Freitag, 19. April 2024

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Sexueller Kindesmissbrauch im Sport
"Es sind keine Einzelfälle"

Matthias Katsch kämpft seit Jahren für die Anerkennung und Entschädigung von Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs in der Kirche. Im Dlf-Sportgespräch erklärt er, in welchen Belangen Sportorganisationen den Kirchen noch hinterherhinken und was passieren muss, um aufzuklären.

Matthias Katsch im Gespräch mit Andrea Schültke | 12.10.2020
Verschwommenes Bild der Beine von Teilnehmern in einer Sporthalle.
"Besonderer Vertrauensraum Sport" ( imago/Dünhölter SportPresseFoto)
"Ich glaube, die Institutionen – und dazu gehören auch die Sportverbände und Sportvereine - müssen zunächst mal gedanklich akzeptieren, dass es nicht um Einzelfälle geht, die isoliert voneinander zu betrachten sind. Sondern wie bei den Kirchen auch geht es um systemische Fragen", sagt Mattias Katsch, der Sprecher des Opferverbandes "Eckiger Tisch" im Dlf-Sportgespräch: "Das hat zu tun beim Sport mit dem Nähe-Distanz-Verhältnis, mit der Körperlichkeit, mit dem besonderen Vertrauensraum, der da entsteht, mit dem Machtgefälle zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen Seite und der Institution, den Trainern und so weiter auf der anderen Seite."
Matthias Katsch, ehemaliger Schüler des Canisius-Kollegs; vor der Jesuitenschule in Berlin. In dem Gebäude fanden viele der sexuellen Übergriffe auf Schüler statt.
Matthias Katsch, Sprecher des Opferverbandes "eckiger Tisch" (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
Auch im Sinne von Prävention sei es wichtig, dass Institutionen, Vereine und Verbände die Verantwortung für systemische Versagen übernähmen, sagt Katsch.
"Es braucht eine Diskussion"
Und zum Kampf gegen Missbrauch gehören für Katsch auch finanzielle Entschädigungen: "Es braucht eine Diskussion zwischen den Sportvereinen, den Sportverbänden, den Geldgebern, wie denn ein Hilfesystem und eine Verantwortungsübernahme auch in Bezug auf Schmerzensgeld oder Entschädigung aussehen kann."
Fußballtor im Nebel
Sexueller Missbrauch - "Du darfst nicht reden, denn sonst passiert was"
Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe, Gewalt: Nadine ist erst zehn Jahre alt, als sie von Betreuern ihrer Fußballmannschaft sexuell missbraucht wird. Nach fast 30 Jahren spricht sie erstmals im Dlf-Sportgespräch öffentlich über das Erlebte.
Die erste Reaktion auf Informationen über sexuellen Kindesmissbrauchs in den eigenen Reihen sei in Institutionen oft der Versuch, präventiv zu arbeiten. Das ersetze aber keine Entschädigung, sagt Katsch. Es müssten den Betroffenen Brücken gebaut werden, damit sie sich offenbarten. Am besten über unabhängige Stellen, damit kein Druck aus Vereinen oder Verbänden kommen könne. Denn bisher haben sich nur wenige Betroffene offenbart:
"Es scheint so zu sein, dass der Sport die Menschen in eine sehr tiefe Schweigespirale hineinzieht. Das kann damit zu tun haben, dass Opfer, das, was ihnen widerfahren ist an Grenzüberschreitung, zunächst mal gar nicht als sexuellen Missbrauch erlebt haben, sondern als 'eine andere Art von Beziehung'".
Zwei Tabus
Und ein weiterer Schritt fehlt Katsch noch: "Die Betroffenen trauen sich nicht, Ansprüche zu formulieren". Grund dafür sind für ihn zwei Tabus: Weder über Sexualität noch über Geld lernten die Menschen zu sprechen, meint Katsch.