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Sexueller Missbrauch im Sport
Keine Einzelfälle

„Ihre Geschichte kann etwas ändern“. So lautet der Aufruf der Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch an Betroffene aus dem Sport. Menschen, die als Kind im Sport sexuelle Gewalt erfahren haben, können anonym ihre Erfahrungen schildern.

Von Andrea Schültke | 06.05.2019
Fußballplatz im Flutlicht
"Berichte von Betroffenen sind ganz zentral“, erklärt Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch. (Arno Burgi/dpa)
Triggerwarnung:
Im folgenden Beitrag werden sexualisierte Gewalthandlungen und deren Folgen für die Betroffene geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.
Sexueller Missbrauch im Sport könnte ähnliche Dimensionen haben wie in der Kirche. Davon geht Sabine Andresen aus. Die Vorsitzende der Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs sagte im Deutschlandfunk:
"Ich denke, wir müssen von einer großen Dimension ausgehen und wir müssen deswegen auch auf das System gucken. Das Verweisen darauf, es handele sich immer nur um Einzelfälle, ist der Versuch, auszublenden und das nenne ich ein verantwortungsloses Verhalten."
Aufruf an Betroffene aus dem Sport
Deshalb jetzt der Aufruf an Betroffene aus dem Sport. Bisher hat die Kommission sexuelle Gewalt in Familien, der Kirche und der DDR untersucht. 1.700 Menschen haben sich gemeldet und anonym ihre Geschichte erzählt oder aufgeschrieben. Jetzt sollen die Strukturen im Sport untersucht werden. Sabine Andresen nennt einige Fragestellungen:
"Wie ist denn mit Tätern/Täterinnen umgegangen worden? Wer hat mit dazu beigetragen, dass weggesehen wurde, vertuscht wurde, verdrängt wurde und auch da sind die Berichte von Betroffenen ganz zentral."
Sabine Andresen, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs
Sabine Andresen, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs (imago / Metodi Popow)
Auch die ehemalige Fußballerin Nadine will sich bei der Kommission melden und schildern, was sie vor knapp 30 Jahren im Sport erlebt und erlitten hat. In einem langen Interview mit dem Deutschlandfunk hat sie ihre Geschichte jetzt zum ersten Mal öffentlich erzählt.
Auf einem Turnier habe alles begonnen. Sie sei zehn gewesen und mit Abstand die Jüngste. Nach einer Verletzung habe sich der Täter um sie gekümmert:
"Aber immer ein Stück zu weit, ein Stück zu viel, zu lange angefasst, zu intensiv. Mir kam das auch total komisch vor, aber ich wusste auch nicht, was daran falsch ist. Weil ich dazu überhaupt keine Worte hatte oder auch gedacht habe, es gehört anscheinend auch irgendwie dazu."
Große seelische und körperliche Schmerzen
Schuldgefühle und Scham habe sie nach den ersten Übergriffen empfunden und geschwiegen. Viele Betroffene schildern ähnliche Gefühle und genau damit rechnen Täter. Ihre Strategie geht auf und sie können ungehindert und extremer weitermachen. So war es auch bei Nadine. Sie sagt: "Da war dann nichts mehr nur mit Anfassen. Das war dann mit Vergewaltigung und Übergriffen jeder Art, die man sich vorstellen kann."
Die Folgen: Krankheiten, Therapien, abgebrochene Ausbildungen, Arbeitsunfähigkeit, große seelische und körperliche Schmerzen und noch Jahrzehnte danach - Albträume: "Dass es heute noch Nächte gibt, wo ich aufwache und Angst habe oder das Gefühl habe ich ertrinke. Ja ich ersticke und hab den Geschmack von Sperma im Mund."
"Die Möglichkeit erarbeitet, selbstständig ein Leben zu führen."
Das Fußballspielen habe sie damals nicht aufgegeben - trotz der schweren Verbrechen, die sie dort erlebte. Nadine sagt: "Die Option das gar nicht mehr zu machen - da hätte ich gar nichts mehr gehabt, was mir in irgendeiner Weise Erfolg verspricht oder für mich persönlich irgendwie Glück bedeutete."
Für Sabine Andresen zeigen Erfahrungsberichte wie der von Nadine: Der Sport dürfe sich nicht hinter Prävention allein verstecken, sondern müsse Aufarbeitung betreiben. Das bedeute auch: "In den Blick zu nehmen, welche Folgen hat sexueller Kindesmissbrauch für die gesamte Biografie. Das haben wir ja gerade auch sehr eindrücklich geschildert bekommen von der Betroffenen aus dem Fußball."
Nadine ist dabei, ihr Leben selbst zu gestalten. Trotz vieler Schwierigkeiten hat sie ein Studium begonnen und blickt positiv einige Jahre in die Zukunft: "In fünf habe ich mein Studium abgeschlossen, habe mir die Möglichkeit erarbeitet, selbstständig ein Leben zu führen."