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Shakespeares ''Titus Andronicus'' in München

Am Ende wird es noch einmal deutlich: wenn die silberne Küchenzeile zwischen dem auf Vorhänge aufgemalten römischen Säulenidyll hervorknallt, wenn Schöpfkelle und Abtropfsieb und Dampftopf zum Gebrauch herunterbaumeln und wenn Titus Andronicus die mit Gemüse bemalte Schürze umschnallt und die Mütze aufsetzt, um sich ans Kochen zu machen, spätestens da weiß man: wenn der Mensch dem Mensch Gewalt antut, wenn er ihn schindet, schändet, mordet, wenn er das Undenkbar-Denkbare vollstreckt, ist dies immer auch komisch. Es ist widerlich komisch in seiner letzten Übertretung aller gemeinhin als Menschlich bezeichneten Möglichkeiten. Bei Shakespeare nun serviert Titus der Kaiserin ihre Söhne in Blätterteig, warum auch nicht, schließlich haben diese Söhne ja auch seine Söhne gemordet und sie haben seine Tochter geschändet und ihr zu allem Überfluss auch noch Hände und Zunge abgehackt.

    Doch die Tat ist schon gesühnt und die eigene Mutter nimmt die Bösewichter ohne es zu wissen wieder zu sich: mit Messer und Gabel. Rache ist süß. Dass Titus wiederum ihren ältesten Sohn als Opfer gemordet hat, ging all dem voraus: die Spirale der Rache ist unaufhaltsam. Und da wo Shakespeare noch die Ahnung einer neuen besseren Zeit und Ordnung als Schluss an seine Splatter-Tragödie anhängte, lässt es Christian Stückl im Münchner Volkstheater beim letzten Abstichreigen bewenden, der dem Kannibalenmahl noch folgt. Keine Utopie nirgends und der Mensch im Neandertal seiner Möglichkeiten.

    Es sind sicherlich Blutrunst und Groteske, die Christian Stückl an Shakespeares monströsem Werk "Titus Andronicus" interessiert haben, das er sichtbar als ebenso böses wie lachhaftes Märchen inszenieren wollte, in dem wie schon bei Shakespeare keiner den Guten spielen darf. Stückls Figuren nun: ob Kaisersohn oder Feldherr, Kaisergattin oder Kriegertochter haben von Beginn an den Tick ins Lächerliche, der allerdings schwierig ist zu halten ohne abzurutschen. Nun kann sich das Münchner Volkstheater auch unter seinem neuen Intendanten Christian Stückl nur eine sehr kleine Schauspielertruppe leisten und auch die nur ohne Stars, und Stückl setzt sichtlich auf ein junges dabei aber noch ungelenkes Ensemble, das sich gestern abend vielfach von Shakespeares Rollen überfordert zeigte, und seien sie in diesem Frühwerk psychologisch auch noch so grob gezimmert. Auf eben diesen groben Effekt setzt nun Christian Stückl ästhetisch auch als Regisseur: Shakespeares Titus Andronicus mit viel Theaterrauch, viel Pappmaché, und manchmal auch mit dicken Faxen, das kommt in den besten Momenten noch wie ein bös verkehrtes Kindertheater daher und kann doch schnell auch ins Schülertheater hinüberhängen. Es scheint, zumindest bei dieser Eröffnungspremiere, als hätten sich seine Erfahrungen bei Passions- oder Volkstheaterspielen und seine Arbeit mit Laien, gewollt oder auch ungewollt in die ästhetische Handschrift gefressen.

    München aber ist nicht Telfs oder Oberammergau, zumal sich Christian Stückl hier mit dem Volkstheater und einer erkennbaren Ästhetik von seiner Konkurrenz den Münchner Kammerspielen und dem Bayerischen Staatsschauspiel abheben muss. Schwierig ist dabei, dass sich in München das klassische Volkstheater schon fast traditionsgemäß in allen großen Häusern ab: Frank Baumbauer etwa setzte in den Münchner Kammerspielen in der letzten Spielzeit auf Achternbusch oder Fleisser, Dieter Dorn ließ im Residenztheater Franz Xaver Kroetz einen Raimund inszenieren, Christian Stückl also kann nicht nur auf Autoren wie diese setzen, um sich zu positionieren. Dass ihm diese Positionierung zusammen mit seinem Ensemble nun mit der Eröffnungspremiere "Titus Andronicus" ästhetisch noch nicht gelungen ist, zeigt zugleich aber auch das Dilemma, in dem sich der frische Hausherr mit seinem Volkstheater befindet: denn dramaturgisch war Shakespeares Blutiade sicherlich eine richtige Wahl, Titus ist krudes Volkstheater im besten Sinne. Dass er sich also neue und andere Spielplansegmente erobern will, hat Stückl damit unüberhörbar behauptet und das ist gut so. Jetzt muss er diese Behauptung noch ausfüllen.

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