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Sexuelle Gewalt und Kriegsverbrechen

Mittlerweile haben die Vereinten Nationen sexuelle Gewalt offiziell als Kriegsverbrechen anerkannt. Betroffen sind häufig sehr junge Frauen - auch im Kongo: Viele von ihnen sind nach dem Bürgerkrieg wieder freigekommen, doch sie trauen sich nicht mehr nach Hause, weil sie als Entehrte gelten. Sie bedürfen jetzt der intensiven psychologischen Betreuung, um die Traumata zu verarbeiten und im zivilen Leben wieder Fuß zu fassen.

Von Jantje Hannover | 11.10.2008
    Die Provinz Nord-Kivu im Ostkongo. Etwa 50 junge Frauen und Mädchen stehen dicht an dicht in einem engen Raum mit kahlen Wänden. Nur von der Tür und einer Öffnung in der hinteren Wand fällt etwas Licht herein. Im Eingangsbereich tanzt ein Mädchen im traditionellen Bastrock. Um ihre Knöchel trägt sie Lederriemen mit silbernen Glöckchen. In gebückter Haltung stampft sie mit den Füßen, dreht sich um die eigene Achse. Dann tritt Katungu aus der Zuschauergruppe hervor. Die hübsche 17jährige gestikuliert wild und fängt an zu schreien. Ihr Blick verliert sich dabei im Nirgendwo, als spräche sie mit einer höheren Macht oder mit sich selbst.

    " Diese Frage quält mich: Warum nehmt ihr Kinder? Mädchen tragen Gewehre, ihre Seelen sind in höchster Not."

    Katungu wirft sich auf den Boden und schluchzt. Eine junge Frau nimmt sie tröstend in den Arm, während eine zweite hervortritt und ihre Geschichte herausbrüllt.

    "Es gibt kein Geld für dich, aber für Gewehre. Das ist der Krieg, da muss man sich durchschlagen, Kinder schlafen alleine auf den Straßen. Ich wurde geschnappt, die Eltern sind verschwunden, und immer wieder diese Frage."

    Trauma-Arbeit im Kongo. Die Mädchen teilen ein gemeinsames Schicksal. Sie waren Gefangene verschiedener Mayi-Mayi-Milizen, bewaffneter Rebellengruppen, die gegen Invasoren aus dem Nachbarland Ruanda kämpfen. In einem Alter, in dem andere Mädchen von Popstars schwärmen, mussten diese jungen Frauen Waffen tragen, für eine Horde verrohter Männer kochen und waschen und sich immer wieder von ihnen vergewaltigen lassen.

    "Dies sind demobilisierte Kinder, die wir aus den bewaffneten Gruppen herausgeholt haben. Diese Mädchen haben in der Armee sehr gelitten. man hat sie vergewaltigt, sie sind für die Interessen politischer Egoisten ausgebeutet worden."

    Mumbere Kiserivwa Kizito ist der Leiter der kongolesischen Nichtregierungsorganisation PCM. PCM kümmert sich um ehemalige Kindersoldaten, überwiegend um Mädchen.

    Die Organisation logiert in einem kleinen Haus in Butembo. Eine Stadt mit 500.000 Einwohnern, aber ohne asphaltierte Straßen und ohne Strom. Rund hundert Mädchen und etwa 50 Jungen nutzen hier die Angebote zur Rückkehr in ein ziviles Leben. Sie lassen sich zur Schneiderin oder zum Tischler ausbilden, gehen in der Nähe zur Schule und können therapeutische Gespräche mit den zwei angestellten Psychologen führen. Besonders die Mädchen müssen schwere Gewalterfahrungen verkraften. Katungu war gerade einmal zwölf Jahre alt, als sie verschleppt wurde:

    " Ich habe gerade Wasser mit einem Kanister geholt und wurde dabei überfallen. Man hat mich in das Camp gebracht und dort wurde ich vergewaltigt. Es waren viele. Dann wurde ich bedroht: Wenn ich nicht da bleibe, rächen sie sich an meiner Familie. Nach ein paar Tagen kam mein Vater zum Camp. Er wollte mich dort rausholen. Sie haben ihm die Kehle durchgeschnitten."

    Katungu ist aufgewühlt. Ihre Hände reden mit, als sie erzählt, wie die Milizen sich über sie hergemacht haben. Immer wieder rafft sie ihren langen Rock und wirft ihren Oberkörper nach hinten. Dass sie die erlittenen Schmerzen zulassen kann, gibt ihr eine Chance, ihr emotionales Gleichgewicht wiederzufinden.

    " Ich hatte Angst. Ich habe dort alle Gefühle für mich selbst verloren. Ich dachte, ich muss für immer dort bleiben. Es fällt mir auch sehr schwer darüber zu sprechen."

    Katungu blieb drei lange Jahre in der Gewalt der Milizen. Vor zwei Jahren wurde sie im Rahmen einer großen Demobilisierungskampagne der kongolesischen Regierung mit Hilfe der internationalen Friedenstruppen befreit. Damals verhandelte man mit den Warlords um die Herausgabe von mehr als 30.000 Kindersoldaten. Die meisten Milizen im Ostkongo sind inzwischen entwaffnet. Aber rund ein Drittel der Kinder befindet sich immer noch in den Händen der Rebellen. Insbesondere Mädchen, die oft zu Ehefrauen einzelner Milizenführer ernannt werden.

    Die therapeutischen Möglichkeiten für diese schwer traumatisierten jungen Frauen sind in einem armen Land wie dem Kongo begrenzt. Mumbere Kiserivwa Kizito von PCM:

    " Zuerst machen wir den Kindern klar, dass ihnen Unrecht geschehen ist. In der Traumaarbeit können sie den Zugang zur ihren Gefühlen wiederfinden. Aber wir fordern sie auch auf, zu verzeihen und Liebe zu entwickeln."

    Auch Kabue bekommt im Zentrum von PCM eine neue Chance. Sie ist ein paar Jahre älter als Katungu. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie sich freiwillig den Mayi-Mayi-Milizen angeschlossen - wie die meisten ehemaligen Kindersoldaten in der Region. Als Motiv nennen sie Rache für im Krieg erlittenes Unrecht. Kabue wurde schon vor einigen Jahren befreit. Heute ist sie Anfang 20. Ihre Ausstrahlung ist kühl und distanziert. Sie redet über ihre schrecklichen Erlebnisse, als wenn sie nichts damit zu tun hätte.

    " Ich habe schon viele Menschen getötet. Wenn wir im Camp nichts mehr zu essen hatten, haben wir einfach Dörfer überfallen. Wenn jemand kein Geld geben wollte, haben wir ihm die Kehle durchgeschnitten. So haben wir es auch mit dem Vieh gemacht. Ich wollte für eine gute Sache kämpfen. Aber dann wurde ich vergewaltigt. Das war ein Schock. Ich fühlte mich von mir selbst verlassen, wie ein Roboter."

    Kabue und Katungu leben zur Zeit bei einer Gastfamilie, die drei eigene Kinder hat. Der Vater verdient sein Geld als Tischler. Die Mädchen schlafen gemeinsam in einer Abstellkammer, jede hat ihr eigenes Bett. Ein Luxus im Kongo. Der Terminkalender der missbrauchten jungen Frauen ist gut gefüllt: am Morgen helfen sie bei der Hausarbeit, dann gehen sie zur Schule, nachmittags lernen sie schneidern oder arbeiten auf dem Feld ihrer neuen Familie. Nur hin und wieder findet sich Zeit für ihre Therapie, für Singen und Tanzen mit den Schicksalsgenossinnen.
    Die Gastmutter und ihr Mann sind mit einem kleinen Kursus auf ihre Aufgabe vorbereitet worden. Sie erhalten kein Geld für ihr Engagement.

    " Ich glaube an diese Mädchen, sie werden sich noch verändern. Ich wünsche mir, dass der Frieden in die Demokratische Republik Kongo zurückkommt, dafür muss man die Kinder zurückgewinnen."

    Es klappt sehr gut mit ihren neuen Töchtern, sagt Madame José. Sie leben wie große Schwestern in der Familie. Und wenn es doch einmal Spannungen gibt, tagt der Familienrat.