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Shakespeare am Original-Ort

Auf Schloss Kronborg hat Shakespeare seinen Hamlet spielen lassen, und jetzt spielt eine englische Shakespeare-Truppe Hamlet auf Schloss Kronborg. Der künstlerische Leiter des Londoner Globe-Theatres, Dominic Dromgoole, wollte einen Hamlet ohne viel und Brimborium und setzt auf die ursprüngliche Kraft der Stücke und Sprache Shakespeares.

Von Marc-Christoph Wagner |
    Die Wellen des Öresund schlagen kraftvoll auf die Wälle von Schloss Kronborg. Stolz erhebt sich dieses dänische Weltkulturerbe am Rande von Helsingör. An nebeligen Abenden ist das nahegelegene Ufer auf der schwedischen Seite des Sunds kaum zu sehen.
    Shakespeare, der selbst nie in Dänemark gewesen ist, der aber Bekannte hatte, die längere Zeit am dänischen Hof gelebt hatten, wird so wohl gewusst haben, warum er seinen Hamlet ausgerechnet an diesem Ort spielen ließ.

    Und so hat es schon seinen besonderen Charme, wenn der vom jungen Joshua McGuire verkörperte Hamlet des Londoner Globe-Theatres ausgerechnet auf Schloss Kronborg die Nachtwache übernimmt, um nach dem Geist seines ermordeten Vaters Ausschau zu halten, der ihm dann nicht nur erscheint, sondern auch das Versprechen, seinen Tod zu rächen, abverlangt. Ein Gelübde, das Hamlet vor ein moralisches Dilemma stellt, das auch gut 400 Jahre nach der Entstehung des Stückes - man denke nur an die Unruhen in Großbritannien dieser Tage - nichts an Aktualität verloren zu haben scheint: Ist es rechtens Mord mit Mord, Gewalt mit Gewalt zu vergelten?

    Hamlet alias Joshua McGuire:

    "Es ist das, was die menschliche Natur so interessant macht. Einige Leute randalieren und plündern, viele andere aber tun genau das nicht. Eben dieser Grundkonflikt findet sich in Hamlet: Wäre Laertes an Hamlets Stelle, er würde seinen Onkel Claudius einfach umbringen, ohne zu zögern, er ist ein Mann des Handelns - und Hamlets genaues Gegenteil. Hamlet selbst hingegen ist nachdenklich und zaudernd."

    Es ist nun aber keinesfalls eine verdachte, allein auf die inneren Konflikte Hamlets angelegte Inszenierung, die das Londoner Globe-Theatre seinem Publikum bietet. Nur acht Schauspieler schultern die gesamte Personengalerie des Stückes, bis auf Hamlet spielen alle Beteiligten mehrere Rollen. Schnelle Szenenwechsel geben der Handlung Tempo, und auch die Situationskomik des Shakespeare-Textes bekommt immer wieder Raum. Kurzum: Der nun scheidende künstlerische Leiter des Globe-Theatres, Dominic Dromgoole, wollte einen Hamlet ohne zu viel Beiwerk und Brimborium, und insistiert auf die ursprüngliche Kraft der Stücke und Sprache Shakespeares:

    "Wir sind heutzutage einer so verrückten Wahnvorstellung verfallen, die nur Schmerz und Neurosen als wertvoll empfindet. Das selbst ist Beweis dafür, dass wir in einer neurotischen Gesellschaft leben. Aber das ist nicht Shakespeare und schon gar nicht Shakespeares Zeit. Er hat Konflikte direkt und ehrlich geschildert, aber auch mit Witz und Intelligenz."

    In diesem Sinne ist der Hamlet des Londoner Globe-Theatres Shakespeare pur. Wie im wahren Leben wechseln sich Licht und Schatten ab, tiefe Trauer mündet in überschwängliche Freude, der Verzicht auf Staffage rückt die formvollendete Sprache Shakespeares noch mehr in den Mittelpunkt. Am Ende bleibt nur eines zu beklagen - nämlich, dass auch der Ort des Geschehens, also Schloss Kronborg, mehr Rahmen ist als Teil des Stückes, mehr Kulisse als Bühne. Die Rückkehr Hamlets an den Ort des Ursprungs verbleibt so gesehen ein Postulat, wenn auch ein sehr hübsch anzusehendes.