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Sexualisierte Gewalt
Verurteilter Sexualstraftäter startet bei Reitturnieren

Im Mai 2017 wird ein Reitlehrer zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Grund: mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch eines 13-jährigen Mädchens. Nach einem Jahr Haft hat der Täter Freigang - und nimmt in dieser Zeit an Reitturnieren teil.

Andrea Schültke im Gespräch mit Astrid Rawohl | 08.12.2018
    Schattenwurf von Reiter mit Pferd.
    Sexualisierte Gewalt - nicht nur im Reitsport ein Thema. (imago sportfotodienst)
    Wieso konnte ein verurteilter Sexualstraftäter während seiner Haft bei Reitturnieren starten? Andrea Schültke, die den Fall seit anderthalb Jahren verfolgt und bereits für die WDR-Sendung Sport Inside darüber berichtet hat, erklärte in der Sendung "Sport am Samstag": "Wer Turniere reiten will, braucht eine sogenannte Jahresturnierlizenz. Die kann man als Mitglied eines Reitvereins beim Dachverband beantragen. Und dieser Dachverband, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, war zwar über den Fall informiert, hat dem Verurteilten aber dennoch die Lizenz erteilt."
    Die Verantwortlichen hätten ihm die Lizenz auch nicht entzogen, nachdem sie von Sport Inside erfahren hatten, dass der Verurteilte während seiner Haft an Turnieren teilnimmt. Dafür fehle die Rechtsgrundlage, so hieß es vom Verband. "Und auch das Gericht hatte ja in seinem Urteil kein Berufsverbot verhängt", erklärt Schültke. Obwohl die Staatsanwaltschaft genau das gefordert hatte.
    Familie fordert Entzug der Lizenz
    Bereits in den acht Wochen zwischen Urteilsverkündung und Haftantritt soll der Verurteilte als Zuschauer bei Reitturnieren gewesen sein, auf denen auch das Mädchen war, das von ihm missbraucht wurde - so dass die Familie gerichtlich ein Annäherungsverbot erwirken musste. Die Mutter des Mädchens erklärte gegenüber Andrea Schültke: "Ich empfinde das als himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass ein Mädchen, das so gekämpft hat dafür, Recht zu bekommen, jetzt aufpassen muss, auf welchem Turnier sie startet und reitet, nur um diesem Menschen nicht mehr begegnen zu müssen."
    Die Familie hatte sich deswegen auch an die deutsche Reiterliche Vereinigung gewendet mit der Bitte, dem Verurteilten die Jahresturnierlizenz zu entziehen, um solche Situationen in Zukunft zu vermeiden. Im Interview, so Schültke, seien die Vertreter der Reiterlichen Vereinigung daraufhin zunächst bei der Position geblieben, es gebe keine Rechtsgrundlage für Lizenzentzug - das habe die Disziplinarkommission im Juli 2017 signalisiert, das Rechtsorgan des Verbandes. Auf Nachfrage durch Sport Inside bei dieser Disziplinarkommission, stellte sich das aber dann ganz anders dar: Die Kommission habe demnach der Justiziarin gegenüber angeregt, "einen eventuellen Antrag des Verurteilten auf Verlängerung der Lizenz zurückzuweisen".
    Reaktionen aus der Politik
    Es steht also Aussage gegen Aussage. Eine Geschichte, die Andrea Schültke "ratlos" macht: "Wenn die Deutsche Reiterliche Vereinigung, die eigentlich mit die beste Präventionsarbeit macht, es nicht schafft, einen verurteilten Sexualstraftäter aus dem Sport zu verbannen und ein Zeichen zu setzen, dann möchte ich mir nicht vorstellen, wie das in anderen Verbänden ist."
    Als Reaktion auf den Fall hat der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, den Reitsportverband bereits aufgefordert, dem Verurteilten die Lizenz zu versagen. Zur Not müsse man es eben auf eine gerichtliche Auseinandersetzung ankommen lassen, so Rörig. Auch der Verband hat reagiert: man werde nun ein Verfahren vor der Disziplinarkommission einleiten.
    "Ohne Betroffene, die wirklich kämpfen", so die Einschätzung von Andrea Schültke, "passiert gar nichts. Und genau dieses Kämpfen fällt vielen Opfern sexualsierter Gewalt so unendlich schwer, weil sie gar nicht die Kraft dazu haben. Und so werden Verbände auch nur selten gezwungen, eine ganz klare Haltung zu zeigen und diese auch umzusetzen."