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Shakespeare getanzt

"Macbeth" ist eine Tragödie, in der alles neblig, unklar und schwankend ist. Gerade deswegen liegt es nahe, dass aus Shakespeares Drama über Machtgier und Mord ein veritables Stück Tanztheater zu entwickeln ist. Jetzt hat die Freiburger Choreographin Irina Pauls einige der Kernthemen des berühmten düsteren Dramas untersucht. Wie sind Ehrgeiz, Eifersucht und Selbstüberschätzung der Macht heute darstellbar?

Von Christian Gampert |
    Shakespeares Totenmaske
    Shakespeares Totenmaske (AP)
    Ein Handlungsballett dieser Größenordnung ist eine Herausforderung für jeden Choreographen. Die Schwierigkeit, Shakespeare zu tanzen, liegt vor allem in der Bewältigung komplizierter psychologischer Netzwerke, für die man Bilder fin-den muss. Einer der Großen, die an einer solchen Aufgabe ehrenvoll scheiterte, ist Johan Kresnik, der Mitte der 1990iger Jahre in Stuttgart den Othello machte, mit dem narzisstischen Ismael Ivo in der Hauptrolle – eine grandiose Fleischbe-schau, die immerhin die Beziehung Othello-Desdemona überzeugend ausleuch-tete. Der Rest war Schweigen, oder vielmehr: das übliche wütende Kresniksche Berserkertheater.

    Irina Pauls ist von diesem Level meilenweit entfernt. Zum Einstand als Leiterin der Tanztheaters Freiburg/Heidelberg hat sie einen akzeptablen Kafka-Abend hinbekommen, hingekäfert, könnte man sagen; nun hat sie sich deutlich überho-ben. Es reicht bei Shakespeare einfach nicht, den Tänzern Themen zum Impro-visieren vorzugeben und die später dann in eine Bildfolge zu bringen. Hier müs-sen klar konturierte Figuren und Dramaturgien getanzt werden, und daran ge-bricht es dieser Aufführung auf ganzer Linie.

    Pauls behilft sich damit, dass sie das gesamte Stück in einer moros ausgeleuch-teten Leichenhalle spielen lässt – das soll Eindruck schinden. Überall sind Tod, Krieg und Verwesung, von Anfang an. Komplexere Handlungsteile wie der auf-keimende Ehrgeiz des Macbeth, dem die Hexen ja etwas einflüstern, werden durch wahre Flüster-Orgien pantomimisch ins Bild gesetzt. Auch ruft das ge-samte Ensemble ausdauernd das Wort "King", weil der Protagonist König wer-den will. Auf diesem Niveau ist die gesamte Aufführung: sehr dunkel, sehr ein-fältig, sehr langweilig. Die erotische Abhängigkeit des Macbeth, der sich von seiner wahnsinnigen Lady zum Königsmord verführen lässt: nicht vorhanden. Stattdessen vage martialische Tänzchen in der Leichenhalle, vor allem als Pas de deux zwischen den hochtrainierten Männern, Blutschmierereien auf den Kör-pern, als wolle man das Herz Jesu in den Modern Dance retten, weit ausgetanzte Alpträume und schlechtes Gewissen, aber keinerlei Struktur.

    Das von Irina Pauls verfolgte Simpel-Prinzip der Bebilderung von Emotionen wird auch musikalisch gestützt. Fürs Innenleben sind spirituelle Ouvertüren aus der Barockzeit, so genannte Melodrammi sacri des Alessandro Scarlatti zustän-dig, dem Sohn des großen Domenico Scarlatti. Während das (in kleiner Beset-zung angetretene) Freiburger Philharmonische Orchester unter Gernot Sahler die langsamen Sätze sehr warm und entspannt gestaltet, überträgt sich in den schnel-leren Teilen die Bühnenhysterie auch in die enervierend gläsern sägenden ersten Geigen. Für die mehr äußerlichen, kampfbetonten Szenen, für die Nervenan-spannung ist der norwegische Komponist Rolf Wollin zuständig, der mit se-quenziellem elektronischem Gezirpe fürchterlich geheimnisvoll tut. Schließlich gibt es noch einen hochqualifizierten Trommelworkshop: als Macbeth’s Ende naht, kommt nicht nur der Wald von Birnam (diesmal von oben) auf die Bühne nieder, sondern es werden auch drei Trommelsets auf die Bühne geschoben, die Gevatter Tod ausgiebig klappern und klacken lassen.

    Es ist also eine hochmoralische und auch tänzerisch eher eindimensional pathe-tische Veranstaltung, die das Publikum volle zweieinhalb Stunden lang quält: ständig rennen da Menschen auf der Bühne vor sich selbst davon oder tragen Särge durch die Gegend. Das Stück könnte auch heißen: "der mit dem Schwert tanzt", so penetrant lange muss Macbeth sein Riesenschwert hinter sich herzie-hen.
    Der wahre Held des deutschen Theaters, hat der "Spiegel" kürzlich festgestellt, sei der Abonnent. Der Freiburger Abonnent entzog sich der Veranstaltung durch wohlwollende Schreckensstarre, andere schrien beherzt Buh. Man mag nach dieser Aufführung fragen, wie lange Irina Pauls noch Chefin dieser Compagnie ist; man kann auch fragen, wie lange diese Truppe überhaupt noch existieren wird. Das dekadente Beliebigkeits-Gehopse dieser aufwendigen Aufführung wird auch die Rotstift-Politiker nicht unbedingt milde stimmen.