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Shopping-Tour durch Afrika

Scramble for Africa - so wurde der Wettlauf der Europäer um die Reichtümer des Kontinents im 19. Jahrhundert bezeichnet. Heute gibt es eine ähnliche Entwicklung – allerdings geht es diesmal statt um Bodenschätze um den Boden selbst. Am Beispiel Äthiopiens stellt sich die Frage nach Chancen und Risiken dieser Entwicklung.

Von Antje Diekhans | 16.10.2010
    Aus einer kleinen Hütte im Westen Äthiopiens kommt ein gebückter Mann. 58 Jahre zählt Gidi Megale – doch nach langen Jahren der Feldarbeit wirkt er eher älter. Der Farmer hat ein Leben lang geschuftet, um seine Frau und die acht Kinder zu ernähren. Jetzt, wo er es auf seine alten Tage langsamer angehen lassen wollte, steht er vor dem Aus.

    "Mir ist nichts geblieben. Mein ganzes Land wurde mir von der Regierung genommen und diesem großen Farmer gegeben. Meine Kinder haben das Haus verlassen und versuchen anderswo Geld zu verdienen. In den guten Zeiten hatte ich fünf Hektar Land. Wir konnten leben. Jetzt ist alles weg – ich kann nichts an meine Kinder weitergeben. Ich bin ein Niemand."

    Gidi Megale lebt in der Region Äthiopiens, die zum großen Teil in der Hand von Investoren aus Saudi-Arabien ist. Seit einiger Zeit schon hat in dem ostafrikanischen Land ein regelrechter Ausverkauf der Ackerflächen eingesetzt. Denn entgegen Äthiopiens Ruf als Hungerland sind die Böden hier sehr fruchtbar. Es wächst fast alles: Getreide, Reis, vielfältige Obst- und Gemüsesorten. Wer sich ein wenig in der Landwirtschaft auskennt, kann Rekordernten erzielen – zumal wenn er die richtigen Maschinen einsetzt.

    Er ist niegelnagelneu, sein Lack glänzt in der Sonne. Einen Acker hat dieser Traktor noch nicht befahren, doch das soll sich bald ändern. Vorerst steht er aber im Hinterhof von Sumit Aggarwal. Der junge Inder ist seit einigen Monaten in Äthiopien, um hier einen Großbetrieb aufzuziehen. Die Verhandlungen mit der Regierung laufen:

    "Wir haben gefragt, ob wir zwei- oder auch dreitausend Hektar Land bekommen können. Aber bisher haben sie uns nur tausend Hektar gegeben – vielleicht ändert sich das noch. Darauf hoffen wir."

    Andere indische Unternehmen haben sich schon lange in Äthiopien niedergelassen. Sie bauen hier Reis, Zucker, Weizen oder auch Pflanzen zur Produktion von Biodiesel an. In der Heimat ließe sich das nicht machen.

    "In Indien können wir so große Landflächen nicht bekommen. Indien ist dicht besiedelt – da sind nicht mal ein paar Hektar übrig. In Indien ist einfach kein Platz."

    In Äthiopien dagegen herrscht zwar an vielem Mangel – nur Platz gibt es bisher noch ausreichend. In den 70er Jahren hat die damals kommunistische Führung alles Land verstaatlicht. Die Millionen von Kleinbauern bekommen auch heute noch ihre Ackerflächen zugeteilt. Das Land ist nicht wirklich ihres – und kann ihnen deswegen auch wieder weggenommen werden. Weitere riesige Flächen werden noch gar nicht beackert. Die äthiopische Regierung verleast sie nun an die ausländischen Investoren – die Pachtverträge laufen über 40 bis 50 Jahre. Ein Geschäft, das sich nach Meinung von Präsident Meles Zenawi auszahlt – und das er gegen alle Kritiker verteidigt.

    Eine Pressekonferenz in der Hauptstadt Addis Abeba. Vor allem Journalisten aus dem Ausland haben sich versammelt, um die Landnahmen zu hinterfragen. Viele sehen darin eine neue Form des Kolonialismus. Der äthiopische Premierminister, Meles Zenawi, weist das zurück.

    "Landnahme. Ich weiß nicht, was die Aufregung um dieses Thema soll. In der Politik der äthiopischen Regierung hat es keinen Richtungswechsel gegeben. Wenn es um landwirtschaftliche Entwicklung ging, haben wir immer vor allem auf die kleinen Farmer gesetzt. Das ist jetzt noch so. Aber das schließt andere Geschäfte nicht aus. Der Privatsektor spielt bei der Entwicklung eine äußerst wichtige Rolle."

    80 Prozent der Äthiopier arbeiten in der Landwirtschaft. Sie sind wie Gidi Megale kleine Farmer, die ein paar Hektar Land bestellen, und mit der Ernte versuchen, ihre Familie zu ernähren. Oft gelingt das nicht. Einer von sechs Menschen in dem ostafrikanischen Land ist auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. In Krisenjahren ist es schlimmer. Wenn zu wenig Regen fällt – oder wenn für die wichtigsten Lebensmittel plötzlich spürbar mehr gezahlt werden muss.

    "Der Preis für Agrarprodukte, besonders für Getreide, war lange Zeit niedrig. Das ändert sich jetzt. Es wird angenommen, dass es sich um einen grundsätzlichen Wandel handelt – und dass sie jetzt für die nächsten Jahrzehnte sehr hoch bleiben werden."

    Für Premierminister Meles Zenawi ist das eher eine positive Nachricht als eine Hiobsbotschaft. Sie bedeutet für ihn: Das Interesse an den äthiopischen Ackerflächen wird noch zunehmen. Er sieht keinen Widerspruch darin, zum einen beim Welternährungsprogramm um Unterstützung zu bitten, zum anderen ausländische Investoren ins Land zu holen, die tonnenweise Lebensmittel abtransportieren. Die Regierung argumentiert, dass die Ausländer die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben – und Zuwachsraten von zuletzt rund zehn Prozent scheinen ihr Recht zu geben. Doch auch die Afrikanische Union sieht die Entwicklung mit Skepsis.

    Hauptsitz der Organisation ist Addis Abeba. Die Kommissarin für Landwirtschaft Rhoda Tumusiime kommt aus Uganda – ein Land, das selbst noch große Äcker zu vergeben hat und zur Zeit heftig um Investoren aus dem Ausland wirbt. Die Politikerin ist besorgt, dass die Interessen der Kleinbauern bei vielen Landverkäufen ignoriert werden. Und dass Afrika künftig noch mehr auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen ist, weil die Ernten exportiert werden:

    "Wenn wir einen Überschuss haben – gut, der kann ausgeführt werden. Aber wir können nicht ans Ausland liefern, wenn die Länder hier selbst nicht genug Nahrung haben."

    Positiv ist für die Kommissarin allerdings, dass neues Kapital nach Afrika fließt. Sie fordert, dass die Investoren auch verpflichtet werden sollten, Straßen zu bauen und die gesundheitliche Versorgung zu verbessern.

    "Wenn andere Länder nur von außen kommen, in die Landwirtschaft investieren und die Erträge exportieren – dann ist das falsch. Aber es kann auch eine Situation sein, in der es nur Gewinner gibt. Wenn die Investoren mit den Einheimischen zusammenarbeiten, damit sie profitieren. Dann denke ich, dass das Ganze funktionieren kann."

    Farmer Gidi Megale fühlt sich bisher allerdings als Verlierer. Ihm wurde eine Entschädigung versprochen, weil er sein Land abgeben musste. Außerdem hieß es, die ganze Region würde durch die modernen Anbaumethoden der Saudis profitieren. Doch bis jetzt, sagt Gidi, hat er davon nichts gemerkt.

    "Die Zeit verging, aber bisher hat sich niemand daran interessiert gezeigt, mit uns zu sprechen. Das einzige, was ich jetzt noch von der Regierung erbitte ist, dass sie mir zumindest wieder einen kleinen eigenen Acker zuteilt. Er muss nicht groß sein – ich will nur genug, um zu überleben."