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Shakespeare an der Comédie-Française
Untenrum in Unterwäsche

Eine junge Frau, verkleidet als junger Mann, Masken, Verstellung, Verführung - alles Zutaten von Shakespeares Komödie "Was ihr wollt". Regisseur Thomas Ostermeier erfindet das Stück in seiner Inszenierung an der Comédie-Française nicht neu, schafft aber immerhin einen Moment poetischer Verzauberung.

Von Eberhard Spreng |
    Die Fassade der Comédie-Francaise in Paris
    Thomas Ostermeiers Einstand in der Comédie-Française wirkt wie eine huldvolle Verbeugung vor der ehrwürdigen Institution (Deutschlandradio / Eberhard Spreng)
    Der Herzog von Illyrien reckt zur Musik einen Arm lasziv in die Höhe. Ein Schauspieler der Traurigkeit. Bekanntermaßen ist das der Lieblings-Gefühlszustand des Herzogs Orsino, den hier Meisterschauspieler Denis Podalydes verkörpert. Wir kennen das seit ewigen Zeiten: Das unkaputtbare Erfolgsstück Shakespeares über das narzisstische Verliebtsein ins Verliebtsein, Masken der Liebe, Verstellung, Verführung, Schauspielertheater für alle Register, vom Kampf ums Überleben zum Rüpelspiel um Ritter Toby. Nina Wetzel hat hierfür mit weißem Sand ein Fantasieland gebaut. Der Sand bedeckt selbst den schmalen Laufsteg, der mitten durchs Parkett führt. Plastikpalmen, die zwei Eingänge verdecken und ein ansonsten geschlossener weißer Bühnenraum. Zunächst geistern zwei menschengroße Affen durchs Bild und finden im Sand einen Menschenarm und eine Menschenhand.
    Ganz harmlos ist dieses Illyrien also wohl doch nicht, wo Viola gestrandet ist und nun, als junger Mann verkleidet, in die Liebesbotendienste des Herzogs eintritt. Giorgia Scalliet spielt sie mit einer mühsam unterdrückten Haltung von Entrüstung und Erstaunen. Die Angebetete Gräfin Olivia wird von der geradezu mädchenhaft agierenden Adeline d’Hermy gespielt, die sich nun ihrerseits heftig in die als Botengänger der Liebe verkleidete Viola verliebt.
    Queeres Satyrspiel
    Natürlich ist hier unendlich viel Stoff fürs Spiel im Spannungsfeld zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Performance. Und um diesen Dualismus recht krass ins Bild zu rücken, treten fast alle Akteure untenrum in Unterwäsche auf und nur der Oberkörper ist mit Fragmenten wie Schulterpolstern oder Dienstbotenjacke angetan - Zeichen also für die soziale Maske. Primäre Geschlechtsmerkmale werden allerdings nur einmal kurz entblößt, wenn Ostermeier seine geradezu ordentliche Was-ihr-Wollt-Inszenierung für ein queeres Satyrspiel unterbricht. Dann tanzt ein furios agierender, wild grimassierender Bleichenwang über den Laufsteg, in einer Karikatur eines Men-Strip-Clubs. Bereits zuvor hatte der Regisseur Sir Toby und seinen Bleichenwang, sehr zur Freude des Publikums, ins tagesaktuelle Politkabarett geschickt.
    Vorgetäuschte Nacktheit
    Emmanuel Macrons ungehörige Bemerkung zu einem jungen Arbeitslosen am Tag der offenen Tür im Elysée-Palast wird ebenso verarbeitet wie die für Karikaturisten so überaus ergiebige Benalla-Affäre. Kontrapunkt zum Spaßduett ist der Haushofmeisters Malvolio mit seiner biederen Ordnungsliebe. Dem kann deshalb übel mitgespielt werden, weil er im Gegensatz zu den anderen nicht begreift, dass man das innere Selbst nur hinter der Maske einer vorgetäuschten Nacktheit schützen kann; dass nur überlebt, wer performt, oder besser noch: das Performen spielt.
    In Ostermeiers Theater-Theater ist aber auch dieser Malvolio im Spiel des Sébastien Pouderoux eine schnippische Tucke, also auch gendermäßig komplex. Gleichwohl: Mit geradezu erstaunlicher Werktreue und Vollständigkeit schichtet sich nun Szene auf Szene, durchweg komisch bis lustig, exekutiert von Frankreichs handverlesenen Staatsschauspielern im festlich ausgeschmückten Kleinod des französischen Theaterbetriebs und herzallerliebst begleitet von musikalischen Einwürfen: Monteverdi, Frescobaldi, Vivaldi und andere, die Countertenor Paul Figuier zur Begleitung von Theorbe und bisweilen Posaune singt.
    Haushofmeister Malvolio als einzige Tragödienfigur
    Ganz am Ende kommt es zu einem Moment poetischer Verzauberung: Dann sind alle Verwechslungen aufgeklärt und die fünf zentralen Liebesabenteurer sind zum Schlussbild aufgereiht und zwei Frau kriegen zwei Männer, und die Paare küssen sich, und dann wechselt einer wie in Zeitlupe die Position und daher küssen sich nun zwei Frauen und zwei Männer und alle schauen sich erstaunt an, denn das heterosexuelle Happy-End löst sich auf unter der höheren Macht des Eros.
    Dann bricht das Bühnenbild auf, das weiße Illyrien wird zerlegt und ganz hinten im schwarzen Bühnenhaus erhängt sich Haushofmeister Malvolio, die einzige wirkliche Tragödienfigur im bittersüßen Spiel der Liebe. Die Inszenierung ist gleichwohl kaum mehr, als all das, was Stadttheater seit ewigen Zeiten immer schon erzählt haben mit diesem Stück. Ostermeiers Einstand im französischen Theatertempel wirkt wie eine huldvolle Verbeugung vor der ehrwürdigen Institution.