"Identität" ist zum Modebegriff geworden, zu dem jeder etwas zu sagen weiß; "shifting identities", also "verschobene", vagabundierende Identitäten - auch im Sinne von Not- oder "Behelfsidentitäten" zu verstehen - sind im Zeitalter der Globalisierung natürlich eine Einladung par excellence für die Gegenwartskunst. Da kann man, im Sinne von Gender und Dekonstruktion, mal so richtig seiner allgemeinen Verwirrung - und wohlig gefühlten Heimatlosigkeit - Ausdruck geben, andererseits sich als politisch korrekter Mitmensch aufführen.
Denn die simple, bürokratisch beglaubigte Identität erweist ihre Haltbarkeit spätestens an der Passkontrolle. Tausende von Flüchtlingen aus der Dritten Welt müssen sich dort zurückweisen lassen oder einem Asylverfahren unterwerfen: Sich darüber zu empören, scheint eine Pflichtübung des hippen Kunstproduzenten von heute zu sein. Nedko Solakow malte nette Graffitti an die Zollkontrolle des Züricher Flughafens, zum Beispiel die tiefgründige Frage "Wer bist du", die von der Schweizer Polizei gleich wieder entfernt wurde, zum Kummer des Züricher Kunsthauses. In zahlreichen Videos, die im Kunsthaus selber die Lufthoheit beanspruchen, werden Emigranten-Schicksale beschworen, Männer rudern wie Sklaven in einem Boot, nur als Rumpf sichtbare Asylanten erzählen, was eine Emigration so kostet; in dem weitaus gelungendsten Video zum Thema, gefertigt von dem Albaner Adrian Paci, stehen ausgemergelte Arbeitsimmigranten auf einer Rolltreppe mitten auf einem Flughafen, aber keine Maschine holt sie ab - eine Gangway ins Nirgendwo.
Das ist ein schönes Bild, ein moralisches Bild, und Paci hat gerade ja auch eine große Schau im Kunstverein in Hannover. Gleichwohl scheint die Haltung der moralischen Empörung altmodisch, irgendwie auch politisch begrenzt: Die Verlegung ganzer Bevölkerungen etwa von Afrika nach Europa wäre wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Wie könnte eine humane Einbürgerungspolitik aussehen? Auf Einsendungen zu dieser Kuratoren-Frage wären wir gespannt.
In Zürich aber passiert etwas ganz anderes, das Hergebrachte. Die sehr junge und offensichtlich nicht sehr strenge Kuratorin Mirjam Varadinis lässt ihre Altersgenossen zu diesem und jenem produzieren, etwa die Hälfte der Exponate ist extra für die Ausstellung gefertigt, und zum transnationalen Fußballfest will man eben die Schattenseiten der Globalisierung aufzeigen. Das führt dann dazu, dass das beeindruckendste Kunstwerk die Ausstellungsarchitektur selber ist: Über ein System von Hütten und Röhren wird der Besucher des Bührle-Saals in dunkle Video-Kabinen geschleust, manchmal muss er klettern und über Brücken gehen und darf das ganze Chaos von oben betrachten. Die Gebrüder Chapuisat begeben sich als lebende Skulpturen ein einen begeh- oder vielmehr bekriechbaren Tunnel, "Intra Muros", wie es heißt, Goran Galic und Gian-Reto Gredig fahren in Kairo hinter einem Laster mit Insektenvertilgungsmitteln her und filmen das wie ein Weltkriegsinferno. Claire Fontaine hält es für politisch, in einer Leuchtskulptur das Auschwitz-Motto "Arbeit macht frei" zu "Arbeit Macht Kapital" umzuformulieren. Neu ist das nicht, sondern nur obszön in seiner Bemühtheit, sich an Bedeutungsvolles dranzuhängen.
Der Untertitel der Ausstellung heißt "Schweizer Kunst heute", wobei man die Schweiz gleich wieder schamvoll in Klammern gesetzt hat. Denn die allermeisten Schweizer Künstler leben im Ausland (mit gutem Grund), und die in der Schweiz ansässigen sind sehr oft Immigranten-Kinder der zweiten Generation, die sich nur halb als Einheimische fühlen. Aber selbst wenn man die Schau als Statement der Gegenwartskunst schlechthin betrachtet, so bleibt nur die Erkenntnis: es gibt ein paar etablierte Positionen - die unscharfen Gemälde von David Chieppo, die fragilen Skulpturen von Loredana Sperini, die subtilen filmischen Alltags-Portraits von Adam Zmijewski - und ansonsten sehr viel Beliebiges, das den Weg ins Museum nur über die Eselsbrücke "Gruppenausstellung" schafft.
Aber man hat ja noch den total globalisierten Züricher Flughafen: auch dort will sich die Kunst einschleichen - und geht grandios unter. Gianni Motti setzt einen Beamten des Wachpersonals, einen schwarzen Sheriff, in die große Halle und lässt ihn meditieren - eine skurrile Performance, ein Moment der Ruhe in der Hektik. Aber alsbald erscheint die Stadtpolizei und will die Yoga-Übung beenden, und man muss ihr erklären, dass das hier Kunst sei. Alexandra Mir will auf dem Rollfeld ein Plastikflugzeug aufblasen, im Warteraum ertönt uralte "Flughafenmusik" von Brian Eno aus den 70iger Jahren, Christian Vetter hat ein "Journal of Disorientation" verfasst, welches Fluggäste in alle Welt mitnehmen können - rührende Zeugnisse der Hilflosigkeit angesichts der Übermacht des Flugbetriebs. Im Züricher Kunsthaus betreibt man die Mythologisierung der Heimatlosigkeit, auf dem Flughafen kommt die Kunst sich selber abhanden. Immerhin wird in der Schweiz derzeit Fußball gespielt - möglicherweise sind da die größeren Künstler zu besichtigen.
Denn die simple, bürokratisch beglaubigte Identität erweist ihre Haltbarkeit spätestens an der Passkontrolle. Tausende von Flüchtlingen aus der Dritten Welt müssen sich dort zurückweisen lassen oder einem Asylverfahren unterwerfen: Sich darüber zu empören, scheint eine Pflichtübung des hippen Kunstproduzenten von heute zu sein. Nedko Solakow malte nette Graffitti an die Zollkontrolle des Züricher Flughafens, zum Beispiel die tiefgründige Frage "Wer bist du", die von der Schweizer Polizei gleich wieder entfernt wurde, zum Kummer des Züricher Kunsthauses. In zahlreichen Videos, die im Kunsthaus selber die Lufthoheit beanspruchen, werden Emigranten-Schicksale beschworen, Männer rudern wie Sklaven in einem Boot, nur als Rumpf sichtbare Asylanten erzählen, was eine Emigration so kostet; in dem weitaus gelungendsten Video zum Thema, gefertigt von dem Albaner Adrian Paci, stehen ausgemergelte Arbeitsimmigranten auf einer Rolltreppe mitten auf einem Flughafen, aber keine Maschine holt sie ab - eine Gangway ins Nirgendwo.
Das ist ein schönes Bild, ein moralisches Bild, und Paci hat gerade ja auch eine große Schau im Kunstverein in Hannover. Gleichwohl scheint die Haltung der moralischen Empörung altmodisch, irgendwie auch politisch begrenzt: Die Verlegung ganzer Bevölkerungen etwa von Afrika nach Europa wäre wohl auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Wie könnte eine humane Einbürgerungspolitik aussehen? Auf Einsendungen zu dieser Kuratoren-Frage wären wir gespannt.
In Zürich aber passiert etwas ganz anderes, das Hergebrachte. Die sehr junge und offensichtlich nicht sehr strenge Kuratorin Mirjam Varadinis lässt ihre Altersgenossen zu diesem und jenem produzieren, etwa die Hälfte der Exponate ist extra für die Ausstellung gefertigt, und zum transnationalen Fußballfest will man eben die Schattenseiten der Globalisierung aufzeigen. Das führt dann dazu, dass das beeindruckendste Kunstwerk die Ausstellungsarchitektur selber ist: Über ein System von Hütten und Röhren wird der Besucher des Bührle-Saals in dunkle Video-Kabinen geschleust, manchmal muss er klettern und über Brücken gehen und darf das ganze Chaos von oben betrachten. Die Gebrüder Chapuisat begeben sich als lebende Skulpturen ein einen begeh- oder vielmehr bekriechbaren Tunnel, "Intra Muros", wie es heißt, Goran Galic und Gian-Reto Gredig fahren in Kairo hinter einem Laster mit Insektenvertilgungsmitteln her und filmen das wie ein Weltkriegsinferno. Claire Fontaine hält es für politisch, in einer Leuchtskulptur das Auschwitz-Motto "Arbeit macht frei" zu "Arbeit Macht Kapital" umzuformulieren. Neu ist das nicht, sondern nur obszön in seiner Bemühtheit, sich an Bedeutungsvolles dranzuhängen.
Der Untertitel der Ausstellung heißt "Schweizer Kunst heute", wobei man die Schweiz gleich wieder schamvoll in Klammern gesetzt hat. Denn die allermeisten Schweizer Künstler leben im Ausland (mit gutem Grund), und die in der Schweiz ansässigen sind sehr oft Immigranten-Kinder der zweiten Generation, die sich nur halb als Einheimische fühlen. Aber selbst wenn man die Schau als Statement der Gegenwartskunst schlechthin betrachtet, so bleibt nur die Erkenntnis: es gibt ein paar etablierte Positionen - die unscharfen Gemälde von David Chieppo, die fragilen Skulpturen von Loredana Sperini, die subtilen filmischen Alltags-Portraits von Adam Zmijewski - und ansonsten sehr viel Beliebiges, das den Weg ins Museum nur über die Eselsbrücke "Gruppenausstellung" schafft.
Aber man hat ja noch den total globalisierten Züricher Flughafen: auch dort will sich die Kunst einschleichen - und geht grandios unter. Gianni Motti setzt einen Beamten des Wachpersonals, einen schwarzen Sheriff, in die große Halle und lässt ihn meditieren - eine skurrile Performance, ein Moment der Ruhe in der Hektik. Aber alsbald erscheint die Stadtpolizei und will die Yoga-Übung beenden, und man muss ihr erklären, dass das hier Kunst sei. Alexandra Mir will auf dem Rollfeld ein Plastikflugzeug aufblasen, im Warteraum ertönt uralte "Flughafenmusik" von Brian Eno aus den 70iger Jahren, Christian Vetter hat ein "Journal of Disorientation" verfasst, welches Fluggäste in alle Welt mitnehmen können - rührende Zeugnisse der Hilflosigkeit angesichts der Übermacht des Flugbetriebs. Im Züricher Kunsthaus betreibt man die Mythologisierung der Heimatlosigkeit, auf dem Flughafen kommt die Kunst sich selber abhanden. Immerhin wird in der Schweiz derzeit Fußball gespielt - möglicherweise sind da die größeren Künstler zu besichtigen.