hin zur Vergewaltigung durch einen Betreuer des Fußballteams. Die Straftaten lagen mehr als 30 Jahre zurück, als Nadine vor zweieinhalb Jahren im Deutschlandfunk zum ersten Mal öffentlich darüber gesprochen hat. Bei der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission der Schritt vors Publikum im Saal. Zum Abschluss sagte sie: "Das ist meine Geschichte, macht was damit".
"Das war schon ein starker Moment beim Hearing, meiner Meinung nach und ich hoffe, dass das verstanden wurde", sagt Sabine Andresen. Die Wissenschaftlerin war bis vor wenigen Tagen Vorsitzende der Aufarbeitungskommission. Sie spricht von einem Bewusstseinswandel – auch des organisierten Sports - im Umgang mit Betroffenen, die vermehrt in die Diskussion einbezogen würden. Das bestätigt die Fußballerin Nadine und berichtet, dass sich tatsächlich etwas bewegt hat. "Also auch für mich persönlich, dass ich mich mehr einbringen konnte, dass ich von verschiedenen Seiten angesprochen wurde, um an dem Thema weiter mitzuarbeiten und mich halt einfach mehr in Position bringe, wo ich ja auch vielleicht mehr erreichen kann oder irgendetwas anstoßen kann."
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Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe, Gewalt: Nadine ist erst zehn Jahre alt, als sie von Betreuern ihrer Fußballmannschaft sexuell missbraucht wird. Nach fast 30 Jahren spricht sie erstmals im Dlf-Sportgespräch öffentlich über das Erlebte.
Einer der zentralen Punkte ist für sie ein sogenanntes "Zentrum für Safe Sport". Ins Gespräch gebracht von Maximilian Klein vom Verein Athleten Deutschland, geht es um eine übergeordnete Organisation, die gut finanziert, Aufgaben im Kampf gegen Gewalt im Sport unabhängig bearbeiten und sicherstellen soll.
"Dass Schutzkonzepte auch tatsächlich umgesetzt werden, dass Betroffene Zugang zu Unterstützungsleistungen haben, dass sichergestellt wird, dass Hinweisen nachgegangen wird, dass Übergriffe nicht ohne Konsequenzen bleiben und dass eben auch Sanktionen ausgesprochen werden."
Ein Jahr nachdem er die Idee bei der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission präsentiert hat, ist für Maximilian Klein viel erreicht. Er hat eine breite Zustimmung festgestellt, nicht zuletzt in der Politik. Die meisten Parteien haben Unterstützung signalisiert: "Und aus den Verbänden kommt nach und nach auch Unterstützung. Auch von großen Verbänden wie zum Beispiel Turnen und Schwimmen. Und das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind."

"Anlaufstelle als Brückenlösung"

Das Bundesinnenministerium hat eine Machbarkeitsstudie in Auftag gegeben. Mit dem Ergebnis werde Mitte Dezember gerechnet, bestätigte eine Sprecherin des Ministeriums auf Deutschlandfunk-Anfrage: "Die Studie soll unter anderem die Vor- und Nachteile und einen zu erwartenden Mehrwert einer solchen Einrichtung, sowie eine mögliche inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung beleuchten." Bei einer Entscheidung mit allen Akteuren, sei eine Mischfinanzierung vorstellbar: "unter Beteiligung von Bund, Ländern und des organisierten Sports".
Bis das soweit ist, brauchen Betroffene aus dem Sport schnell und akut Hilfe. Denn seit der Veranstaltung vor einem Jahr, hätten sich Betroffene verstärkt bei Athleten Deutschland gemeldet, bestätigt Maximilian Klein. Deshalb überlege der Verein, "ob wir als Notlösung, als Brückenlösung eine Art Anlaufstelle aufbauen für Betroffene, die sie so dringend brauchen, bis es eben ein Zentrum für Sport irgendwann mal gibt."
Auch das BMI hat einen "Vorschlag für den zeitnahen Aufbau einer "Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter Gewalt im Sport" entwickelt. Das entsprechende Konzept wurde nunmehr dem DOSB und den Ländern zugeleitet. Deren Stellungnahme bleibt abzuwarten."

"Expertise der Betroffenen wichtig"

Neben Planungen für die Zukunft gibt es aber auch konkret Greifbares, berichtet die ehemalige Reiterin Gitta Schwarz. Bei ihr liegen die sexuellen Übergriffe durch ihren Reitlehrer mehr als 40 Jahre zurück. Vor einem Jahr bei der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission hat sie – wie die Fußballerin Nadine - auf dem Podium gesessen und zum ersten Mal öffentlich über ihre Geschichte gesprochen. Danach habe die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) Kontakt zu ihr aufgenommen:
Gitta Schwarz bei einem Podiumsgespräch
Gitta Schwarz bei einem Podiumsgespräch (Gitta Schwarz)
"Wir haben miteinander gesprochen. Sie haben erzählt, dass die Gründung dieses Betroffenenrates ansteht, dass das geplant ist. Ich habe mich dafür gemeldet, habe mein Interesse bekundet mitzuarbeiten."
Jetzt ist sie Teil des ersten Betroffenenrates im deutschen Sport. Aus Überzeugung. Denn die FN habe erkannt: "Dass es wichtig ist, sich die Expertise der Betroffenen zu holen. Ich glaube, genau diese Einsicht ist einfach da."
Auch deshalb hat sich seit der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission in Berlin im Umgang mit dem Thema "sexueller Missbrauch im Sport" einiges bewegt. Die Fußballerin Nadine bestätigt, "dass der Stellenwert ein ganz anderer ist, dass das Thema sehr viel mehr wahrgenommen und auch ernster genommen wird".
Ein Punkt sorgt allerdings für Enttäuschung, vor allem bei Betroffenen. DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe hatte vor einem Jahr angekündigt: "Wir werden uns an diesem Fonds wieder beteiligen", und meinte damit die 2016 vom Deutschen Olympischen Sportbund eingestellte Unterstützung für Betroffene. In das sogenannte Ergänzende Hilfesystem, EHS, beim Bundesfamilienministerium hatte der DOSB Geld gezahlt, das dann in Form von Sachleistungen wie Therapien an Betroffene gegangen ist.

DOSB-Ankündigung mit wenig Substanz

Die überraschende Ankündigung der Funktionärin war eine mit wenig Substanz, wie sich jetzt herausstellt. Denn auch ein Jahr danach ist Hilfe nicht in Sicht. Im Gegenteil. Zwar ist seit Wochenbeginn von einer "Zwei-Stufenlösung" die Rede. Tatsächlich aber bedeutet das: Die groß angekündigte langfristige Lösung ist verschoben und wird erst nach den Neuwahlen des DOSB-Präsidiums weiterverfolgt. So die Information aus dem Bundesfamilienministerium. In einem ersten Schritt werde "zeitnah eine Vereinbarung über alle Anträge abgeschlossen, die seit dem Ausstieg des DOSB aus dem EHS eingegangen sind."
31 Anträge von Betroffenen aus dem Sport sind laut Ministerium in den vergangenen fünf Jahren eingegangen. Diese Menschen hat der DOSB nicht unterstützt. Das soll nun offenbar nachgeholt werden. Petra Tzschoppe spricht von Zahlungen in einem "mittleren sechsstelligen Bereich" die der DOSB nun leisten will. Bezogen auf die Zukunft beteuert die DOSB-Funktionärin: "Wir stehen zu unserem Wort, was ich auf dem Hearing gegeben habe."
Für die ehemalige Fußballerin Nadine ist das nicht erkennbar: "Ich finde, der organisierte Sport muss sich halt die Frage stellen, ob sie durch dieses Handeln, was sie jetzt an den Tag legen, überhaupt bereit sind zur Aufarbeitung und ob man dann überhaupt an so einem Hearing teilnehmen kann, wenn man es nicht ist, statt dahin zu fahren und Versprechungen zu machen, die man nicht halten kann."

Versprechen nicht gehalten

Aus der Tatsache, dass ihre Ankündigung auch nach einem Jahr nicht umgesetzt ist, will DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe keine persönlichen Konsequenzen ziehen und lehnt einen Rückzug ab: "Ich sehe meine Verantwortung darin, dieses Thema weiter vehement und mit Nachdruck zu verfolgen."
Sie nehme ihre Verantwortung wahr, den Aufarbeitungsprozess innerhalb des DOSB und im Austausch mit den Mitgliedsorganisationen voranzutreiben, so Petra Tzschoppe gegenüber dem Deutschlandfunk. Das allerdings hängt unter anderem auch davon ab, ob sie im Dezember ins neue DOSB-Präsidium gewählt wird. Bis dahin wird sich in dieser Frage nichts tun.