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Shakespeare, Freud und Rock 'n' Roll

Die Erde hat er gleich mehrfach in Katastrophenfilmen zerlegt, jetzt stößt Roland Emmerich mit "Anonymus" den Dichter und Dramatiker Shakespeare vom Sockel. Außerdem frisch auf der Leinwand: David Cronenbergs "Eine dunkle Begierde" und das Drama "Cheyenne - This Must Be the Place" mit Sean Penn.

Von Jörg Albrecht |
    "Anonymus" von Roland Emmerich

    "Unsere Zweifel sind Verräter und oft genug verspielen wir den möglichen Gewinn, weil wir den Versuch nicht wagen." Ein Zitat aus der Komödie Maß für Maß von William Shakespeare bzw. dem großen Unbekannten, der sämtliche 38 Dramen verfasst haben soll. Von Zweifeln geplagt ist der Shakespeare in Roland Emmerichs Film jedenfalls nicht. Emmerich macht aus ihm einen Hochstapler und Betrüger. Der Schauspieler William Shakespeare, der angeblich nur lesen, aber nicht schreiben kann, hat einfach nur die Gunst der Stunde genutzt. Als ihm der Bühnenautor Ben Jonson erzählt, von einem Adeligen damit beauftragt worden zu sein, dessen Theaterstücke unter seinem Namen zu veröffentlichen, übernimmt Shakespeare kaltschnäuzig die Jonson zugedachte Rolle. Wer der wahre Autor der Stücke ist - das ist hier also nicht die Frage. Denn die beantwortet Emmerich schneller, als man es sich im Kinosessel bequem gemacht hat.

    "Ein Stück, Mylord! - Welches Ihr in Bankside aufführen werdet. - Aufführen? - Unter Eurem Namen. - Meinem, Mylord? - Meinen kann ich ja schwerlich verwenden, nicht wahr?! ... Nein - ich habe einen Ruf zu verlieren. In meiner Welt schreibt man keine Stücke, Jonson."

    Seine Welt ist die des britischen Adels. Sein Name: Edward de Vere, 17. Earl of Oxford. Einer aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen, denen Shakespeares Werke angedichtet werden. So klar und früh Roland Emmerich Position bezieht und den Anonymus demaskiert, so komplex ist die Geschichte, die er erzählt. Denn de Veres Haltung ...

    "Alle Kunst ist politisch, Jonson. Andernfalls wäre sie bloße Zierde."

    ... spiegeln alle seine Stücke. Immer wieder - wie bei der Aufführung von Richard III. - wird ihr Einfluss auf die Politik und den englischen Thron betont. Bühnenstücke im elisabethanischen Zeitalter haben die Macht, den Pöbel zu mobilisieren und die Obrigkeiten zu verspotten. Während die Königin Gefallen am Theater findet, sehen ihre Berater die eigenen Pläne durch die Aufführungen gefährdet. Machtkämpfe und die Frage der Thronfolge bestimmen den Alltag am Hofe. Ränkespiele, von denen es auch in den Stücken Shakespeares respektive Edward de Veres nur so wimmelt. Dabei ist de Vere nicht nur der außenstehende Beobachter mit der spitzen Feder. Er selbst muss erkennen, dass auch er Spielball der unterschiedlichsten Interessen ist.

    Wie es Roland Emmerich gelingt, historisch verbürgte Fakten mit der Shakespeare-Hypothese zu verknüpfen, verdient Respekt. Wenngleich es nicht immer ganz einfach ist, der Dramaturgie mit ihren vielen Zeitsprüngen und zahlreichen Akteuren zu folgen. Ob man Emmerichs Enthüllungsgeschichte nun für Humbug hält oder nicht - "Anonymus" ist vor allem eines: eine äußerst unterhaltsame Liebeserklärung an die Kunst und das Theater von einem Mann, von dem das wohl keiner erwartet hätte.

    "Anonymus" von Roland Emmerich - empfehlenswert!


    Cronenberg, David "Eine dunkle Begierde" von David Cronenberg

    "Guten Morgen, ich bin Dr. Jung. Ich habe Sie aufgenommen. Gestern." - "Ich bin nicht verrückt."

    Das erste Gespräch zwischen Arzt und Patientin. Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung will die 18-jährige Sabina Spielrein behandeln. Die Russin ist 1904 mit Symptomen von Hysterie in die psychiatrische Klinik in Zürich eingewiesen worden. Über diesen Fall beginnt Jung einen Briefwechsel mit Sigmund Freud. Der Grundstein für eine langjährige Freundschaft der beiden Männer, die sich 1907 zum ersten Mal begegnen werden, ist gelegt.

    "Und wie geht es Ihrer kleinen russischen Patientin? - Wie schon erwähnt: Nach anfänglichem Abreagieren machte sie dramatische Fortschritte. ... Sie ist ein wandelndes Aushängeschild für die Wirksamkeit der Psychoanalyse. - Psychoanalyse. Das ist logischer. Und es klingt besser. - Wenn Sie das sagen! "

    Sagen werden Freud und Jung noch vieles in diesem Film von David Cronenberg. "Eine dunkle Begierde" vermittelt den Eindruck, als habe jemand Spielszenen für eine BBC-Dokumentation über die Psychoanalyse, ihre Theorie und Methodik gedreht. Das alles ist unglaublich akkurat und didaktisch, aber es ist auch leblos und spannungsarm - woran nicht einmal die Figur von Sabina Spielrein als Katalysator etwas ändern kann. Trotz hervorragender Darsteller - Michael Fassbender spielt Jung, Viggo Mortensen Freud - ist

    "Eine dunkle Begierde" von David Cronenberg - enttäuschend!


    "Cheyenne - This Must Be the Place" von Paolo Sorrentino

    " "Mein Vater stirbt am Alter. Eine Krankheit, die eigentlich nicht existiert. Und ich bin seit 30 Jahren nicht geflogen. - Die Angst vor dem Fliegen ist nicht dein einziges Problem. - Das ist wahr. Ich habe auch eine schwache Angst vor dem Sterben."

    Mit der monotonen Fistelstimme klingt er wie die Karikatur eines einst gefeierten Rockstars, dessen Leben sich nach Jahren voller Sex, Drogen und Rock 'n' Roll extrem verlangsamt hat. Cheyenne, der gespielt wird von Sean Penn, sieht noch genauso aus wie früher: toupiertes Haar, weiß geschminktes Gesicht und Lippenstift. Eine Kreuzung aus Robert Smith von The Cure und Edward mit den Scherenhänden. Doch die Musik, die Karriere, der Erfolg - all das ist lange her. Nach dem Selbstmord zweier Fans hat sich Cheyenne vor 20 Jahren aus dem Musikgeschäft verabschiedet. Seitdem lebt er - zusammen mit seiner Frau - zurückgezogen in einer Villa in Dublin. Ein langweiliges, von Depressionen bestimmtes Leben, in das Bewegung kommt, als Cheyenne erfährt, dass sein Vater auf der anderen Seite des großen Teichs im Sterben liegt.

    Die Nachricht bildet den Auftakt zu einem ungewöhnlichen und sperrigen Road Movie, an dessen Ende Cheyenne den Stillstand überwunden haben wird. Selten hat sich ein Film den Themen Vergangenheitsbewältigung und Sinnsuche skurriler genähert. Die Handschrift des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino erinnert an dessen Landsmann Michelangelo Antonioni, aber auch und vor allem an David Lynch und seine surrealen Einfälle. Die Annäherung an die Titelfigur erfolgt nicht über eine stringente Handlung, sondern über einzelne Szenen, die von einem wieder einmal großartigen Sean Penn zusammengehalten werden.

    "Cheyenne - This Must Be the Place" von Paolo Sorrentino - akzeptabel!