Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Shakespeare Company Bremen zeigt "Angela I."
Vom Verschwinden einer Kanzlerin

Angela Merkel hat der Macht entsagt, hält Hof an einem geheimen Ort und Deutschland steuert auf chaotische Verhältnisse zu. Katja Hensel hat mit ihrem vielschichtigen Gegenwartsstück "Angela I." viel gewagt, kann aber die hochgesteckten Erwartungen nicht restlos erfüllen.

Von Michael Laages | 02.03.2019
19.02.2019, Bremen: Silke Buchholz in der Rolle von Angela Merkel in der Zeit nach ihrer Kanzlerschaft und Markus Seuß (r) in der Rolle ihres ehemaligen Fahrers treten während der Theaterprobe bei der Bremer Shakespear Company auf. Die Uraufführung des Stücks "Angela I." soll am 28.02.2019 stattfinden. (zu dpa "Theaterstück «Angela I.» katapultiert Nach-Merkel-Ära ins Jetzt") Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa | Verwendung weltweit
Merkel-Faust statt Merkel-Raute - Probe zum Theaterstück "Angela I." (dpa)
Die Zukunft hat schon begonnen; Angela Merkel hat nicht nur die Partei Partei, sondern auch die Regierung Regierung sein lassen – und ist "von der Brücke" gegangen. Da weiß unter den Erbverwaltern noch niemand so recht, was zu tun ist bis zur Neuwahl von Kanzlerin oder Kanzler.
"Wir werden Angela Merkel noch sehr vermissen." - "Respekt." - "Das kam etwas überraschend und eigenmächtig." - "Aber so hat sie ihre Entscheidungen immer getroffen." -"Respekt, bei aller Kritik! Sie hinterlässt ein großes politisches Erbe." - "Beziehungsweise eine große Baustelle." - "Da kommt viel Arbeit auf uns zu. Aber wir schaffen das!" - "Wir sind gut darauf vorbereitet." - "Wir auch." - "Respekt für ihre Leistung, aber nötig war eine neue Wende." - "Das wird eine große Herausforderung." - "Nicht leicht." - "Ja."
Der verschwundenen Kanzlerin auf der Spur
Sie wissen zu Beginn ja nicht einmal genau, wo sich die Ex-Chefin aufhält. Katja Hensel legt Spuren aus – offenkundig hat Merkel sich im eigenen Regierungsfundus versteckt, dort, wo zum Beispiel Geschenke von Potentaten abgelegt werden, aber auch ganz viele Akten und Papier. Hier herrscht ein stark verstaubter Archiv-Verwalter samt junger Praktikantin – während der Chauffeur der Kanzlerin und deren Stylistin sich um die Zukunft sorgen:
"Ich kann’s nicht fassen: das ganze Land, Europa, überall, braucht Führung! Und sie haut ab, als wär’s ein Abi-Ball!" - "Aber was hat das denn mit uns zu tun? Die Welt geht nicht unter, weil eine Frau den Zirkus verlässt!"
Er ist übrigens recht heftig in sie verliebt, würde sie gern auf der Stelle ehelichen, sie bleibt aber lange skeptisch – im gegenseitigen Gebalze allerdings verfallen beide erstaunlicherweise sogar in gereimtes Sprechen.
Katja Hensels Stück will und soll nicht nur der verschwundenen Kanzlerin auf der Spur bleiben (und lässt sie später auch tatsächlich auftreten, mit Hosenanzug, halbwegs ähnlicher Frisur und der ewigen Geste der "Raute", die Autorin kreiert auch ziemlich viele Handlungsebenen, um Bilder und Phantasien zu schaffen über das Phänomen namens Merkel.
Auftritt Kanzler-Gattinnen als Hexentrio
Übrigens ohne jede politische Aktualität - Leute wie, sagen wir mal, Horst Seehofer schaffen es nur bis zur Fußnote, wenn die gewesene Kanzlerin gegen Ende zwar keinen "runden Tisch", aber eine lange Tafel aufbaut, an der sie alle, jeden und jede in diesem, ihrem Lande versammelt sehen möchte; und zwar möglichst so, dass sich gerade die ärgsten Kontrahenten nebeneinander oder Auge in Auge gegenüber platziert finden. War das Merkels Vision in an sich ja eher visionslosen Zeiten: das große Palaver aller gegen alle? War das das Land, das sie wollte?
Und wollte Katja Hensel so tatsächlich fast eineinhalb Jahrzehnte Kanzlerschaft würdigen? Es sieht nicht danach aus. Denn dieser Merkel, die da auf die Gäste wartet (die nicht kommen!), sitzt ein Hexen-Trio wie am Beginn von "Macbeth" gegenüber: Loki Schmidt, Hannelore Kohl und Doris Schröder-Köpf. Und die drei gehen nun extrem herb und derb mit Merkel ins Gericht – mit der ewigen "Wir schaffen das!"-Gelassenheit (die bei Schröder noch "ruhige Hand" hieß) habe sie Demokratie als produktive Streitkultur eher beerdigt als befördert. Und mit absurder Logik wird sie schließlich im letzten Bild (hinter geschlossenem Vorhang!) darum tatsächlich zur Königin ausgerufen.
Ein Abend ohne Flirren und Funkeln
Stefan Otteni, der Bremer Uraufführungsregisseur, hat alle Hände voll zu tun, die verschiedenen Spielebenen miteinander zu verklammern; denn in der Merkel-Welt treten ja auch noch geistlos-lärmende Kinder mit Spielzeugautos auf und polternde Politiker, die Erben von Merkels Welt. Einer von ihnen leidet so sehr an Selbstzweifeln, dass er zuweilen in Shakespeares Ton verfällt - mit einer Variation auf den schmerzhaften Monolog des Juden Shylock aus dem "Kaufmann von Venedig" ("Wenn Ihr uns beschimpft – leiden wir nicht?") und dem Wunsch des geblendeten Gloucester aus "König Lear", die Klippen bei Dover hinab zu springen.
So bleibt Hensels Phantasie des Erinnerns vor der Zeit eher unübersichtlich, führt mal hierhin, mal dorthin, aber eher selten mitten hinein in den Kern der Dinge. Aber immerhin: die Autorin traut sich was – wann wäre jemals eine ja noch sehr aktive Polit-Persönlichkeit zum Thema im Theater geworden?
Der Abend hat in Bremen auch einige schöne Momente, aber er flirrt und flimmert und funkelt halt überhaupt nicht. Erst wer kräftig Schneisen schlüge ins fahrige Spiel, könnte Drama und Tragödie der Politik entdecken. Vielleicht.