"Insgesamt ist es schon so, dass Institutionen, insbesondere, wenn sie abgeschottet Institutionen sind, und das sind pädagogische Institutionen sehr häufig, dazu tendieren, totalitär zu sein. Und totalitäre Strukturen, mangelnde Transparenz nach innen und nach außen begünstigen übergriffiges Verhalten."
Michael Winkler, Professor für allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
"Man kann es so formulieren: Institutionen sind dann schützende Orte, wenn sie hinreichende Transparenz, Partizipation und Mitwirkungsmöglichkeiten institutionell garantieren als tatsächlich nutzbare Rechte."
Nach Meinung von Michael Winkel haben Schulen, Internate, Heimen und auch Sportvereine an dieser Stelle nach wie vor Defizite. Es ist nicht ohne weiteres möglich, Ungerechtigkeit von Seiten der Lehrer, Sozialpädagogen, Trainer oder Pfarrer zu benennen. Solche strukturellen Mängel ermöglichen Einzeltätern verbale, körperliche Übergriffe und auch sexuellen Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen. Zwar findet sexuelle Gewalt nach wie vor vor allem im familiären Umfeld statt.
Dennoch setzten die Kinderschutzzentren mit ihrer Fachtagung mit dem Titel "Du wolltest es doch auch" ihr Augenmerk vor allem auf die Institutionen. Wie müssen sie ausgestaltet sein, um Kinder und Jugendliche zu schützen? Wie kann den Opfern geholfen und wirkliche Prävention gesichert werden? Das verlangt auch zu schauen, wer die Täter sind. Prof. Wolfgang Berner vom Institut für Sexualforschung und Forensiche Psychatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
"Da spielt einerseits der Intimitätsdefekt eine große Rolle, also Menschen, die nicht gelernt haben, eine affektive Intimität, im Sinne von sich vertraut fühlen, mit jemand gemeinsam sein, ihm alles sagen können, diese Art von Intimität, von Zärtlichkeit mit Sexualität zu verbinden ist eine gewisse Leistung und manche können das und manche nicht. Und Menschen, die solch einen Intimitätsdefekt haben sind mehr gefährdet, Sexualität als eine Copingstrategie zu nutzen, also als ein Suchtmittel in bestimmten Situationen einsetzen, um damit Frust los zu werden, ohne sich des Beziehungscharakters der Sexualität bewusst zu sein. Das ist ein ganz wichtiger Punkt."
Nach Erfahrung von Wolfgang Berner sprechen ungefähr ein Viertel der Männer – biologisch veranlagt – besonders auf kindliche Reize an. Dabei leben längst nicht alle diese Neigung aus. Der Sexualwissenschaftler berichtet von weiteren Veranlagungstypen: Jenen, die nie lernten Rücksicht zu nehmen und ungehemmt auf jede Art von Reizen reagieren. Oder jene, für die der sexuelle Übergriff eine Strategie darstellt, depressive Zustände los zu werden. Grenzverwischend allerdings wirkt für viele heute das enorm gestiegene pornografische Angebot.
"Die leichte Verfügbarkeit von Pornografie hat dazu geführt, dass es tatsächlich eine ganze Reihe von Menschen gibt, die das wie eine Alkoholsucht erleben, sie viele Stunden am Tag nichts anderes tun können, damit andere Arbeit gefährden, ihre Beziehung gefährden und so weiter."
Diese Gefahr bedroht inzwischen zunehmend auch Kinder und Jugendliche. Susanne Egerdinger begleitet in der Kinderschutzambulanz in Münster Kinder und Jugendliche, die übergriffig handelten und andere Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchten. Zuvor wurden sie oft selbst missbraucht oder vernachlässigt oder erlebten nie Grenzen bei gut meinenden und möglicherweise uneinigen Eltern. Auffällig ist für die Therapeutin vor allem eines: Die Täter erhalten ihre sexuelle Aufklärung oft nur noch über Pornoclips aus dem Internet oder auf dem Handy. Wie sie diese Bilder verarbeiten hängt dabei sehr davon ab, was sie darüber hinaus über Liebe erfahren und vorgelebt bekommen:
"Wie funktionieren Beziehungen, wie geht man miteinander um. Wie gestaltet man Konflikte, wie ist es mit der Liebe und mit dem Sex und so weiter. Die meisten Jugendlichen haben eine Vorstellung von Sex, der in der Pornografie gezeigt wird und viele wissen überhaupt nicht mehr, dass es Petting überhaupt gibt und das es auch andere Formen der Sexualität als die genitale gibt. Das kennen die gar nicht mehr und denken, so funktioniert Sexualität, wenn es auf das Lovescribt fällt. Nicht jeder Jugendliche, der Pornografie konsumiert wird Misshandler. Aber bei denen, die entsprechende Vorerfahrungen haben, ist die Gefahr sehr groß, dass das, was sie gesehen haben umsetzen."
Auch wenn unsere Gesellschaft hochsexualisiert ist – viele Kinder und Jugendliche erleben, dass das Gespräche über Sexualität umgangen wird. Weder in den Kindergärten, noch in den Schulen ist es üblich, die schönen und bedrohlichen Seiten der Sexualität tatsächlich zu besprechen, meint Susanne Egerdinger.
"Die meisten Pädagogen und Erzieher strecken einfach hilflos die Hände in die Höhe. Da können wir auch nichts machen, statt mit den Jugendlichen zu sprechen, eben über den Unterschied zwischen Pornografie und normaler Sexualität."
Diese Scheu, sexuelle Themen anzusprechen, wirkt sich auch negativ auf die Aufklärung von sexuellem Missbrauch in Institutionen aus. Davon ist Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht in Heidelberg überzeugt.
"Die Frage ist, kann ich das thematisieren unter den Erwachsenen, wenn ich etwas mitbekomme, wenn ich etwas vermute, kann ich das ansprechen im Kollegenkreis in einer Schule, im Internat oder unter den Priestern. Sind solche Themen erlaubt und ist das selbstverständlich, dass darüber geredet wird und dass derjenige, der damit konfrontiert wird, dass anderen etwas aufgefallen ist, Unbehagen im Raum ist, damit umgehen können, dass es thematisiert wird."
Die Skandalisierung und der Ruf nach unbedingter Strafe schadet nach Meinung von Thomas Meysen den Opfern. In der Studie wurden von Missbrauch betroffen Kinder und Jugendliche befragt, was ihnen im Umgang mit den Professionellen missfällt. An vorderer Stelle wurde der Vertrauensmissbrauch genannt. Obwohl sie um Vertraulichkeit baten, wurden Informationen weitergegeben.
"Es entsteht immer ein großer Druck: Das muss man sofort melden und möglichst strafverfolgen. Da muss doch was passieren. Und das andere sind die Kinder und Jugendlichen, wenn man sie nicht mitnimmt in dem Geschehen, erleben sie erhebliche Mehrbelastungen, kippen auch wieder um, können dann nicht mehr sich öffnen. Es kommt doch nicht zum Schutz, sie ziehen wieder zurück, was sie gesagt haben und hier braucht es die Vertraulichkeit, die wir in Deutschland haben, die muss erhalten bleiben. Die gerät immer wieder unter Druck."
Nur so kann auch der Schutzraum für das Kind oder den Jugendlichen gewahrt und eine erneute Grenzüberschreitung bei den Opfern vermieden werden, betont Thomas Meysen. Er plädiert gegen eine Anzeigepflicht und eine Strafverfolgung um jeden Preis, auch wenn manche Institutionen auf diese Weise bezeugen wollen, dass sie Fehlverhalten nicht länger vertuschen.
Der Jurist setzt vor allem auf Prävention, um Übergriffe zu verhindern. Im Auftrag der Europäischen Union untersucht er in einem europäisch vergleichenden Projekt, welche Regelungen beispielsweise im Arbeitsrecht Transparenz in Institutionen unterstützen. Ein Vorschlag ist, die Haltung zu Übergriffen auch sexueller Natur in Einstellungsgesprächen zu thematisieren. Bereits heute muss jeder, der in der Jugendhilfe tätig ist, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das verlangen inzwischen auch einige Bundesländer für Beschäftigte an Schulen.
"Das wird von den Lehrern und Lehrerinnen als schwerer Misstrauensvorwurf gedeutet. Es könnte aber auch anders gedeutet werden, dass sie sagen, ja zu unserem Beruf gehört es, dass wir Kinder und Jugendliche schützen. Es gibt Menschen, die solche Neigungen haben, die die Nähe zu missbrauchen. Dann gehört es zu meiner Professionalität auch dazu, dass ich das ermögliche, dass das überprüft werden kann. Das ist kein Misstrauen gegen mich persönlich, sondern dass die Professionalität zum Ausdruck bringt."
Michael Winkler, Professor für allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
"Man kann es so formulieren: Institutionen sind dann schützende Orte, wenn sie hinreichende Transparenz, Partizipation und Mitwirkungsmöglichkeiten institutionell garantieren als tatsächlich nutzbare Rechte."
Nach Meinung von Michael Winkel haben Schulen, Internate, Heimen und auch Sportvereine an dieser Stelle nach wie vor Defizite. Es ist nicht ohne weiteres möglich, Ungerechtigkeit von Seiten der Lehrer, Sozialpädagogen, Trainer oder Pfarrer zu benennen. Solche strukturellen Mängel ermöglichen Einzeltätern verbale, körperliche Übergriffe und auch sexuellen Missbrauch gegenüber Kindern und Jugendlichen. Zwar findet sexuelle Gewalt nach wie vor vor allem im familiären Umfeld statt.
Dennoch setzten die Kinderschutzzentren mit ihrer Fachtagung mit dem Titel "Du wolltest es doch auch" ihr Augenmerk vor allem auf die Institutionen. Wie müssen sie ausgestaltet sein, um Kinder und Jugendliche zu schützen? Wie kann den Opfern geholfen und wirkliche Prävention gesichert werden? Das verlangt auch zu schauen, wer die Täter sind. Prof. Wolfgang Berner vom Institut für Sexualforschung und Forensiche Psychatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf
"Da spielt einerseits der Intimitätsdefekt eine große Rolle, also Menschen, die nicht gelernt haben, eine affektive Intimität, im Sinne von sich vertraut fühlen, mit jemand gemeinsam sein, ihm alles sagen können, diese Art von Intimität, von Zärtlichkeit mit Sexualität zu verbinden ist eine gewisse Leistung und manche können das und manche nicht. Und Menschen, die solch einen Intimitätsdefekt haben sind mehr gefährdet, Sexualität als eine Copingstrategie zu nutzen, also als ein Suchtmittel in bestimmten Situationen einsetzen, um damit Frust los zu werden, ohne sich des Beziehungscharakters der Sexualität bewusst zu sein. Das ist ein ganz wichtiger Punkt."
Nach Erfahrung von Wolfgang Berner sprechen ungefähr ein Viertel der Männer – biologisch veranlagt – besonders auf kindliche Reize an. Dabei leben längst nicht alle diese Neigung aus. Der Sexualwissenschaftler berichtet von weiteren Veranlagungstypen: Jenen, die nie lernten Rücksicht zu nehmen und ungehemmt auf jede Art von Reizen reagieren. Oder jene, für die der sexuelle Übergriff eine Strategie darstellt, depressive Zustände los zu werden. Grenzverwischend allerdings wirkt für viele heute das enorm gestiegene pornografische Angebot.
"Die leichte Verfügbarkeit von Pornografie hat dazu geführt, dass es tatsächlich eine ganze Reihe von Menschen gibt, die das wie eine Alkoholsucht erleben, sie viele Stunden am Tag nichts anderes tun können, damit andere Arbeit gefährden, ihre Beziehung gefährden und so weiter."
Diese Gefahr bedroht inzwischen zunehmend auch Kinder und Jugendliche. Susanne Egerdinger begleitet in der Kinderschutzambulanz in Münster Kinder und Jugendliche, die übergriffig handelten und andere Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchten. Zuvor wurden sie oft selbst missbraucht oder vernachlässigt oder erlebten nie Grenzen bei gut meinenden und möglicherweise uneinigen Eltern. Auffällig ist für die Therapeutin vor allem eines: Die Täter erhalten ihre sexuelle Aufklärung oft nur noch über Pornoclips aus dem Internet oder auf dem Handy. Wie sie diese Bilder verarbeiten hängt dabei sehr davon ab, was sie darüber hinaus über Liebe erfahren und vorgelebt bekommen:
"Wie funktionieren Beziehungen, wie geht man miteinander um. Wie gestaltet man Konflikte, wie ist es mit der Liebe und mit dem Sex und so weiter. Die meisten Jugendlichen haben eine Vorstellung von Sex, der in der Pornografie gezeigt wird und viele wissen überhaupt nicht mehr, dass es Petting überhaupt gibt und das es auch andere Formen der Sexualität als die genitale gibt. Das kennen die gar nicht mehr und denken, so funktioniert Sexualität, wenn es auf das Lovescribt fällt. Nicht jeder Jugendliche, der Pornografie konsumiert wird Misshandler. Aber bei denen, die entsprechende Vorerfahrungen haben, ist die Gefahr sehr groß, dass das, was sie gesehen haben umsetzen."
Auch wenn unsere Gesellschaft hochsexualisiert ist – viele Kinder und Jugendliche erleben, dass das Gespräche über Sexualität umgangen wird. Weder in den Kindergärten, noch in den Schulen ist es üblich, die schönen und bedrohlichen Seiten der Sexualität tatsächlich zu besprechen, meint Susanne Egerdinger.
"Die meisten Pädagogen und Erzieher strecken einfach hilflos die Hände in die Höhe. Da können wir auch nichts machen, statt mit den Jugendlichen zu sprechen, eben über den Unterschied zwischen Pornografie und normaler Sexualität."
Diese Scheu, sexuelle Themen anzusprechen, wirkt sich auch negativ auf die Aufklärung von sexuellem Missbrauch in Institutionen aus. Davon ist Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht in Heidelberg überzeugt.
"Die Frage ist, kann ich das thematisieren unter den Erwachsenen, wenn ich etwas mitbekomme, wenn ich etwas vermute, kann ich das ansprechen im Kollegenkreis in einer Schule, im Internat oder unter den Priestern. Sind solche Themen erlaubt und ist das selbstverständlich, dass darüber geredet wird und dass derjenige, der damit konfrontiert wird, dass anderen etwas aufgefallen ist, Unbehagen im Raum ist, damit umgehen können, dass es thematisiert wird."
Die Skandalisierung und der Ruf nach unbedingter Strafe schadet nach Meinung von Thomas Meysen den Opfern. In der Studie wurden von Missbrauch betroffen Kinder und Jugendliche befragt, was ihnen im Umgang mit den Professionellen missfällt. An vorderer Stelle wurde der Vertrauensmissbrauch genannt. Obwohl sie um Vertraulichkeit baten, wurden Informationen weitergegeben.
"Es entsteht immer ein großer Druck: Das muss man sofort melden und möglichst strafverfolgen. Da muss doch was passieren. Und das andere sind die Kinder und Jugendlichen, wenn man sie nicht mitnimmt in dem Geschehen, erleben sie erhebliche Mehrbelastungen, kippen auch wieder um, können dann nicht mehr sich öffnen. Es kommt doch nicht zum Schutz, sie ziehen wieder zurück, was sie gesagt haben und hier braucht es die Vertraulichkeit, die wir in Deutschland haben, die muss erhalten bleiben. Die gerät immer wieder unter Druck."
Nur so kann auch der Schutzraum für das Kind oder den Jugendlichen gewahrt und eine erneute Grenzüberschreitung bei den Opfern vermieden werden, betont Thomas Meysen. Er plädiert gegen eine Anzeigepflicht und eine Strafverfolgung um jeden Preis, auch wenn manche Institutionen auf diese Weise bezeugen wollen, dass sie Fehlverhalten nicht länger vertuschen.
Der Jurist setzt vor allem auf Prävention, um Übergriffe zu verhindern. Im Auftrag der Europäischen Union untersucht er in einem europäisch vergleichenden Projekt, welche Regelungen beispielsweise im Arbeitsrecht Transparenz in Institutionen unterstützen. Ein Vorschlag ist, die Haltung zu Übergriffen auch sexueller Natur in Einstellungsgesprächen zu thematisieren. Bereits heute muss jeder, der in der Jugendhilfe tätig ist, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen. Das verlangen inzwischen auch einige Bundesländer für Beschäftigte an Schulen.
"Das wird von den Lehrern und Lehrerinnen als schwerer Misstrauensvorwurf gedeutet. Es könnte aber auch anders gedeutet werden, dass sie sagen, ja zu unserem Beruf gehört es, dass wir Kinder und Jugendliche schützen. Es gibt Menschen, die solche Neigungen haben, die die Nähe zu missbrauchen. Dann gehört es zu meiner Professionalität auch dazu, dass ich das ermögliche, dass das überprüft werden kann. Das ist kein Misstrauen gegen mich persönlich, sondern dass die Professionalität zum Ausdruck bringt."