Dienstag, 21. Mai 2024

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Sezieren im Rollstuhl

Das Leben im Rollstuhl kann das Ende einer Karriere bedeuten – muss es aber nicht. Heinz Jürgen Jacob, seit langer Zeit akademischer Oberrat an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, hatte vor fünf Jahren einen unglücklichen Sturz im heimischen Garten; seitdem ist er querschnittsgelähmt. Doch den akademischen Alltag im Rollstuhl bewältigt er weiterhin, im Büro ebenso wie im Labor und in der Pathologie. Die langen Gänge der Ruhr-Uni bewältigt er regelrecht spielerisch, auch in seinem Büro – bis auf einen Besucherstuhl von den klassischen Sitzgelegenheiten leergeräumt und längst mit Rollmobiliar ausgestattet - bewegt er sich nahezu ohne Einschränkungen. Zwei Spezial-Rollstühle, an denen er sich angurtet und anschließend in eine stehende Position heben lässt, erlauben es ihm, auch am Seziertisch seine gewohnte Arbeit zu tun und die Studierenden zu unterrichten. Für diese ist die Behinderung ihres Lehrers kein Problem: Zu Anfang des Kurses hat Jacob ihnen die Geschichte seiner Behinderung erzählt, nun sind ihm die Studenten dabei behilflich, sich in dem Spezial-Rollstuhl zu bewegen - denn bis zu den Rädern reichen seine Hände aus dieser Position nicht. Um die bei der Arbeit am Seziertisch üblichen Latexhandschuhe nicht eigens ausziehen zu müssen, klemmen sie die Griffe des Rollstuhls zwischen die Ellbogen – und ab geht es zur nächsten Arbeitsstation: Schwellenängste zwischen Behinderten und Nicht-Behinderten? Ein Problem, das Heinz Jürgen Jacobs nicht kennt.

08.12.2001